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Sebastian Hennig

Kennst du Theodor Fontane?

Vom jungen Apotheker über den Balladendichter und Journalisten wurde Fontane zum gefeierten Reiseberichtautor und späten Romancier. Das Buch begleitet den Autor auf seinem Weg und stellt gleichzeitig die Frage: Was können uns Fontanes Beobachtungen heute noch sagen?

Das Weihnachtsgeschenk

Das Weihnachtsgeschenk

Johann Georg Theodor Gräße

Wenn man von Budissin nach Görlitz geht, erblickt man unweit des Pfarrdorfes Krischa linker Hand einen mit Nadel- und Laubholz bepflanzten Platz, auf dem vor nun über hundert Jahren noch eine Betsäule stand, die eine nicht mehr lesbare Inschrift trug. Darüber wird erzählt: Es soll einst am heiligen Christabend ein armer Bürger aus Budissin nach Görlitz gegangen sein, um dort einiges Geld für von ihm dorthin gelieferte Arbeit zu holen. Allein wie wars ihm, als er das Geld nicht erhielt und dadurch seine Hoffnung, für seine sechs kleinen Kinder einige Christstollen zu kaufen, in den Born fiel. Traurig und mit banger Sorge vor dem kommenden Winter kehrte er in später Abendstunde in seine Vaterstadt zurück; da sah er , dass das rechts bei Krischa liegende Gebüsch mit einer Anzahl heller Lichter erleuchtet war. Er begriff allerdings nicht, was dies sein könnte, allein er fasste sich ein Herz und ging mutig auf das Gebüsch los, um zu sehen, was die Lichter zu bedeuten hätten. Da trat ihm am Eingang desselben ein kleines, kaum vier Spannen hohes Männchen entgegen, grüßte ihn und rief ihm zu, er möge nur näher kommen, es sein ihm heute eine große Freude beschert.

Görlitz 1575.
Görlitz 1575.

 

Der arme Mann ließ sich dies auch nicht zweimal sagen. Er trat unter die Bäume und sah die kleinen Fichten ganz wie die Lichterbäume in der Stadt mit Äpfeln, Nüssen, Mandeln, Zuckerwerk und Honigkuchen behangen. Das Männchen lud ihn nun ein, sich davon soviel zu nehmen, als er wolle, um seinen Leuten zu Hause eine Weihnachtsfreude zu bereiten, und so füllte er sich denn den Sack, den er zum Tragen der Stollen bestimmt gehabt hatte, mit diesen wunderlichen Weihnachtsgaben an und machte sich auf den Weg nach Hause, nachdem er noch ausdrücklich, die Lichter hatte auslöschen sehen. Je näher er aber auf die Stadt zukam, desto schwerer ward der Sack, und kaum vermochte er sein Haus zu erreichen; doch hütete er sich wohl, etwas aus dem Sack wegzuschütten, um sich seine Bürde zu erleichtern.

 

An der Tür kamen ihm schon seine Kleinen entgegen, die lange schon auf ihn gelauert hatten, weil sie wussten, dass er ihnen einen heiligen Christ hatte mitbringen wollen. Schnell warf er nun den Sack von den müden Schultern, allein wie ward ihm, als beim Öffnen statt der Äpfel, Nüsse usw., die er darin zu finden glaubte, eine Masse alter Goldmünzen heraus kullerten. Damit war all ihre Not zu Ende. Nun konnte er seinen Kindern nicht nur Christstollen, sondern überhaupt alles kaufen, was sich sein Herz wünschte. Er wendete aber das Geschenk des kleinen Männchens wohl an; er errichtete zur Erinnerung an die himmlische Weihnachtsbescherung an jener Stelle eine Betsäule, trieb sein Handwerk – er war Strumpfwirker – dermaßen ins Große, dass es überhaupt in seiner Vaterstadt gehörig in Schwung kam. Er wurde der Ahnherr einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien der Stadt.

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