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Die Fibel zum Dresdner Schriftspracherwerb

Die Fibel ist eine farbenfrohe leseanregende Ergänzung zur Arbeit mit den Schülerarbeitsheften des Dresdner Schriftspracherwerbs. Auch sie basiert auf der gleichen Buchstabenprogression und arbeitet mit Lautzeichen. Zur besseren Lesbarkeit sind die Silben konsequent farbig abgesetzt.

Untaugliche Pfarrer  mussten gehen

Untaugliche Pfarrer mussten gehen

Friedrich Ekkehard Vollbach

Kurze Information über den Anlass und über einige Ergebnisse der 1. Visitation im Hochstift Merseburg (1544 – 1545) nach der Einführung der Reformation

Was ist der Unterschied zwischen einer Visite und einer Visitation? Ganz einfach, erklärt die Frau: Wenn meine Mutter kommt, ist das eine Visite (ein Besuch), wenn aber meine Schwiegermutter kommt, ist das eine Visitation (eine Kontrolle).

Martin Luther 1555. Gemälde von Lucas Cranach d. J.(Werkst.)
Martin Luther 1555. Gemälde von Lucas Cranach d. J.(Werkst.)

Die Krise der spätmittelalterlichen Gesellschaft hatte auch Einfluss auf die vorreformatorische Kirche, deren Kleriker immer wieder zu Klagen Anlass gaben. Einer der Meißener Bischöfe klagte über die Konkubinatsverhältnisse vieler Pfarrer in seinem Amtsbereich, als ihm bewusst wurde:

Unsere Pfarrer sind fast sämtlich Konkubinarien" (haben außereheliche Liebesbeziehungen).

Die Pfarrer waren oft ungebildet. Sie konnten gerade noch die Messe lesen, die kirchlichen Riten vollziehen und die nötigsten Verwaltungsarbeiten erledigen. Und viele Kleriker waren unfähig, eine Predigt zu halten. Mit der Einführung der Reformation war darum auch eine grundlegende Reform der Pfarrerschaft dringend nötig. Diese Aufgabe lag Martin Luther sehr am Herzen. Und dabei ging es nicht allein darum, der sittlichen Verwahrlosung Einhalt zu gebieten, sondern auch um die wichtige Aufgabe, den Bildungsstand der nun lutherischen Pfarrer zu heben. Zur zentralen Forderung der Wittenberger Reformatoren gehörte mithin eine fundierte theologische Ausbildung auch der Pastoren, die künftig in Dörfern tätig sein werden.

Natürlich war es unmöglich, dieses Programm binnen kurzer Zeit in die Praxis umzusetzen. Die Reformatoren waren aus objektiven Gründen gezwungen, mit Notlösungen vorlieb zu nehmen. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Anstellung neuer Pfarrer aber war, dass sie fromme Männer und der lutherischen Lehre verbunden waren. Allerdings gehörten die meisten der Berufenen nicht gerade zur Bildungselite. Viele verfügten lediglich über ein Minimum an Wissen.

Der Kirchenhistoriker Friedrich Wilhelm Kantzenbach hat auf Grund des Wittenberger Ordiniertenbuches, in dem bis 1560 alle 2000 Pfarrer eingetragen sind, die in ein Pfarramt eingesetzt wurden, Folgendes herausgefunden:
579 der Neuen waren bisher Schullehrer oder Kantoren, 209 Küster, 33 Stadtschreiber und 22 vorher Tuchmacher. 18 arbeiteten erst als Drucker und Setzer, je 8 als Schuster oder Buchbinder. Selbst 1 Barbier und 1 Zuckermacher wurden in das Pfarramt berufen.So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die Amtsführung Einzelner Anlass zu Klagen gab, wie sich bei den in Sachsen seit 1526 durchgeführten Visitationen zeigte.

Philipp Melanchthon 1543. Gemälde von Lucas Cranach d. Ä.
Philipp Melanchthon 1543. Gemälde von Lucas Cranach d. Ä.

Der Brief Martin Luthers vom 31. Oktober 1525 gab den entscheidenden Anstoß dazu, durch kontrollierende Gemeindebesuche Defizite, Missstände und Probleme aufzuspüren und zu beheben. Dazu benötigten die Visitatoren allerdings eine verbindliche Richtschnur, mit deren Hilfe die Pfarrer geprüft, ermahnt und belehrt werden sollten.

Philipp Melanchthon, Johann Bugenhagen und Georg Spalatin unterzogen sich dieser Aufgabe. Nach mehreren fachlichen Prüfungen und den nötigen Abstimmungen mit den kurfürstlichen Räten und dem Kurfürsten selbst konnte der „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen" mit einer Vorrede Martin Luthers zum Gebrauch freigegeben werden.

Die Visitation im Hochstift Merseburg begann erst im September 1544 und zog sich bis zum Mai 1545 hin. In den Visitationsakten, die - wie damals üblich - in lateinischer Sprache verfasst wurden, werden auch Dörfer genannt, die heute zum Freistaat Sachsen gehören und seit 1815 weder kirchlich noch politisch mit Merseburg verbunden sind. Es handelt sich um die Orte Altranstädt (heute OT von Markranstädt), Bösdorf (devastiert, d. h. zerstört), Dölzig, Eythra (devastiert, d. h. zerstört), Großzschocher, Gundorf, Kleinzschocher, Knautnaundorf, Lausen, Priesteblich (OT von Markranstädt), Rückmarsdorf, Quesitz und Zwenkau. Auf diese Gemeinden soll sich der vorliegende Bericht beschränken.

Die Visitatoren rügen immer wieder Pfarrer wegen ihrer mangelnden Bibelkenntnis und weil sie die Bibel nicht regelmäßig lesen.Das betrifft zum Beispiel den Pfarrer Johannes Frischmann in Eythra, von dem es heißt:

Er ist ein alter Mann und hat keine genaue Kenntnis der Schrift (Bibel)."

Und über den Pfarrer von Altranstädt wird berichtet:

„... aber er konnte keine Stelle in der Schrift dafür anführen, und wir haben ihn getadelt, dass er niemals den Text der Schrift liest, was er selber später zugegeben hat. Aber wenn wir ihn öffentlich reden lassen, dann soll er wenigstens zu den Postillen des Corvinus (1501 - 1553, populärster Postillenautor der damaligen Zeit) Zuflucht nehmen..."

Auch der Gundorfer Pfarrer „kennt den Text der Schrift nicht. Obwohl er natürlich zustimmen muss, dass Christus für uns gestorben ist, kannte er sich im Text nicht aus. Das Fazit: Er ist völlig ungeeignet. Ihm wurde eine Frist von einigen Monaten eingeräumt."

Der Anfang der Gutenberg-Bibel. Bild: via Wikimedia Commons, gemeinfrei.
Der Anfang der Gutenberg-Bibel. Bild: via Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Schon seit langer Zeit gab es für Menschen, die nicht lesen und schreiben konnten oder zu arm waren, um eine Bibel kaufen zu können, in den Kirchen Glasfenster, Wand - und Deckengemälde mit biblischen Darstellungen (sog. biblia pauperum). Außerdem hörte man biblische Geschichten und erzählte sie weiter. Dadurch waren viele Bibeltexte den meisten Leuten bekannt.

Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments erschien im September 1522 in einer Auflage von etwa 3000 Exemplaren. Das Buch war nicht ganz billig. Es kostete 1 Gulden bzw. 1,5 Gulden. (Versuch einer Wertbestimmung: 1 Gulden = 3,5 gr. Feingold = 240 Pfennige. 1540 verdiente ein Zimmermann in Dresden am Tage 12 Pfennige. Ein Huhn kostete 8 Pfennige und ein Scheffel Gerste 144 Pfennige.) Der einfache Mann konnte sich kaum ein Neues Testament, geschweige denn eine Vollbibel leisten. Mithin scheint es nicht nur am Unvermögen und an der Faulheit der Pfarrer zu liegen, dass ihre Schriftkenntnisse zu wünschen übrig ließen.

Kaum zu entschuldigen aber war die Tatsache, dass einige Pfarrer weder die 10 Gebote noch deren Erklärung durch Martin Luther beherrschten.Bereits 1529 hatte Luther den Kleinen Katechismus verfasst, um damit den Pfarrern eine Hilfe für den Unterricht zu geben und den Familienvätern eine Richtlinie zur Belehrung der Familienmitglieder.

Zu den in dieser Hinsicht Gerügten gehörte der Pfarrer von Kleinzschocher. Über ihn urteilten die Visitatoren:

Er „konnte den Dekalog (10 Gebote) nicht lateinisch aufsagen, auf Deutsch trug er ihn verstümmelt vor. Mit Ausnahme des 1. Gebots und dessen Erklärung Martin Luthers kannte er keine weitere Erklärung".

Auch der Pfarrer in Schkeitbar (heute OT von Markranstädt) „konnte die Worte des Dekalogs nicht richtig vortragen... Er hat Besserung versprochen und ist daraufhin weiter im Amt belassen worden bis zur nächsten Visitation".

Ähnlich lautet das Urteil über den Pfarrer in Röcken (heute Kreis Weißenfels): „Er kennt den Dekalog nicht; erstens konnte er den Text nicht aufsagen und dann noch in so schrecklichem Latein... Die Bauern waren genauso unwissend wie der Pastor selber, aber sie haben Besserung versprochen."

Kirche zu Röcken. Foto: Archiv U. u. H. Drechsel.
Kirche zu Röcken. Foto: Archiv U. u. H. Drechsel.

Ähnlich lautet das Urteil über den Pfarrer in Röcken (heute Kreis Weißenfels): „Er kennt den Dekalog nicht; erstens konnte er den Text nicht aufsagen und dann noch in so schrecklichem Latein... Die Bauern waren genauso unwissend wie der Pastor selber, aber sie haben Besserung versprochen."

Erhebliche Defizite stellten die Visitatoren auch beim theologischen Wissen der Pfarrherren fest. Obwohl die Lehre Martin Luthers das Kernstück ihrer Verkündigung und ihres Glaubens sein sollte, kannten sich manche auf diesem Gebiet nur sehr mäßig aus.

Zu ihrer Entlastung muss aber gesagt werden, viele dieser neuen Pfarrer lebten in bitterer Armut. Luther hatte zwar dafür gesorgt, dass ein gewisses Einkommen aus säkularisierten Klostergütern den Pfarrern zu Gute kommen sollen, doch was die Einzelnen wirklich erhielten, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Hunger war in vielen Dorfpfarrhäusern ständig präsent. Um einigermaßen über die Runden zu kommen, musste der Pfarrherr sich intensiv um Garten, Feld und Stall kümmern. Da blieb kaum Zeit zum Selbststudium.

Zu diesen theologisch ungebildeten Geistlichen gehörte der Pfarrer in Bösdorf, dem bescheinigt wurde: „Er ist sehr dumm, ungebildet und ungeeignet. Nichts weiß er sicher über irgendeine Stelle der christlichen Lehre."

Konsequenzen hatte seine Unkenntnis für den Pfarrer in Priesteblich:

Der... kann keine Stelle über die Buße aus dem Evangelium zitieren, wo natürlich geschrieben steht, dass wir Buße tun müssen. Nichts weiß er vom Gesetz. Über das Sakrament (Taufe, Abendmahl) weiß er auch recht wenig. Er ist weiter geprüft worden, war dort aber genauso unwissend wie bei den vorigen Dingen. Er ist aus der Pfarrstelle entfernt worden, mit der Maßgabe, dass er wieder eingesetzt werden kann, wenn er den Küsterdienst verrichtet und die Knaben den Katechismus lehrt."

Kirche zu Quesitz. Foto: Urheber Tnemtsoni  via Wikimedia Commons.
Kirche zu Quesitz. Foto: Urheber Tnemtsoni via Wikimedia Commons.

Natürlich gab es auch eine ganze Reihe Pfarrer, die über eine ausreichende theologische Bildung verfügte.
In Lausen war ein solcher tätig. Er wird von den Visitatoren gelobt: „Der Pfarrer wohnt in Lausen. Er ist recht gebildet und sorgsam beim Lehren des Gotteswortes und er hat einen guten Leumund."

Positiv ist auch die Beurteilung des Pfarrers zu Quesitz , wenn es heißt:

„Der Pfarrer ist, bevor er in die Pfarrstelle eingesetzt worden ist, hinreichend geprüft worden und hat richtig geantwortet. Weil wir durch die Fülle der Aufgaben gehindert sind, ihn zu examinieren, haben wir ihn jetzt ausgelassen, in der Hoffnung, dass er sich weiterhin gut macht."

Manche der in ein Pfarramt Übernommenen führten ihr bisheriges Leben einfach fort, ohne den sittlichen Verpflichtungen ihres neuen Berufs Rechnung zu tragen.
Dazu gehörte der Pfarrer Sigismund Schöne in Kreypau (OT von Leuna), der nicht nur „unwissend im Wort (Gottes), sondern außerdem ein schlimmer concubinarius (im Konkubinat lebend) ist. Er hat eine Konkubine (Geliebte), von der er sechs Kinder hat, die aber verstorben sind.

Weder hat er die Felder in diesem Herbst bestellt, noch hat er sie gedüngt, noch hat er in den ganzen sechs Jahren (seines Hierseins) seine Äcker irgendwie verbessert."

Nicht nur der Lebenswandel und die Lehre stehen auf dem Prüfstand, auch Fleiß und die äußeren Lebensbedingungen. Die Visitatoren kehren die festgestellten Probleme nicht einfach unter den Teppich, sondern sie benennen die Defizite und Schwachstellen der einzelnen Pfarrer sehr deutlich und scheuen auch nicht vor den notwendigen Konsequenzen zurück.

Biene beim Pollensammeln auf Löwenzahn mit "vollen Höschen". Foto: Wikimedia Commons, gemeinfrei.
Biene beim Pollensammeln auf Löwenzahn mit "vollen Höschen". Foto: Wikimedia Commons, gemeinfrei.

Ein Beispiel dafür ist das Urteil über den Pfarrer zu Knautnaudorf, „der ... ist ein alter Papist, er weiß nichts. Doch er will gehen, wenn ihm seine Kosten zurückerstattet würden".

Seine Stelle soll Friedrich Metz, der 2. Pfarrer in Lützen übernehmen:

„Er ist erträglich in der Lehre; dennoch muss er sich mehr Mühe geben, die Schrift zu studieren, besonders die Genesis (1. Buch Mose), das Matthäus -

Evangelium und den Brief (des Paulus) an die Römer muss er lesen."

Es wird noch bis in das 18. Jahrhundert hinein dauern, ehe auch auf dem platten Lande kluge und gut ausgebildete Pfarrer tätig sind. Und eine ganze Reihe von ihnen wird ab dem 18. Jahrhundert neben der Theologie auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen (zum Beispiel Ackerbau, Ornithologie, Imkerei, Naturheilkunde) Bahnbrechendes leisten.

Quellen:

P. Flemming, Die erste Visitation im Hochstift Merseburg, in: Zeitschrift für Kirchengeschichtre der Provinz Sachsen, 1906
F.W. Kantzenbach, Geist und Religion der Neuzeit, Bd1: Transformation des Reformatorischen von Luther bis Herder, Bertuch, Weimar, 1991
G. Wartenberg, Unterricht der Visitatoren, in: U. Delius, M. Luther Studienmausgabe, Bd 3, Evang. Verlagsanstalt, Leipzig, 1983

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