Die Kunst soll „nicht eine bloße Geschicklichkeit“ sein, wie „selbst viele Mahler zu glauben scheinen“, „sondern so eigendlich, und so recht eigendlich, die Sprache unserer Empfindung, unserer Gemüthsstimmung, ja selbst unserer Andacht“ und das heißt sie sollte auch „unser Gebeth sein“. (Caspar David Friedrich um 1830.) (2; S. 114.)
Als der Maler Caspar David Friedrich am 19. April 1820 in seinem Atelier in Dresden Besuch erhielt, zeigte er den Gästen die Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (1819) (Albertinum in Dresden) und die Schwäne im Schilf (1819-20) (Freies Deutsches Hochstift zu Frankfurt am Main). Der Künstler kommentierte das Schwanenbild mit der schmalen Mondsichel in Worten, die bis heute Kirchgänger wie Konfessionslose überraschen sollten: „Das Göttliche ist überall, auch im Sandkorn; da habe ich es einmal im Schilfe dargestellt.“ (3; S. 88.) Das Göttliche nicht im Gesicht eines bärtigen alten Mannes, sondern im schwankenden Schilf und im Mondlicht zu verorten und zu entdecken, das entsprang einer Rede von Gott, die mit der religiösen Tradition brach, um sie im Zeitalter der Französischen Revolution mit den Mitteln der Malerei auf eine kluge wie selbstbewusste Weise zu erneuern. Noch der 60-jährige Künstler ließ in dem Werk Meeresufer im Mondschein (1836) (Hamburger Kunsthalle) in einer Nacht mit weißlicher Horizontlinie aufscheinen, dass sich unser Menschenleben in seinen Höhen und Tiefen in einem sichtbaren irdischen Zuhause vollzieht. Bei einem derartigen Werk ging es Friedrich nicht um die Nachahmung der Natur, sondern er wollte – wie er um 1830 formulierte - den „Geist der Natur erkennen und mit ganzem Herzen und Gemüth durchdringen“, weshalb er über den Sinn von Malerei den Grundsatz notierte: „Nicht die treue Darstellung von Luft, Wasser, Felsen und Bäume ist die Aufgabe des Bildners sondern seine Seele sein(e) Empfindung soll sich darin wiederspiegeln.“ (2; S. 57.)
Bekanntheit hatte der in Pommern gebürtige und in Sachsen lebende Maler erlangt, als im Jahr 1810 zwei seiner Werke in der Berliner Akademieausstellung großen Erfolg hatten. Der preußische König erwarb ein ungewöhnliches Bildpaar für den 15-jährigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV.. Bei den Arbeiten „auf Leinwand von derselben Stoffbahn“, worauf Boris von Brauchitsch in seiner Biografie über Caspar David Friedrich (2023) aufmerksam macht, handelte es sich um das Werk Der Mönch am Meer (1809-10) (Alte Nationalgalerie in Berlin) und das Bild Die Abtei im Eichwald (1810) (Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Schloß Charlottenburg in Berlin). (1; S. 89.) Über den Mönch am Meer schwieg sich Friedrich nicht aus. Er wählte für sein Werk Worte, mit denen er die Winzigkeit und die Vergänglichkeit des Menschen herausstellte. Dabei redete Friedrich so, als könnte er die Gedanken des einsamen Mannes mit dem langen Gewand an der Strandspitze lesen. An uns Betrachter im Rücken des Mönches gerichtet, der allein und klein vor dem dunklen und wogenden Meer steht, sagte Caspar David Friedrich: „Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte: doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thöriger Mensch, voll eitlem Dünkel!“ (1; S. 88.) Die Botschaft lautet bis in unsere Tage: Nimm dich weniger wichtig! Vermeide Überheblichkeit! Bedenke deine Zerbrechlichkeit! - Menschen sind zum Handeln geboren und sie sind Freiheitswesen. Dennoch ist ihr Leben endlich und ihre Spur im Sande vergänglich. Friedrich führte vor Augen, dass zu einem gelingenden Leben immer auch Bescheidenheit und Vorsicht und vor allem auch Dankbarkeit gehören. Der Maler Friedrich in Dresden, der seine pommerschen Wurzeln im Laufe seines Lebens in Sachsen nicht verkümmern ließ, sah den Mönch am Meer als eine „Demutsbekundung“ an, wie Boris von Brauchitsch formuliert. (1; S. 88.) Das Bewusstsein für die Widerfahrnisse des Menschenlebens zieht sich wie ein roter Faden durch das Schaffen des Malers. Nicht nur Der Mönch am Meer, sondern auch Das Eismeer (Gescheiterte Hoffnung) (1823/24) (Hamburger Kunsthalle) und Das brennende Neubrandenburg (um 1834) (Hamburger Kunsthalle) zeigen machtvolle katastrophale Geschehnisse, die den Menschen über den Kopf wachsen und die nicht vom einzelnen Individuum kontrolliert werden können. In der Sprache der Kunst mahnte Friedrich, dass die Dämonisierungen des Menschen zum Alleswisser und Alleskönner oder zum Beherrscher von Natur und Gesellschaft eine Illusion beinhaltet. In der Überhöhung der menschlichen Macht steckt eine große Gefährdung, die gerade auch in der heutigen wissenschaftlich-technischen Welt den Menschen Kopf und Kragen kosten kann.
Nicht nur Fluss- und Meermotive malte Friedrich als Sehnsuchtsorte, sondern auch Gebirgslandschaften. Der Wanderer über dem Nebelmeer (Hamburger Kunsthalle) entstand um 1818, das Werk Der Watzmann (Alte Nationalgalerie Berlin) nahm in den Jahren 1824-25 Gestalt an und das Gebirge bei aufsteigendem Nebel (Städel in Frankfurt am Main) schuf der Künstler cirka 1835. Doch die Küsten- und Hafenszenen nehmen im Schaffen Friedrichs einen noch zentraleren Platz ein. Große Berühmtheit erlangte der Kreidefelsen auf Rügen (Museum Oskar Reinhart in Winterthur) aus dem Jahr 1818. Das Werk mit der bizarren Küste von Rügen wird von den meisten Autoren als Hochzeitsbild gedeutet. Friedrichs Frau Caroline, die er am 21. Januar 1818 geheiratet hat, ist im linken Vordergrund in einem roten Kleid zu sehen, das sich leuchtend von den weißen Felsen abhebt. Die junge Frau hält sich mit einer Hand an einer Wurzel fest und schaut in den Abgrund. (1; S. 162.) Die Betrachter des Bildes sehen sie nur seitlich von hinten. Sie blicken im Unterschied zu ihr aber nicht nur in die Tiefe mit den kleineren, doch bedrohlichen Kreidefelsen, sondern auch in die Weite der See mit den beiden weißen Segeln. Für das Schaffen von Friedrich ist charakteristisch, dass Gebirgs- wie Küstenlandschaften als planetare Naturschauspiele entdeckt werden, die von der Morgen- bis zur Abendsonne und bis in die Mondscheinnächte hinein als die kosmische Heimat der Menschen hervortreten. Landschaft ist bei Friedrich Menschenwelt. Seine Landschaften sind selbst dann Lebensraum von Menschen, auch wenn wie bei dem Aquarell Kreidefelsen auf Rügen von 1815 oder 1826 (Museum der Bildenden Künste in Leipzig) gar keine Menschen zu sehen sind. Friedrich kultivierte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die künstlerische Tugend, durch die gezielte Darstellung von Landschaften die visuelle Wahrnehmung der Menschen, das Auge der Betrachter und den ästhetischen Sinn der Menschen gültig zu feiern. In seinen Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden argumentierte er um 1830, dass Kunst ein Mehr, einen Zuwachs an Sinn in das Wirkliche hineinträgt: „Ein Bild muß sich als Bild als Menschenwerk gleich darstellen; nicht aber als Natur täuschen wollen.“ (2; S. 86.) Ein Meerbild ohne Menschen ist nicht weniger Menschenwerk als eines mit Personal. Ein herausragendes Meerbildnis aus dem späten Schaffen von Friedrich sind Die Lebensstufen (Museum der Bildenden Künste in Leipzig), die um 1835 entstanden sind. Das Bild zeigt wie das Werk Schiffe im Hafen am Abend (um 1828) (Albertinum in Dresden) das Leben und Treiben an einer Küste bei einbrechender Dunkelheit. Auch Die Lebensstufen sind zunächst und vor allem ein abendliches Meeresbild. Hier ist es weniger ein Hafen, sondern eher „ein Platz, von dem der Schiffsverkehr gut zu beobachten ist“, wie Wieland Schmid schreibt. (3; S. 125.) Wobei der Autor nicht ausschließt, dass ein Ort gezeigt wird, an dem die Schiffe vor dem Einlaufen in den größeren Hafen einen Zwischenstopp einlegen konnten. Was sich hoch in den noch hellen Himmel erhebt, das sind nicht die Menschen im dunklen Vordergrund, sondern die Masten und Segel der fünf Schiffe da draußen auf dem fast grünlichen Meer. Wie beim Mönch am Meer sind die Menschen auch hier auf einer zum Meer hin leicht zugespitzten Landzunge versammelt. Ein kleine Gruppe von Menschen ist zu erkennen. Zwei Kinder und eine Frau sowie zwei Männer. „Fünf Menschen am Strand, fünf Schiffe auf dem Meer.“ (3; S. 124.) Wieland Schmid schätzt Die Lebensstufen als eines der „bedeutungsschwersten Bilder“, dessen „komplexe Aussage in allen Einzelheiten trotz vieler Interpretationsversuche noch nicht erschlossen ist“. (3; S. 124.)
Schrieb Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in Jena in sein System des transzendentalen Idealismus (1800) den Satz hinein, dass „die ästhetische Produktion von Freiheit ausgeht“, atmen auch die zahlreichen Notizen Friedrichs zur Malerei den Geist der Freiheit. Zu diesen Notizen gehört der aus der Erfahrung eines ganzen Malerlebens heraus formulierte Satz: „Des Künstlers Gefühl ist sein Gesetz.“ (1; S. 16 und 2; S. 24.) Friedrich formulierte dieses Statement auch um 1830 in seinen Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden. Das Gefühl des Künstlers ist nicht einfach nur eine Impression, sondern mehr ein Modus des Könnens und eine Weise des Wissens um das Wie. Die Rede vom Primat des Arbeitsgefühls im künstlerischen Schaffen erläuterte Friedrich mit einem Kommentar, in dem er die Autonomie und die Freiheit der Kunstschaffenden auf eindringliche Weise zur Sprache bringt: „Die reine Empfindung kann nie naturwidrig, immer nur naturgemeß sein. Nie aber darf das Gefühl eines andern uns als Gesetz aufgebürdet werden Geistige Verwandtschaft erzeugt. ehnliche Werke, aber diese Verwandtschaft ist weit entfernt von Nachäfferei.“ (2; S. 24.) Die Feier des eigenen Gefühls bei der künstlerischen Arbeit hat den Zweck, einer jeden Nachäfferei den Kampf anzusagen. Es ist dies eine Maxime des künstlerischen Schaffens, die ein Jahrhundert später von der Malerin Gabriele Münter auf den Satz runter gebrochen worden ist: „Ich male immer noch so, wie mir der Pinsel gewachsen ist.“ (4; S. 238.) Doch mit der Redewendung von Münter ist nicht die Herrschaft des Pinsels über den Pinsler gemeint, um wieder mit Friedrich in den Worten von 1830 zu sprechen, sondern nur der Grundsatz der Freiheit und Autonomie. Zu ihm bekannte sich Caspar David Friedrich mit den Worten: „Auf sein geistiges Selbst ist der Mensch der Mahler angewiesen.“ (2; S. 94.) Was über den Prozess des ästhetischen Schaffens einfach nur besagt: „Glücklich ist wo Kopf und Herz und Hand gleichen Schritt halten.“ (2; S. 96.)
Denken heißt Überschreiten, lehrte Ernst Bloch. Auch in den Notizen Friedrichs zur Malerei ist zu lernen, dass Kunst ein Überschreiten des Wirklichen freisetzt. Damit ist keine Weltflucht gemeint, sondern es wird einfach nur das Geistige als Ziel und Antrieb des künstlerischen Schaffens gewürdigt. Der streitbare Protestant und der gestandene Maler in Dresden wusste, wie dem Geistigen und auch dem Göttlichen in der Malerei nachgespürt werden kann. Friedrich notierte um 1830: „... ich glaube recht gern daß der Künstler unter Umständen etwas mehr sehen lassen muß als er in Wirklichkeit gesehen hat, um im Bilde zu befridigen“. (2; S. 81.) Zur Kunst gehört das Wagnis der Zuspitzung und der Blick für das Markante. Friedrich ist es jedenfalls in den verschiedenen Schaffensphasen immer wieder gelungen, zahlreiche überzeitliche Werke zu malen. Die sächsische Kunststadt an der Elbe hatte der Maler im Juli 1802 endgültig zum „Lebensmittelpunkt“ gemacht. (1; S. 39.) In Werken wie Der Mönch am Meer (1809-10), Der Wanderer über dem Nebelmeer (um 1818) und Die Lebensstufen (um 1835) können wir im Dialog mit Friedrich sehen und lernen, dass die Bio- und Soziosphäre der Menschen zwischen Himmel und Erde als eine Farb- und Lebenswelt voller Licht und Schatten pulsiert. Kunst als Geist, als Andacht oder gar als Gebet aufzufassen, wie es Caspar David Friedrich um 1830 in Dresden tat, ist kein altmodischer Kram, sondern eine erstaunlich moderne Auffassung: Ohne Konzentration auf das Wesentliche im Wirklichen tappen wir überall und in jedem und auch in der künstlerischen Arbeit immer nur im Dunkeln.
Literatur:
(1)
Brauchitsch, Boris von: Caspar David Friedrich. Biografie. Berlin 2023.
(2)
Friedrich, Caspar David Friedrich: Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden von größtentheils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern. Kritische Editionen des Künstlers und seiner Zeitzeugen I. Bearbeitet von Gerhard Eimer in Verbindung mit Günther Rath. Kunstgeschichtliches Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität 1999.
(3)
Schmied, Wieland: Caspar David Friedrich. Köln 2002.
(4)
Schury, Gudrun: Ich Weltkind. Gabriele Münter. Die Biografie. Berlin 2012.
11. Juni 2024
Bildnachweis
Kopfbild Kreidefels auf Rügen und
alle Abb. im Text aus Wikipedia, gemeinfrei.
Austellungen
Das Pommersche Landesmuseum in Greifswald, Geburtsstadt von Caspar David Friedrich, präsentiert eine Ausstellung unter dem Titel Sehnsuchtsorte. Dabei wird das Gemälde Kreidefelsen auf Rügen gezeigt. Die Sonerderausstellung im Jubiläumsjahr ist bis zum 6. Oktober 2024 geöffnet.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zeigen ab 24. August bis 17. November 2024 eine Jubiläumsausstellung des Malers mit 47 Gemälden. Dazu gehören die Werke Der Wanderer über dem Nebelmeer, Mondaufgang am Meer und Der Watzmann.