Sachsen-Lese

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Magisches Lesevergnügen bietet Ingrid Annels Jugendroman, der den Leser auf eine Zeitreise ins Mittelalter führt.

 

Besuch der Bildergalerie in Dresden

Besuch der Bildergalerie in Dresden

Hans Christian Andersen

Der Autor ist uns als dänischer Schriftsteller von Märchen bekannt, er schrieb 168 Märchen, die Kinder auf der ganzen Welt lasen und lesen. Die Werke sind in 80 Sprachen übersetzt worden. Sein Leben könnte mit dem Satz beginnen: „Es war einmal...“, denn er selbst bezeichnete sein Leben als ein Märchen. Er kam aus größter Armut in der Kindheit zu großartigen Erfolgen als Schriftsteller, die mit glanzvollen Ehrungen bedacht worden sind. Anfang der 1830er Jahre unternahm er große Reisen, so auch nach Deutschland 1831. Sie führte ihn nach Lübeck, Hamburg und auf den Spuren von Goethe und Heine in den Harz, danach nach Leipzig und Dresden und in die Sächsische Schweiz. Seine Eindrücke schilderte er in dem Reisetagebuch „Schattenbilder einer Reise in den Harz, die Sächsische Schweiz etc. etc. im Sommer 1831“. Ein Höhepunkt dieser Reise war ein Besuch der Stadt Dresden, deren Sehenswürdigkeiten Anderson in vollen Zügen genoss.

Ursula Brekle

Mit Dahl, dem dänischen Gesandten und den beiden Norwegern ging ich nun nach der Bildergalerie. In mehreren Sälen lagen die Bilder auf der Erde hingestreckt, aber in den meisten waren sie schon geordnet und aufgehängt. Welch eine Masse von Kunstwerken!

Sixtinische Madonna. Gemälde von Raffael 1512/1513
Sixtinische Madonna. Gemälde von Raffael 1512/1513

Was soll ich zuerst erwähnen von den großen Einzelheiten, die den tiefsten Eindruck auf mich machten? Doch kann ich noch fragen? Raffaels Madonna! Ich durchflog die Säle, um dieses Bild zu fin den, und als ich vor demselben stand,da setzte es mich gar nicht in Erstaunen. Es kam mir wie ein gewöhnliches Frauengesicht vor, aber nicht schöner, wie ich sie oft gesehen. Ist dies das weltberühmte Bild? dachte ich, und wollte damit überrascht werden, es zu sehen, aber es blieb in meinen Augen doch dasselbe. Es kam mir sogar vor,als ob mehrere Madonnenbilder, mehrere weibliche Gesichter auf dieser Galerie viel schöner seien; nun ging ich zu diesem zurück — aber da fiel mir der Schleier von den Augen, die sahen jetzt wie Menschengesichter aus, denn ich hatte das Göttliche selbst gesehen. Ich trat jetzt wieder vor sie hin, und nun erst fühlte ich das unendlich Wahre und Herrliche in diesem Bilde. Es ist nichts daran, was frappiert, nichts was blendet, aber je aufmerksamer man die Mutter und das Christuskind betrachtet, desto göttlicher werden sie. Ein so überirdisches, kindliches Gesicht hat kein Weib, und doch ist es die reine Natur. Es kam mir vor, als ob jedes fromme, unschuldige Mädchengesicht etwas Ähnliches mit diesem habe, dass dies aber das Ideal sei, nach dem die andern strebten . Nicht Liebe, aber Anbetung rief dieser Blick hervor. Nun erst ward es mir klar, wie der vernünftige Katholik vor einem Bilde knien kann. Es sind nicht die Farben auf der Leinwand, die er anbetet, es ist der Geist, der göttliche Geist, der sich hier leibhaftig offenbart vor dem leibhaftigen Auge, während die mächtigen Orgeltöne über ihn hinbrausen und die Dissonanzen der Seele auflösen, so dass eine Harmonie zwischen dem Irdischen und dem Ewigen entsteht.
Die Zeit hat die Farben auf dem Bilde gebleicht, aber dennoch scheint alles zu leben; die große Glorie von Engelköpfen entwickelt sich mehr und mehr, und in dem Blick des Christuskindes sammelt sich der ganze, große Ausdruck; einen solchen Blick, ein so kluges Auge hat kein Kind, und dennoch ist es das natürlich kindliche, was uns hier so tief ergreift. Und nun die lieblichen Engelkinder unten! Sie stehen da wie ein hübsches Bild irdischer Unschuld; mit kindlicher Ruhe sieht das jüngere vor sich hin, während das ältere den Blick zu den Himmlischen über sich erhebt. Dieses eine Bild würde die Galerie berühmt machen, so wie dieses eine hinreicht, seinen Meister unsterblich zu machen.

Madonna des Hl. Sebastian. Gemälde von Antonio Allegri da Correggio
Madonna des Hl. Sebastian. Gemälde von Antonio Allegri da Correggio

In demselben Saal hingen noch drei Meisterwerke; hier war Corregios Nacht, eine poetische Idee, herrlich aufgefasst und durchgeführt. Das Licht strömt von Jesus aus über alle die andern rings umher. Namentlich frappierte mich eine weibliche Figur, welche die Hand vor die Augen hält und sich von dem starken, blendenden Licht halb abwendet. Die Meister pflegen dieses Stück unter den Arbeiten dieses großen Meisters obenan zu stellen, aber ich ziehe doch den heiligen Sebastian vor, der ebenfalls seinen Platz in diesem Saal hatte.Welche herrliche Gruppen von Engeln! Sie schreiten auf den leichten Wolken herab um den frommen Märtyrer mit dem ruhigen,begeisterten Blick.Noch befand sich hier ein Stück, das ich das Vierte von diesen Gott beseelten Bildern nennen zu dürfen glaube: ein Christus von Carlo Dolci; Hoheit und Schmerz waren in diesem edlen‚ Gott ergebenen Gesicht miteinander verschmolzen.

Ich ging von Saal zu Saal und besah alle die großen Kunstschätze, aber stets musste ich wieder zu diesen vier Schätzen zurück, zu Raffaels Madonna und Corregios Engelgruppen. Doch bewahre ich aus meinem ersten Besuch auf der Galerie auch noch den Eindruck von andern vortrefflichen Bildern.

„Das Weltgericht“ von Rubens, auf dem er seine drei Frauen im Porträt angebracht hat; zwei werden von Engeln in den Himmel getragen, die dritte dagegen schleppt der Teufel in die Unterwelt hinab. Rubens selbst sitzt auf seinem Grabe. Niemand scheint ihn zu beachten‚er ist in tiefe Gedanken versunken; wahrscheinlich sinnt er darüber nach,wohin er kommen wird, und erwartet nun ruhig sein Schicksal.

Auf einem Bilde von Bassano, das die Arche Noah vorstellte, war es sehr komisch, dass das Schwein zuerst hinein getrieben ward und also den ersten Platz bekam.

Geistig ermüdet von dem Genuss aller dieser Herrlichkeit und körperlich matt von dem vielen Herumlaufen verließ ich die Galerie, um sie bald wieder zu besuchen.

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