Sachsen-Lese

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Familie Stauffenberg  Hitlers Rache

Ursula Brekle

ISBN 978-3-86397-097-0

Das ist die spannungsreiche Geschichte, die beweist, dass es Himmler nicht gelungen ist, die Drohung wahrzumachen. Die jüngste Tochter von fünf Geschwistern Konstanze wurde noch während der mütterlichen Haft geboren. Sie berichtete vom 90. Geburtstag ihrer Mutter Nina, auf dem über 40 Nachkommen zusammengekommen waren. Die Nationalsozialisten haben trotz Hinrichtungen und perfider Sippenhaft nicht gewonnen.

Hitlers Rache an den Kindern der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944

Hitlers Rache an den Kindern der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944

Dipl.-Päd. Ursula Brekle

Das Leben im Kinderheim Bad Sachsa

In der berüchtigten Geheimrede vor den Gauleitern am 03.08.1944 in Posen sagte der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler: „Wenn eine Familie als vogelfrei erklärt...wurde..., dann hieß es: Dieser Mann hat Verrat geübt, das Blut ist schlecht - Das Verräterblut muss ausgerottet werden...Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht werden bis ins letzte Glied.“ i

Nina von Stauffenberg mit ihren drei Söhnen
Nina von Stauffenberg mit ihren drei Söhnen


Von dieser Sippenhaft waren nicht nur Erwachsene, sondern auch die Jugendlichen und Kinder, auch Kleinkinder der Verschwörer betroffen. Sie wurden von der Gestapo entführt und an einen den Eltern und Verwandten unbekannten Ort verschleppt. Diese perfide Methode Himmlers, als Bestrafung gedacht, erhöhte den psychischen Druck auf die noch lebenden Angehörigen der Verschwörer erheblich. Diese Art der kollektiven Rache war ein Martyrium, vor allem für die Mütter. Auch die Kinder litten, denn sie erlebten die Inhaftierung der Mutter, die plötzliche Trennung von ihr und den Geschwistern als Schock. Die existenziell wichtigen Familienbeziehungen brachen ab, ohne dass sie Gründe dafür erkennen konnten. Sie fanden sich in völlig fremden unbekannten Bedingungen wieder, nämlich in einem Kinderheim in Bad Sachsa, das aus mehreren Landhäusern bestand, idyllisch gelegen an einem Waldrand im Südharz. Bei vielen war damit das innere Chaos vollkommen. Ab August 1944 trafen nach und nach 46 Kinder aus verschiedenen „Reichsteilen“ ein. Der Älteste war 15 Jahre alt, das Jüngste war im Babyalter. Dort gerieten sie in strenge Isolation, sie durften weder ihr Haus noch das Gelände ohne Aufsicht verlassen. Es gab kein Radio und keine Zeitung. Die Kinder durften auch nicht in die Schule gehen. Es drängt sich die Frage auf, was haben sie den ganzen Tag gemacht? Sie haben viel gespielt, gebastelt und Sport getrieben. Sie sind auf dem weitläufigen Gelände spazieren gegangen. Die Behandlung der Kinder war ausgesprochen freundlich. Die ersten Wochen bis zum 8. Oktober 1944 wurden die Geschwister nach Geschlecht und Altersgruppen getrennt und in verschiedenen Häusern untergebracht, sie konnten sich nur zuwinken oder trafen sich zufällig. Am schlimmsten aber war, dass sie nichts über das Schicksal ihrer Eltern erfuhren, sie wussten nicht, wo und unter welchen Umständen sie lebten, und ob sie jemals nach Hause zurück kämen. Viele Kinder hatten Heimweh. Sehr hart traf es den kleinen Goerdeler – Enkel Rainer, der bei seiner Ankunft bitterlich weinte und immer bat: „ I mag heim, i mag heim.“ So beschreibt die zwölfjährige Christa von Hofacker die Szene in ihrem Tagebuch, das sie in Bad Sachsa schrieb. [21] Weihnachten wurde das Heimweh bei allen wieder stärker. Christa von Hofacker: „Der Gesang und der ganze Hauch des Heiligen Abends stimmte wehmütig. Alfred [von Hofacker] neben mir brach fassungslos in Tränen aus – ich konnte ihm nicht helfen.“
Niemand durfte die Namen der Kinder wissen, den Kindern war verboten, die echten Namen zu benutzen. Sie erhielten Decknamen. Die Stauffenbergs hießen nun „Meister“, die Hofackers „Franke“, die Goerdelers „Hofmann“ usw. Wie ernst es dem Gauamtsleiter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und der Heimleiterin, einer strammen Parteigenossin mit Namen Köhler, damit war, beschreibt folgende Geschichte: Der achtjährige Axel Freytag von Loringhoven hatte zufällig herausbekommen, dass die Stauffenberg-Kinder unter ihnen waren sowie weitere Kinder von sogenannten„Vaterlandsverrätern“. Die Kinder führten untereinander Gespräche darüber, Axel wurde ertappt, es wurde ein Exempel statuiert. Er wurde vor einer Art „Femegericht“ aller Betreuerinnen zitiert. Das eingeschüchterte Kind musste versprechen, nie wieder einen echten Namen in den Mund zu nehmen. Aber bei den älteren Kindern zeigte das wenig Wirkung. Sie waren sich ihrer Identität bewusst.

Christa von Hofacker fand über eine zugängliche Kindergärtnerin heraus, dass ursprünglich die Kinder nur für einen Zeitraum von ca. 8 Wochen bleiben sollten, „bis die Eltern und die großen Geschwister umgebracht worden wären. Dann sollten die Älteren in Napolas und die Kleinen in fremde SS-Familien verteilt werden." Anfang Oktober änderte Heinrich Himmler seine Strategie, und es wurden viele Kinder entlassen. Die verbliebenen Kinder konnten zusammen in ein Haus ziehen. Weihnachten 1944 lebten nur noch 14 Kinder in dem Heim: Sechs Stauffenbergs, drei Vettern und Cousinen Hofacker, eine Lindemann-Tochter, zwei Goerdeler-Enkel und zwei kleine Mädchen, Lore Bernardis und Renate Henke. Der Tante der Stauffenberg-Kinder, Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg, gelang es zur großen Freude der Kinder, Weihnachten 1944 diese in Bad Sachsa zu besuchen. Dadurch erfuhr die Familie, später auch die Mutter der Kinder Nina, wo die Kinder lebten und dass sie versorgt und betreut waren.

Konstanze von Stauffenberg, die in der Haft der Mutter geboren wurde
Konstanze von Stauffenberg, die in der Haft der Mutter geboren wurde

Ostermontag 1945 sollten alle Kinder in einem Werkstatt–Wehrmachtswagen in das KZ Buchenwald verbracht werden. Auf der Fahrt nach Nordhausen überflogen Tiefflieger das Gelände und schossen. Der fürchterliche Bombenhagel dauerte eine halbe Stunde. Der Bahnhof wurde unbenutzbar. Deshalb brachte man die Kinder zurück in das Kinderheim Bad Sachsa, wo sie wesentlich besser und sicherer aufgehoben waren als im KZ.

Die Verwandten der Kinder befanden sich in dieser Zeit im KZ Buchenwald. Seit Juli 1944 waren insgesamt 13 erwachsene Mitglieder der Familie Stauffenberg in Sippenhaft geraten. Hinter ihnen lag eine Odyssee, die im KZ Stutthof begann und weiter über das SS-Straflager Matzkau in das KZ Buchenwald führte. In Matzkau verstarb die Mutter von Nina Stauffenberg, Anna Freiin von Lerchenfeld, an Thyphus. Später wurden die Sippenhäftlinge in das KZ Dachau verlegt. Am 25. April 1945 mussten sie wieder in Busse einsteigen und der Transport ging in Richtung Alpen, zunächst ins Durchgangslager Reichenau. In Niederdorf in den Dolomiten konnten sie schließlich durch glückliche Zufälle befreit werden, ehe der Befehl Himmlers, sie am 28. April zu töten, ausgeführt werden konnte. Die Häftlinge sollten nicht in die Hände der Alliierten fallen.

Fräulein Verch, Stellvertretende Heimleiterin in Bad Sachsa, hatte den Stauffenberg-Kindern -- zwar verspätet, aber immerhin – von der Geburt der Schwester Konstanze am 27.Januar 1945 erzählt. Fräulein Verch war umgänglich, die Kinder hatten Vertrauen zu ihr gefasst. Sie heiratete nach dem Krieg den späteren Bürgermeister Bad Sachsas, Willi Müller.

Am 12. April 1945 besetzten die Amerikaner Bad Sachsa. Der neu ernannte Bürgermeister Willi Müller, ein alter Sozialdemokrat, der gerade aus dem KZ entlassen worden war, hielt eine Rede und eröffnete den Kindern, dass sie frei wären. Christa von Hofacker schrieb in ihr Tagebuch: „Er sagte wörtlich: ‚Und jetzt heißt ihr so wie früher. Ihr braucht Euch Eurer Namen und Väter nicht zu schämen, denn sie waren Helden!‘.“ Für die Kinder änderte sich aber wenig. Am 11. Juni erschien endlich die Großtante der Stauffenberg–Kinder, Gräfin Üxküll. Sie war lange Jahre Rotkreuzoberin und konnte einen Bus chartern. Gräfin Üxküll transportierte auch die Kinder der Hofackers, der Goerdelers und der Lindemanns unbeschadet nach Hause. Das waren die letzten in Bad Sachsa verbliebenen Kinder. Die Stauffenberg–Kinder brachte sie heim nach Lautlingen. Das Elternhaus in Bamberg war völlig zerstört und ausgeraubt. Wo aber war die Mutter, Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg? Erst Anfang Juli konnten die Mutter mit der Tochter Konstanze, die in Trogen bei Hof gestrandet waren, heimgeholt werden. Die Familie war wieder vereint.

Bildnachweis

Rechte: Konstanze von Schulthess, geb. Gräfin von Stauffenberg

Literatur

Felicitas von Aretin: Die Enkel des 20. Juli 1944. Leipzig 2004

Wibke Bruhns: Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie. Berlin 2004

Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. Berlin 2006 (9. Auflage)

Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. Berlin 1994

Friedrich-Wilhelm von Hase (Hg.): Hitlers Rache. Stiftung Christliche Medien 2014

Peter Hoffmann: Stauffenberg und der 20. Juli 1944. 2. Auflage. München 2007

Peter Longerich: Heinrich Himmler. Zweite Auflage, Pantheon – Ausgabe Mai 2010

Eva Madelung und Joachim Scholtyseck: Heldenkinder, Verräterkinder. München 2007

Dorothee von Meding: Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli. Berlin 1992

Konstanze von Schulthess: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt. München und Zürich 2008

Eberhard Zeller: Oberst Claus Graf Stauffenberg. Ein Lebensbild. Paderborn, München, Wien, Zürich 1994

Vierteljahresheft für Zeitgeschichte 1 (1953)

Der Spiegel 17/2008. Der Tragödie zweiter Teil. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-56670345.htm...


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