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Robert Schumann und die Literatur

Robert Schumann und die Literatur

Prof. Dr. habil. Helmut Loos

Quelle: wikipedia commons
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Ein Studium der Jurisprudenz an der Universität Leipzig lehnte Robert Schumann ab. Nicht, dass er es nicht versucht hätte! Auf Druck seiner Mutter schrieb er sich ein, aber es ist ungewiss, ob er jemals einen Hörsaal betreten hat. Theorie und wissenschaftliche Systematik waren Schumann ein Gräuel, das wahre Genie schafft seiner Auffassung nach allein aus sich und seinem Gefühl heraus. Vorbilder für diese Einstellung fand er bei bewunderten Literaten, die er im Hause seines Vaters, des Verlegers in Zwickau, von klein an sich aneignen durfte. Dass Schumann trotz seiner literarischen Begabung und seiner intensiven Beschäftigung mit Weltliteratur kein Dichter geworden ist, sondern sich erst recht spät zum Komponisten ausgebildet hat, ist zu guten Teilen dem Umstand geschuldet, dass er die Tonkünstler für einen "höher stehend" als die Dichter hielt. Er aber wollte ein großer Mann werden, da waren die Chancen als Musiker besser. Musik besaß für ihn eine besondere Würde im Sinne der romantischen Musikanschauung. Über Jean Paul war er mit der Philosophie von Friedrich Heinrich Jacobi in Berührung gekommen und hatte sich ganz dessen Gefühlsphilosophie angeschlossen, stand jeder Form des Rationalismus ablehnend gegenüber.

"Ach diese Theorie, diese ganze Theorie! Könnt' ich nur ein Genie seyn, um alle Lumpen damit todt zu machen, möchte ich sie nicht alle in eine Kanone laden u. irgend Etwas damit todtschießen!" (Tb 1,331) Oder: "Dem Zufall ist mehr aufgeschlossen als der Wissenschaft; der Theorie ist alles verhüllt, der Fantasie nichts---" (Tb I, 364). So lauten Eintragungen in Schumanns Tagebüchern. Die ausgeprägte Wissenschaftsfeindschaft ist Hintergrund für einen Irrationalismus, der sich in Schumanns bekanntem Diktum niedergeschlagen hat: "Die erste Konzeption ist immer die natürlichste und beste. Der Verstand irrt, das Gefühl nicht." (GS I, 25) Nichts wäre also verfehlter, als Schumanns Musikschrifttum, seine Artikel in der "Neuen Zeitschrift für Musik" (NZfM), als wissenschaftlich verbindliche Aussagen zu verstehen, er selbst wehrt sich dagegen: "Man hat den Herausgebern dieser Blätter den Vorwurf gemacht, daß sie die poetische Seite der Musik zum Schaden der wissenschaftlichen bearbeiten und ausbauen, [ .... ] Dieser Tadel enthält eben das, wodurch wir unser Blatt von andern unterschieden wissen möchten."

Seit seinen jungen Jahren war Schumann ein begeisterter Anhänger des Geniekults, seine frühen Tagebuchaufzeichnungen sind voller Schwärmereien über die genialen Jünglinge, die zu moralischen Männern werden. Mit diesen Allmachtsphantasien eines pubertierenden, präpotenten Jugendlichen ging die Gefühlsphilosophie Hand in Hand und lässt sich in Schumanns frühen Dramenfragmenten, in seiner Lyrik - etwa in "Allerley aus der Feder Roberts an der Mulde" - und in seinen Übersetzungen mühelos finden. Auch die frühen Hefte der "Motosammlung" sind hier zu berücksichtigen, wo sich Aufzeichnungen finden wie folgende aus Anne Louise Germaine de Staels (Madame de Staels) Italienroman "Corinna": "Die Wunder d[e]s Genies geben der Seele immer einen religiös[en] Eindruck." Bei aller Bewunderung für die kunstreiche Gestaltung in so jungen Jahren muss aber festgestellt werden, dass

Schumann diese Grundeinstellung und den Verbindlichkeitsanspruch bis in die späten Jahre hinein aufrecht erhalten hat. Einen höheren, idealen, genialen Jüngling sah er 1853 in Johannes Brahms wieder auferstanden, den er in dem berühmten Aufsatz "Neue Bahnen" mit religiöser Emphase als kommenden Erlöser (Messias) feierte. Er selbst war zu dieser Zeit in eine Phase abschließender Sammlung und Konsolidierung eingetreten und stellte seine "Gesammelten Schriften" zusammen. Daneben sammelte er auch eine ,,Anthologie fur Freunde der Literatur und Musik" mit dem Titel "Dichtergarten fur Musik", in der er die literarischen Heroen seiner Jugend nochmals vornahm und speziell auf ihre Aussagen über Musik hin las und auswählte. Schumann geht chronologisch vor und beginnt mit der griechischen Antike, Homer und Hesiod, lässt die mythischen Gestalten von Apoll über die Musen bis zu Orpheus als Zeugen auftreten. Aus der Bibel wählt er vor allem Stellen des Alten Testaments (darunter Jesus Sirach, in reformatorischen Kirchen als apokryph angesehen) und der Paulus-Briefe aus. Von Martin Luther mit seinen bekannten Lobsprüchen auf die Musik springt er gleich zu "Des Knaben Wunderhorn" und zu William Shakespeare, wo er auf Exzerpte des Jahres 1841 zurückgreifen konnte. Dann wird die Reihe Dichter, Leibnitz, Gluck, Klopstock, Lessing, Herder, Goethe und Schiller sind nur einige seiner Zeugen vor Jean Paul, dem er einen großen Umfang zugesteht. Ausschnitte u. a. aus "Hesperus", ,,siebenkäs", "Titan" und "Flegeljahre" mit Vult und Walt, deren Erfindung Schumann 1827 als "übermenschlich" (Tb I, 82) bezeichnet und bekanntlich nachgebildet hat, nimmt Schumann in den "Dichtergarten" auf bis hin zu dem Aufsatz "Die Tonkunst als das höchste Echo der Welt" und dem letzten, fragmentarischen Roman "Selina, oder über die Unsterblichkeit der Seele", Vorbild seines Jugendversuchs. Weiter geht es u. a. mit Beethovens drei Briefen an Bettina von Amim, von denen zwei als apokryph einzustufen sind und dem romantischen Beethovenbild zugerechnet werden müssen, bis hin zu den Dichtem aus Schumanns Gegenwart. Die Sammlung bildet ein eindrucksvolles Quellenwerk romantischer Musikanschauung, eine Belegsammlung des literarischen Mythos' Musik. Für Schumann stellt sie eine Selbst- und Rückversicherung dar, mit der er den von ihm eingeschlagenen Berufsweg legitimiert, dass es richtig war, von der Literatur zur höheren Kunst der Musik überzugehen.

Wissenschaftliche Ziele verfolgte Schumann mit all seinen schriftstellerrischen Aktivitäten nie. Trotzdem hat er 1840 einen Doktor honoris causa erhalten, allerdings nicht von der Universität Leipzig, sondern von der Universität Jena, wo mit Ferdinand Hand ein veritabler Musikästhetiker saß, zu dem der mit Schumann befreundete Pastor Dr. Keferstein gute Kontakte unterhielt. Auch Richard Wagner hat sich an der Universität Leipzig eingeschrieben, nie wirklich studiert und ist von der Universität zeitlebens nicht gewürdigt worden. Dies erlebte nur Felix Mendelssohn Bartholdy, der 1835 das Angebot einer Professur an der Universität Leipzig ausschlug und der schon 1836 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig ausgezeichnet wurde.

 

Literatur:

Kreisig, Martin (Hrsg.): Gesammelte Schriften über Musik und Musiker von Robert Schumann. Fünfte Auflage mit den durchgesehenen Nachträgen und Erläuterungen zur vierten Auflage und weiteren, 2 Bde. Leipzig 1914.

Heero, Aigi: Robert Schumanns Jugendlyrik. Kritische Edition und Kommentar. Schumann-Studien, Sonderband 3. Sinzig 2003.

Hotaki, Leander: Robert Schumanns Mottosammlung. Übertragung, Kommentar, Einführung. Freiburg im Breisgau 1998, 364.

Loos, Helmut: Robert Schumann. Werk und Leben. Wien 2010.

Nauhaus, GerdlBodsch, Ingrid (Hrsg.): Robert Schumann: Dichtergarten für Musik. Eine Anthologie für Freunde der Literatur und Musik. Bonn 2007.

Eismann, Georg (Hrsg.): Robert Schumann. Tagebücher, Bd. I: 1827-1838,2. Auflage. Leipzig 1988.

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