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Über Werte und Tugenden

Florian Russi

Mehr denn je wird über die althergebrachten Werte und Tugenden diskutiert. Sind Tugenden und Werte Begriffe aus der Klamottenkiste oder bestimmen sie auch heute noch unser Handeln? 

Ein  Blumenstrauß  für Gerhard Richter

Ein Blumenstrauß für Gerhard Richter

Dr. Konrad Lindner

 

"Ich fliehe jede Festlegung, ich weiß nicht, was ich will, ich bin inkonsequent, gleichgültig, passiv; ich mag das Unbestimmte und Uferlose und die fortwährende Unsicherheit.“ (Gerhard Richter im Jahr 1970. 4; S. 89.)

Gerhard Richter. (1)
Gerhard Richter. (1)

1. Werkschau

Zum 90. Geburtstag des Malers Gerhard Richter am 09. Februar 2022 erscheint ein Buch, das ich empfehlen möchte. Im Schirmer und Mosel Verlag in München wird in zweiter Auflage von Armin Zweite das Buch Gerhard Richter. Leben und Werk herausgegeben. Mit im Titel steht Richters Leitspruch: das denken ist beim malen das malen. - Dem Kunsthistoriker Armin Zweite gelang 2019 ein Buch, das eine wichtige Ergänzung zu den vorliegenden Richter-Biografien eröffnet. Die Studie kann als kunstphilosophischer Glückwunsch zum 90. Geburtstag von Richter und als eine umfassende Werkschau aufgefasst werden: Die verschiedenen Segmente im Schaffen von Richter stellt Zweite so vor, als würde es sich jeweils um Räume einer großen Ausstellung handeln.

Kölner Dom: Richter-Fenster an der Südseite bei Nacht. (2)
Kölner Dom: Richter-Fenster an der Südseite bei Nacht. (2)

2. Kunstgigant

Kommt die Rede auf Gerhard Richter und klickt man sich angefangen vom Wikipedia-Artikel durch das Internet, dann werden Superlative bemüht. Besonders gern werden die Verkaufserfolge gepriesen. Als mache der Markt den Meister. Aber sei es wie sei, Richter ist ein besonderer Künstler. Handelt es sich doch um einen Kunstgiganten, der vor allem Maler, aber auch Fotograf und Bildhauer ist. Dabei kommt aus der Perspektive des Freistaates Sachsen hinzu: Richter hat seine familiären und geistigen Wurzeln in Zittau und Dresden, wobei aber der nicht vorhersehbare Glücksfall hinzu kommt, dass er im magischen Jahr 1961 – wenige Monate vor dem Mauerbau - mit seiner ersten Frau Ema selbstbestimmt in die Welt und in den Westen und an die Kunstakademie nach Düsseldorf zog, um sich Bild für Bild eine Karriere und schließlich ein Werk mit Weltgeltung zu erarbeiten. Die Rede ist von einem Maler mit vielen Facetten. Die einen verharren in der Präsentation der Werke durch Zweite bei dem anschaulichen "Seestück" (4; 1970; 123) und die anderen interessieren sich für das symbolträchtige "Schwarz Rot Gold" (4; 1999; 92) im Reichstagsgebäude zu Berlin. Nicht wenige bestaunen sowohl die Sechs Farben (4; 1966; 36.) als auch das magische "Domfenster" (4; 2007; 94) zu Köln und wohl jeder verstummt bei der Begegnung mit den vier abstrakten dunkeltonigen Bildern, die an den Leidensort Birkenau (4; 2014; 225 – 228) erinnern und die gerade in Düsseldorf zu sehen sind. (5) Richter ist ein Künstler, dem sich mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ein neuer Zugang in seine Geburtsstadt eröffnete. Seit 2004 haben seine Arbeiten in den Räumen des Albertinums in Dresden einen Platz gefunden. Seit 2006 leitet Dietmar Elger das Gerhard Richter Archiv in der Kunststadt an der Elbe. Unter dem Titel Gerhard Richter – Porträts. Glas. Abstraktion zeigt das Albertinum anlässlich zu Richters 90. Geburtstag eine Jubiläumsausstellung. Dem Künstler gilt zu seinem Geburtstag am 9. Februar 2022 ein vielstimmiger Chor der Wertschätzung. Ist es doch ein Glücksfall, dass er sieben Jahrzehnte hindurch malend tätig sein konnte. Im Jahr 1951 begann Richter seine Ausbildung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden; von 1961 bis 1964 studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie, um an der Akademie in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens von 1971 bis 1993 eine Professur für Malerei auszuüben. Seit 1983 lebt Richter in Köln. (1) Aus einem Jugendlichen, der 1948 in Zittau die Handelsschule absolvierte, um sich anschließend zum Bühnen- und Werbemaler ausbilden zu lassen, reifte einer der bekanntesten lebenden Maler im heutigen Deutschland und in der internationalen Kunstszene. (1) Im Gegensatz zu Vincent van Gogh errang Richter mit seinen Bildern zu Lebzeiten eine vielseitige Anerkennung und internationale Verkaufserfolge.

Gerhard Richter. Leben und Werk (3)
Gerhard Richter. Leben und Werk (3)

3. Heterogenität

Wer mit dem Werk Richters nicht schon vertraut ist, der findet in der Studie von Zweite eine Hin- und Einführung. Der Autor schildert die Schaffensbiographie sowohl chronologisch als auch systematisch. Zweite psychologisiert in seinem Richter-Porträt nicht, sondern er schaut dem Maler auf die Hände und rückt das sichtbare Werk in den Mittelpunkt, um die Persönlichkeit des Malers aus dem Prozess seines Arbeitens heraus zu entdecken. Dem Autor liegt daran, die realen Bilder zu beschreiben. In seinem Buch sind insgesamt 250 Farbtafeln mit den Werken Richters versammelt. Durch die Analyse wird deutlich, dass Richter im Laufe von 70 Jahren einen heterogenen Werkekosmos erarbeitet hat. Beim Durchsehen der Arbeiten prallen die Eindrücke von reglos auf dem Boden liegenden Menschen wie in dem Ölgemälde Erschossener (4; 1988; 185.) mit dunstigen Berglandschaften wie Garmisch (4; 1981; 133.) oder mit dem Bild Wolke (4; 1970; 131.) zusammen, aber auch mit sich monoton wiederholenden molekularen Mustern wie Silikat (4; 2003; 217.). Im Werkeverlauf erscheint Brisantes aus der Zeitgeschichte wie der Rückblick auf die Ermordung von psychisch erkrankten Menschen im NS-Staat in dem Täterbild Herr Heyde (4; 1965; 26.) und wie das Projekt 18. Oktober 1977 mit den durchweg in Grau gehaltenen 15 Bildern zum Tod der RAF-Häftlinge in Stammheim (4; 1988; 181 – 195.). Zum Werkekosmos gehört aber auch Privates und Intimes wie in den Arbeiten Ema (Akt auf der Treppe) (4; 1966; 30.) und das innige Foto der jungen Mutter mit ihrem Kind im Arm, das mit roter Ölfarbe bekleckst ist (4; 9. November 1999; 234.) In die Fülle des scheinbar Auseinanderklaffenden trägt Zweite eine Ordnung hinein, ohne dabei die Differenzen wegzuwischen und etwa einen linearen Verlauf des Schaffens zu konstruieren. Der Autor untergliedert seinen Text in Abschnitte, die sich mit den verschiedenen Werksegmenten befassen; darunter: Farbtafeln, Glas und Spiegel, Installationen, Landschaften, Stillleben, Porträts, abstrakte Bilder und bemalte Fotos. Ein Vorgehen, das bei der Sichtung des Schaffens von Richter die Neugier weckt. Erblicke ich das aufmerksame und kritische große rechte Auge des siebzehnjährigen Richter, das in dem frühen "Selbstbildnis" (4; 1949; 173) beeindruckt, kann ich nicht wegblicken oder ausweichen. Das viel spätere "Selbstporträt" (4; 1996; 179.) wiederum ist ein Ölgemälde, das im Museum of Modern Art in New York hängt, und das auf den ersten Blick irritiert. Das Bild ist verschwommen. Doch die Umrisse des Kopfes und die Brille lassen eindeutig Gerhard Richter erkennen. Man hat den Eindruck, dass man den Maler selber durch eine Brille sieht, die mit falschen Gläsern bestückt ist. Durch das unscharfe Bild von Richter werden wir auf uns selbst und auf die Subjektivität unserer Wahrnehmung verwiesen.

4. Scheinen

Ich wollte noch nie die Realität ins Bild holen … das war nicht mein Anliegen. Aber den Schein der Realität, das schon. Das ist mein Thema und meine Aufgabe“, sagte Richter 2002 in einem Interview von sich. (4; S. 445.) Noch einige weitere Bekenntnisse des Malers zur Faszination des Scheinens trägt Zweite zusammen. In einem Interview von 1984 äußerte sich Richter wie folgt: „Vielleicht gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen gegenständlichen und ungegenständlichen Bildern ... Beides sind Bilder, d. h. egal was sie darstellen, sie tun es mit den gleichen Methoden: Sie scheinen; sie sind nicht das Dargestellte, sondern der Anschein davon ... “. (4; S. 470; Fussnote 53.) In der Schlussbemerkung seines Buches entwickelt Zweite die zusammenfassende Überlegung zu den Bildern Richters: "Ganz gleich, was die Bilder darstellen, ganz gleich, auf welchen formalen Prinzipien sie basieren, in ihnen verkörpert sich in erster Linie eine Illusion, die als 'Schein' zu bestimmen ist." (4; S. 445.) So richtig es ist, beim Blick sowohl auf gegenständliche als auch auf ungegenständliche Bilder den Fokus auf das Scheinen und somit auf unser Wahrnehmen von Licht, Farbe und Form zu richten, so schade ist es, dass Zweite nicht weiß und gar bestreitet, dass die Anmerkungen von Richter zum Scheinen mit den Aussagen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel zur Malerei übereinstimmen. Der Logiker und Philosoph besuchte im Spätsommer 1820 die Kunstsammlungen in Dresden. (8) Danach führte er in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Kunst im Wintersemester 1820/21 in Berlin aus, dass die Malerei auf der "Magie des Scheinens" beruhe. (6; S. 161.) Genau das sagt 200 Jahre nach Hegel auch Richter. Er äußert sich mit seinen Merksätzen zum Scheinen ähnlich wie Hegel. Wie Zweite würde sich auch Hegel aus seiner Ästhetik heraus für Werk und Wort von Richter interessieren. Eine Vermutung, in der auch Hegels Biograph Jürgen Kaube bestärkt, denn er macht in seinem Buch Hegels Welt (2020) darauf aufmerksam: "Hegel antizipiert geradezu gegenstandslose Kunst ...". (7; S. 382.)

Blumenstrauß für Gerhard Richter. (4)
Blumenstrauß für Gerhard Richter. (4)

 5. Blumenstrauß

Die Wissenschaft denkt nicht, ist bei Martin Heidegger zu lernen. Nicht die Wissenschaft, das Danken ist ein Ort des Denkens. Einem Künstler mit Weltgeltung wie Gerhard Richter zu seinem Ehrentag einen selber gemalten Blumenstrauß zu widmen, mag für Erstaunen sorgen. Aber ich tue genau das. Ich möchte dem Jubilar durchaus dankbar ein Aquarell widmen. In dem Buch von Zweite über Richter ist zu erfahren: Die Meisterschaft des namhaften Malers und Absolventen der Akademien in Dresden (gegründet 1764) und Düsseldorf (gegründet 1773) kann immer auch als eine Ermunterung zum eigenen Tun gesehen werden, auch wenn das Vermögen viel bescheidener ausfällt. Gelingt eine Skizze oder entsteht ein Bild, dann ist das ein Geschehen, das "dem Dasein, wenn nicht Sinn, dann wenigstens Trost spendet", sagte Richter im Jahr 2002. (4; S. 444.) Das Malen auch im Laienmilieu gehorcht dem Grundsatz der Praxis und erwächst aus der Freiheit des Vollzugs. Am 04. Februar 1962 schrieb Gerhard Richter in einem Brief an den Bildhauer Wieland Förster in Dresden über das Zusammenspiel von Denken und Malen: "Das Denken ist beim Malen das Malen ...". (4; S. 83.)

 

01. Februar 2022

 

6. Literatur:

(1)

Biographischer Artikel auf Wikipedia vgl. den Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Richter

(2)

Zum Gerhard Richter Archiv vgl. den Link:

https://gerhard-richter-archiv.skd.museum


(3)

Dietmar Elger: Gerhard Richter, Maler. DuMont Buchverlag GmbH Köln 2018.

(4)

Armin Zweite: Gerhard Richter. Leben und Werk. Das Denken ist beim Malen das Malen. Schirmer und Mosel Verlag München 2019.

(5)

Zum Birkenau-Zyklus, der bis zum 24. April 2022 in Düsseldorf gezeigt wird vgl. den Link: https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/gerhard-richter-ausstellung-120.html

(6)

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Herausgegeben von Niklas Hebing. Band 28,1. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1820/21 und 1823. Felix Meiner Verlag Hamburg 2015.

(7)

Jürgen Kaube: Hegels Welt. Rowohlt Verlag Berlin 2020.

(8)

Konrad Lindner: Laokoon und Sixtinische Madonna. Hegels Kunstreisen nach Dresden. In: Dresdener Kunstblätter 3/2017. Staatliche Kunstsammlungen Dresden. S. 23 – 33.

 

7. Danksagung:

Das Cover des Buches von Armin Zweite über Gerhard Richter stellte dankenswerter Weise Frau Marion Kagerer vom Schirmer und Mosel Verlag in München zur Verfügung.

 

Bildnachweis

(1) Empfang für Joachim Kardinal Meisner zum Abschied aus dem Amt nach 25 Jahren durch Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters im Hansasaal des Historischen Rathauses
Foto: Gerhard Richter, der Künstler des Richter-Fensters.

Urheber: "© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)"

(2) Kölner Dom. Richter-Fenster von außen bei Nacht.

Urheber: „© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)“

(3) Mosel Verlag, Genehmigung liegt vor.

(4)  Aquarell Konrad Lindner.

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