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Das verlassene Krankenhaus bei Tschernobyl

Nic

Heft, 28 Seiten, 2020 - ab 23 Nov. erhältlich

Die Stadt Prypjat liegt nur 3 Kilometer von Tschernobyl entfernt. Im hiesigen Krankenhaus wurden unmittelbar nach der Explosion des Atomreaktors die ersten stark verstrahlten Opfer behandelt. Viele von Ihnen sind an der massiven Strahlenbelastung gestorben.

Am 27. April 1986, einen Tag nach der Nuklearkatastrophe, wurde die Prypjat evakuiert. Seither ist die Stadt, wie auch das hier gezeigte Krankenhaus verwaist. 30 Jahre Leerstand hinterlassen Ihre Spuren. Nic führt uns auf einem Rundgang durch verlassene Gänge vorbei an verfallenen OP-Sälen und Behandlungszimmern.

Für alle Fans von Lost Places.

Ab 4 Heften versenden wir versandkostenfrei.

Horst Bellmann

Horst Bellmann

Horst Bellmann im Kreise seiner Kollegen, 2. von links
Horst Bellmann im Kreise seiner Kollegen, 2. von links

 

 

Geboren: 01.05.1949 in Wernsdorf bei Olbernhau (Mittleres Erzgebirge)
Beruf:  Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der WISMUT GmbH
            Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrates
            Vorsitzender des Betriebsrates des Standortes Königsstein

1.Wie hat es Sie zur SDAG (Sowjetisch - Deutsche Aktiengesellschaft) Wismut „verschlagen"?

Ich war 15 Jahre alt, als ich von Wismut-Werbern geworben worden bin für eine Ausbildung als Grubenelektroschlosser mit Abitur an der Betriebsberufsschule in Schlema. Meine Eltern und ich hielten das für eine gute Ausbildung mit günstigen Bedingungen. Ich erhielt 135.-M (der DDR)
Lehrlingsentgelt, davon blieben 90.-M Taschengeld für mich übrig. Der Rest wurde für Unterkunft und Verpflegung bezahlt. Dann wollte ich nach einem sehr gutem Abschluss an der TU Dresden Energetik studieren. Die Aufnahmeprüfung hatte ich schon bestanden. Aber dann wurde ich eingezogen. Diesen Wunsch konnte ich nicht realisieren. Das Studium wurde ebenso verhindert wie später mein Bestreben, den Meisterabschluss zu machen. Ich bin Christ und war in der Neuapostolischen Kirche engagiert. Das Ansinnen, in die SED einzutreten, habe ich klar abgelehnt.
Die Folgen musste ich tragen. Ich ging dann ab 1969 als Grubenelektroschlosser unter Tage. Später führte ich als Brigadier eine Brigade, die aus 15 Elektrikern bestand.

2.Unter welchen Bedingungen haben Sie gearbeitet?

Wir arbeiteten in 3 Schichten unter Tage, 40 Stunden in der Woche. Als Elektriker gehörten wir zum  Nebenbetrieb und ich erhielt am Anfang einen Brutto- Lohn von 540.-M. Als Brigadier habe ich dann 1990, immer noch in 3 Schichten unter Tage, 1 100.-M verdient. Die Hauer haben da wesentlich mehr verdient. Die Technik war noch primitiv. Wir hatten zum Teil russische Geräte und sagten darüber, „die sind aus der Steinzeit". Zum Beispiel eine Teilschnittmaschine, die mit sowjetischer Technik funktionierte. In der 80er Jahren verschärften sich die Probleme, Ersatzteile für notwendige Reparaturen zu bekommen. Die Systeme waren störanfällig. Den Hauern fehlten der Bohrstahl oder Bohrkronen, alles war knapp. Die Ersatzteile wurden zur „Bückware". Wer politisch auf der Höhe war, wurde eher bedient.


3. Hatten Sie Privilegien im Vergleich zu anderen Berufstätigen in der DDR?

Gleich nach meiner Heirat 1969 habe ich in Pirna eine Neubauwohnung bekommen. Das war damals gar keine Selbstverständlichkeit.
Wir hatten Spezialgeschäfte der HO Wismut und erhielten Talons, damit konnten wir Kleidung kaufen. Auch Waschmaschinen und Autos bekam man nach Bestellung... Auf einen Trabbi brauchten wir zum Beispiel nur 7 Jahre warten. Auch bekamen wir eher mal Apfelsinen, Bananen und Ölsardinen. Und dann das Alkohol-Deputat: 3 Liter pro Monat, die Lehrlinge bekamen Schokolade. Der Alkohol war ein gutes Tauschobjekt oder, wenn ich mal Autoreifen oder eine Durchsicht brauchte, ließ ich im Auto was liegen. Dann flutschte es.

Horst Bellmann als Redner
Horst Bellmann als Redner

 4.   Sie hatten russische Vorgesetzte. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Gar keine, denn die Russen waren isoliert und „kaserniert". Sie durften nur überwachte berufliche Kontakte zu Deutschen haben, private Kontakte zu Deutschen waren ihnen streng verboten. Hielten sie das nicht ein, sind sie umgehend in die SU zurück geschickt worden und ihre Berufskarriere war zu Ende. Zu meiner Zeit waren russische Bergbaufachkräfte, Geologen, Experten der Metallurgie usw. eingesetzt. Also Deutsch-Sowjetische-Freundschaft, das war einfach paradox. Das gab es gar nicht, zumindest nicht auf meiner Ebene.

 

5. Wie waren die Sicherheitssysteme? Welche Strafen gab es?

Das Sicherheitsdenken war schon überzogen. Ebenso die Geheimhaltung möglichst aller Informationen zur Förderung, zur Strahlenbelastung usw. So gab es ein sehr strenges Passierscheinsystem, also die Zugangsordnung zu den Schächten war streng geregelt. Hatte mal jemand seinen Ausweis vergessen, gab es großes Theater, obwohl der Kumpel gut bekannt war. Kontrollen beim Ausgang gab es auch, manchmal Stichproben mit Leibesvisitationen. Da man bestimmte Materialien auf Antrag kaufen konnte, zum Beispiel Beton für den Hausbau, hielten sich die Diebstähle in Grenzen.

Anfang der 50er , noch in der Stalinzeit, haben Bergleute das pervertierte Sicherheitsdenken mit ihrem Leben bezahlt - „erschossen in Moskau". Aber zu meiner Zeit ging alles in Ruhe.

6.  Gab es Arbeitsunfälle oder andere Katastrophen, die Sie miterlebt haben?

Es hat viele tödliche Arbeitsunfälle gegeben. Das sind Dinge, die im Bergbau vorkommen. Einmal ist ein Bergmann mit dem Jackenärmel in die Bohrmaschine gekommen, sein Arm wurde raus gerissen, er war sofort tot. Einem Bekannten, der eine Arbeitsstelle suchte, hatte ich auf eine freie Arbeitsstelle in der Grube hingewiesen. Er arbeitete in der „Raubbrigade", die die Stahlträger von nicht mehr genutzten Stollen „ausrauben" bzw. zur Wiederverwertung ausbauen. Er war unerfahren und hat sich nicht zurück gezogen, als das Gebirge „sprach". Dann hat das Gebirge nachgegeben, der Doppel - T - Stahlträger ist auf ihn gefallen. Er war sofort tot. Das ging mir sehr nahe. Dieser Unfall wäre zu verhindern gewesen, denn Unerfahrene dürfen da nicht eingesetzt werden. Von den großen Katastrophen habe ich nur gehört.

H. Bellmann als Betriebsratsvorsitzender vor der Tafel der ABM-Projekte
H. Bellmann als Betriebsratsvorsitzender vor der Tafel der ABM-Projekte
  1. Zu den anerkannten Berufskrankheiten der Wismut gehören die „Schneeberger Krankheit", die Silikose und der Lungenkrebs, ausgelöst durch ionisierende Strahlung des Gesteins. Hatten Sie Angst davor? Was wurde zum Schutz unternommen?

Zu meiner Zeit wurde nass gebohrt, nur am Anfang wurde trocken gebohrt, und das hatte die „Schneeberger Krankheit" zur Folge.

Was die Srahlenbelastung betraf, wurde ständig gemessen. Die Ergebnisse waren aber streng geheim: Wir kannten keine Messwerte und Grenzwerte. Wir wussten nur, dass es die Strahlenbelastung gab. Ab und zu wurden Strecken gesperrt, weil die Belastung, die Radonkonzentration, zu hoch war. Wenn wir danach fragten, wurde gleich der Spieß umgedreht: „Ihr vertraut uns wohl nicht?" Erst in der Zeit der politischen Umbrüche Ende 1989 haben wir gefordert: „Wir wollen die Mess- und Grenzwerte wissen, wir wollen Offenheit!" Aber das war ganz am Schluss.

Die Gesundheitsfürsorge für die Bergleute war aber gut. Jedes Jahr gab es Reihenuntersuchungen und wir wurden relativ oft zur Kur geschickt. Ab und zu folgte einer gesundheitlichen Untersuchung die Entscheidung der Leiter: „Du fährst nicht mehr nach unter Tage ein." Weshalb wurde im Einzelnen nicht mitgeteilt. Auch bekamen wir keine medizinischen Ergebnisse mitgeteilt.

8.  Wie war Ihre politische Einstellung zum Staat DDR? Welche Überzeugungen vertraten Sie?  Hatten  Sie Repressalien zu ertragen?

Als ganz junger Mensch war ich in der FDJ, die ich als Organisation für alle Jugendlichen verstanden habe. Die kommunistische Ideologie aber habe ich nie geteilt. Ich war Christ! Und ich war oppositionell. Die Folgen, dass ich mich in der DDR beruflich nicht so entwickeln konnte, wie es möglich gewesen wäre, musste ich tragen. Aber, ehrlich, ich war kein Widerstandskämpfer. Das Ergebnis war 1990, dass mir die Kollegen ihr Vertrauen geschenkt haben und ich als Betriebsratsvorsitzender gewählt worden bin, das alle vier Jahre wieder bis heute

 "Niemand ist in die Arbeitslosigkeit gefallen. Wir haben niemand gekündigt."
"Niemand ist in die Arbeitslosigkeit gefallen. Wir haben niemand gekündigt."
  1. Die Tätigkeit der SDAG Wismut endete am 1. Januar 1991. Die UdSSR stieg aus dem Uranbergbau im Erzgebirge aus. Was geschah dann?

Die SU hatte kein Geld mehr, um das Erz zu bezahlen. Sie haben sich ausgeklinkt. Sie weigerten sich auch, die Folgen und Schäden durch den Uranbergbau für die Menschen und für die Umwelt zu mildern und zu sanieren. Im Dezember 1991 wurde die Bundes eigene Wismut GmbH gegründet und gleich danach zwei Arbeitsfördergesellschaften, um die Arbeitsplatzverluste abzufedern.

Schon 1989 sind Abfindungen gezahlt worden, wenn die Bergleute ausscheiden wollten. Da sind viele gegangen.

In den Arbeitsfördergesellschaften gab es 15 000 Mitarbeiter, die Kurzarbeitergeld, die Kurzarbeit auf 0 gesetzt, von den Arbeitsämtern erhielten. Nach 24 Monaten mussten sie eine Beschäftigung in der Wismut für ein Vierteljahr aufnehmen und dann gab es wieder Kurzarbeitergeld für 24 Monate. so ging das fort 9 Jahre lang. Niemand ist in die Arbeitslosigkeit gefallen. Wir haben niemand gekündigt. Das hat mich zufrieden gemacht.

 10.  Wo haben Sie sich niedergelassen, um dort ab August 2012 Ihren Ruhestand zugenießen?

Ich lebe in Dresden an der Elbe und fühle mich dort sehr wohl! Alles weitere wird sich ergeben.

Das Interview führte Ursula Brekle.

Der Bertuch Verlag dankt Herrn Horst Bellmann für die Bilder, die er für das Interview zur Verfügung gestellt hat.

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