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Der Löwenjunge Theo führt das kleine Geburtstagskind durch eine bunte Welt voll lustiger Abenteuer, Geschichten, Lieder und Bilder.

Dr. Jonannes Thienemann - der Vogelprofessor (1863-1938)

Dr. Jonannes Thienemann - der Vogelprofessor (1863-1938)

Friedrich Ekkehard Vollbach

"Es gibt kaum etwas, was dem Naturschutzgedanken förderlicher sein könnte,
als eine wirkliche Vertrautheit mit unserer heimischen Vogelwelt..."

                                                                                                Konrad Lorenz

Pfuhlschnepfenmännchen im Prachtkleid. (1)
Pfuhlschnepfenmännchen im Prachtkleid. (1)

Fünf Generationen in Folge amtierten die Thienemanns als Pfarrer in unterschiedlichen Kirchgemeinden.

Ungewöhnlich war das in vielen Pfarrersfamilien des 18. Und 19. Jahrhunderts nicht. Pastoren mussten sparen. Sie lebten einfach und hatten geringe Ansprüche, die Kleidung und die Einrichtung der Wohnung waren recht bescheiden. Die Anforderungen im Hinblick auf die Ausbildung der Kinder (der Söhne!) allerdings waren hoch. Auf sie waren „alle verfügbaren Ressourcen der Pfarrfamilie konzentriert". Aus Kostengründen unterrichteten sehr viele Pfarrer ihre Kinder bis zum Eintritt ins Gymnasium möglichst selbst.

Da die meisten Pfarrer nach dem Studium Hauslehrer waren, ehe ihnen eine Pfarrstelle übertragen wurde, besaßen sie durchaus fachliche und pädagogische Kompetenz. Dadurch waren natürlich die Väter sehr dominant und prägend. Selbstverständlich freute es den Vater, wenn der Sohn gleichfalls Pfarrer wurde und auf diese Weise die soziale Stellung erhalten blieb. Und der Vater wird dies deutlich geäußert haben. Aber auch er selbst stand unter Druck, denn wenn der Sohn nicht Pfarrer wurde, beeinflusste das die öffentliche Meinung negativ, die dann feststellte, der Pfarrer, der Menschen im Dorf den Glauben vermitteln soll, schafft das nicht einmal in seiner eigenen Familie. Und außerdem bot das Theologiestudium höhere Chancen als andere Studienrichtungen, ein Stipendium zu bekommen.

Zur Familiengeschichte der "Ornithologensippe"

Johannes Thienemann vor dem Storchennest in Rossitten 1927. (2)
Johannes Thienemann vor dem Storchennest in Rossitten 1927. (2)

Bevor über das beeindruckende Leben des berühmten Pfarrers und „Vogelprofessors" Johannes Thienemann berichtet wird, erfolgt ein kurzer Blick auf die Familiengeschichte dieser bekannten „Ornithologensippe".

Der erste bedeutende Vogelkundler der Thienemanns war Pfarrer Johann August Thienemann (1749 - 1812), der Urgroßvater von Johannes.
Er amtierte in Greina, zwischen Freiburg/Unstrut in Süden und Querfurt im Norden (Burgenlandkreis in Sachsen - Anhalt) gelegen. Ihre Söhne Wilhelm, Ludwig und Gustav waren bekannte Ornithologen. Gustav setzte die Familientradition fort und wurde Pfarrer. Er beeindruckte durch seine „gewandte Feder im Briefwechsel mit vielen ornithologischen Fachgenossen". Sein Bruder (Friedrich August) Ludwig (1793 - 1858) dagegen studierte in Leipzig Medizin. Nach seiner Promotion reiste er nach lsland und Norwegen, um die dortige Vogelwelt zu erkunden. Danach habilitierte er sich in Leipzig und wurde 1824 „Inspector des Naturkundecabinets" in Dresden.

Der Älteste der drei Brüder, (Georg August) Wilhelm, wurde am 6. September 1781 wie auch seine Brüder in Greina geboren. Von 1796 bis 1801 besuchte er die berühmte Fürstenschule Schulpforte, die er mit „erster Censur" und einer Medaille verließ.

Kirche zu Sprotta. Wilhelm Thienemann war in Sachsen ansässig, in Brandis, Sprotta und Kötschenbroda. (3)
Kirche zu Sprotta. Wilhelm Thienemann war in Sachsen ansässig, in Brandis, Sprotta und Kötschenbroda. (3)

Wilhelm studierte Theologie und nebenbei - was außergewöhnlich war - Naturwissenschaft. Nach bestandenem 1. Examen wurde er um das Jahr 1806 Hauslehrer bei der Familie des Kammerherrn August Leberecht von Bodenhausen in Brandis, bis die Fürstin Reuss ihn als Diaconus nach Nebra (Kleinstadt an der Unstrut im Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt gelegen, Fundort der sog. Himmelsscheibe) berief. Um 1814 wird (Georg August Wilhelm) Thienemann Pfarrer an der St. Bartholomäus - Kirche in Droyssig. Danach war er lange Zeit Pfarrer in Sprotta bei Eilenburg am Südrand der Dübener Heide. 1856 feierte Thienemann in Sprotta sein 50 jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass verlieh ihm der König von Preußen den roten Adlerorden. Kurz danach ließ er sich emeritieren und zog zu seinen Kindern in die Nähe von Dresden. 1863 verstarb der allseits gebildete Pfarrer und Ornithologe im Alter von 82 Jahren in Kötschenbroda.

Pfarrer Thienemann hatte gute Kontakte zu Johann Friedrich Naumann (1780 -1857) in Köthen, der als der Begründer der Vogelkunde in Europa gilt, und zu Pfarrer Christian Ludwig Brehm (1787 - 1864), der damals als bester Kenner auf dem Gebiet der Vogelkunde anerkannt war.

Sein Sohn (August) Wilhelm Thienemann, der Vater von Johannes, wurde am 24. 4. 1830 in Droyssig geboren. Auch er studierte Theologie und wurde Pfarrer und zwar in Gangloffsömmern (heute Ortsteil von Sömmerda in Thüringen). Wilhelm Thienemann galt als vorzüglicher Kenner der Vogelwelt. Er hinterließ eine gut geordnete Sammlung fast aller Vögel in Deutschland. Die Sammlung wurde später einem Museum in Wien übergeben. Der Vogelpastor bewarb sich mit Erfolg um die Pfarrstelle in Zangenberg bei Zeitz . Während seiner dortigen Amtszeit gibt er die „Monatszeitschrift des Deutschen Vereins zum Schutze der Vogelwelt" im Selbstverlag heraus.

Die Söhne der Thienemanns studierten in Leipzig und Halle. Abb. Altes Paulinum in Leipzig um 1830. (4)
Die Söhne der Thienemanns studierten in Leipzig und Halle. Abb. Altes Paulinum in Leipzig um 1830. (4)

Woher kommt das Interesse der Thienemanns und anderer Pfarrer der damaligen Zeit an Wissensbereichen, die mit der theologischen Wissenschaft kaum zu tun haben?

ln der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war das Ansehen der „Dorfpfarrer" bei ihren Amtsbrüdern in den Städten und intellektuellen Bürgern verhältnismäßig gering. Da die Pfarrer auf dem Lande gezwungen waren, ihren Lebensunterhalt auf den Feldern des Pfarrlehens selbst zu erwirtschaften, blieb ihnen, wenn überhaupt, nur wenig Zeit zur Weiterbildung. Darum galten sie als „verbauert".

Doch ab etwa 1750 änderte sich das. Das Selbstbewusstsein der Dorfpfarrer stieg und sie versuchten energisch, ihre Zugehörigkeit zum gebildeten und aufgeklärten Bürgertum unter Beweis zu stellen.

Im Sinne eines Tatchristentums wollten sie nicht nur Seelsorger ihrer Gemeinde sein, sondern auch deren Lehrer und lebendiges Vorbild im Hinblick auf Wissen und praktische Tätigkeit. Da die Pfarrer in der Regel die Einzigen im Dorf waren, die eine Hochschulausbildung besaßen, sahen sie nun ihre Aufgabe darin, neue Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten den Dorfbewohnern zu vermitteln. Das war ihnen auch leicht möglich, da sie auf dem Lande nur mäßig durch Arbeit und Verpflichtungen belastet waren.

König Friedrich II. (1712-1786) inspiziert den Kartoffelanbau. (5)
König Friedrich II. (1712-1786) inspiziert den Kartoffelanbau. (5)

Unterstützung für ihre Bestrebungen erhielten die Pastoren durch die mehr und mehr an Einfluss gewinnende „Volksaufklärung", die auch durch Pädagogen wie Johann Heinrich Pestalozzi (1746 - 1827) beeinflusst wurde. Ab etwa 1740 wandten sich die geistigen und gesellschaftlichen Strömungen der Aufklärung mehr und mehr dem „gemeinen Manne" zu, den ländlichen und städtischen Unterschichten. Vor allem die Bauern gerieten ins Blickfeld der Volksaufklärer. Ziel war es, den Aberglauben, die Vorurteile und den allen Fortschritt hemmenden Traditionalismus zu bekämpfen. Die Pfarrer nutzten für diese Aufgabe die sonntägliche Predigt, aber auch Gespräche, Vorträge und Lesestunden. Sie nutzten die Presse und den Buchmarkt, neue Ideen und Praktiken zu vermitteln.

Immer mehr Pfarrer beschäftigten sich mit den unterschiedlichsten Wissensgebieten, die meisten jedoch mit agrarwissenschaftlichen Problemen. Sie informierten sich über neue Anbaumethoden oder Produkte, testeten diese auf ihren Feldern oder in ihren Gärten und multiplizierten ihr Wissen. So wurde zum Beispiel der Kartoffelanbau durch viele Pfarrer gefördert.

Aber die Pfarrer waren nicht nur Ornithologen wie die Thienemanns, sondern sie betätigten sich neben ihrem Pfarramt als Meterologen, Imker, Biologen, Pädagogen, Philologen, Heimatforscher, Entdecker oder Sammler.

Aber nun zum Pfarrer und Vogelprofessor Johannes Thienemann.

Johannes Thienemann um 1927. (6)
Johannes Thienemann um 1927. (6)

Er erblickte am 12. November 1863 in Gangloffsömmern, wo ja sein Vater Pfarrer war, das Licht der Welt. Zusammen mit seinen vier Geschwistern wurde er im Pfarrhaus erzogen. Da der Vater die Pfarrstelle wechselte, zog die Familie nach Zangenberg (heute ein Ortsteil der Stadt Zeitz an der Elster).

Sohn Johannes besuchte nun das Gymnasium der Stadt Zeitz. Das war für die Familie finanziell sehr günstig, denn ab sofort entfielen die Pensionskosten für den Gymnasiasten.

Ab 1885 studierte Johannes der Familientradition folgend Theologie in Leipzig und in Halle. 1894 legte er in Magdeburg das 2. theologische Examen ab, ging aber nicht ins Pfarramt, sondern in den Schuldienst. ln Osterwieck im Harz wurde er 1895 Leiter einer höheren Privatschule. Auf Einladung seines Freundes, des Pfarrers Friedrich Lindner, reist Thienemann auf die Kurische Nehrung nach Rossitten. Die Landschaft schlägt ihn in ihren Bann. Er erkennt sofort die ornithologischen Besonderheiten, den Artenreichtum und die Unberührtheit dieses Naturraums. Vor allem die Intensität des Vogelzuges auf der Kurischen Nehrung faszinierte ihn. Etwa 300.000 Vögel überfliegen täglich den schmalen Landstreifen zwischen Ostsee und Haff.

Alte Kirche in Rybatschij (Rossitten). (7)
Alte Kirche in Rybatschij (Rossitten). (7)

Doch er ist nicht der einzige, der dem Bann dieser Gegend erlegen ist. Bereits 1893 besuchte Kurt Ehrenreich Floericke (1869 - 1934), wie Thienemann ein ehemaliger Zeitzer Gymnasiast, diesen Ort. Vom Jahr 1884 bis zum Jahr 1897 hatte er hier sogar seinen festen Wohnsitz, denn er plante, vor Ort bezahlter Leiter einer Vogelwarte zu werden, doch sein Vorhaben scheiterte wegen fehlender Finanzen.

Auch Johannes Thienemann ist von dem Gedanken beseelt, in Rossitten eine Vogelwarte einrichten zu können. Ihm ist aber klar, dass er im Moment für sein Projekt kaum Gelder auftreiben kann.

Weder private Sponsoren noch ein Verein und schon gar nicht staatliche Stellen werden das geplante Unternehmen finanziell tragen wollen. Um seinen Traum verwirklichen zu können, gab Thienemann seinen Schulleiterposten an der Privatschule auf und wurde 1899 (als ordinierter Pfarrer!) Hauslehrer (zuletzt bei Gutsbesitzer Adolf Hoffmann in Rossitten). Das war nicht nur ein großes finanzielles Opfer, sondern auch in den Augen seiner Zeitgenossen ein enormer sozialer Abstieg. Und das alles wegen der Vögel auf der Kurischen Nehrung!

Blick von Müllers Höhe nach Rossitten(8)
Blick von Müllers Höhe nach Rossitten(8)

Gemeinsam mit seiner Verlobten Clara Hedwig Hoffmann besuchte Kurt Floericke seinen Vogelfreund Thienemann in Rossitten. Fräulein Hoffmann und Johannes Thienemann verliebten sich ineinander und wurden ein Paar. Floericke schrieb über diese schmerzliche Erfahrung ein Gedicht mit dem Titel „Geschichte einer Liebe". Die letzte Strophe dieses Gedichts lautet:

„Wir standen beide am Grabe

Der Liebe, die einst uns vereint.

Du hast kein Wort gesprochen,

Und ich, ich habe - geweint."

Thienmann heiratete seine Frau im Jahr 1901. lhr Sohn Hans - Georg wurde 1909 geboren. Er war von 1939 bis 1945 Direktor des Tierparks in Königsberg und von 1946 bis zu seinem Tode 1965 Direktor des Duisburger Zoos.

Die Tafeln an der Vogelwarte Rybatschij (Rossitten). (9)
Die Tafeln an der Vogelwarte Rybatschij (Rossitten). (9)

Im gleichen Jahr, also noch 1901, errichtete Johannes Thienemann die erste ornithologische Forschungsstation der Welt in Rossitten, die den offiziellen Namen „VogeIwarte Rossitten" erhielt. Die Deutsche Ornithologische Gesellschaft stand nun mit ihrem Namen und ihrer Autorität hinter der Vogelwarte. Das Kultus- und das Landwirtschaftsministerium brachten die notwendigen Mittel zum Unterhalt der Station auf. Thienemann schreibt über die Gründungszeit: „Ein dürftiger Sammlungsraum, ein Schrank mit ein paar ausgestopften Vögeln und ein Herz voll glühender Begeisterung für die Sache - das waren Dinge, mit denen ich ans Werk zu gehen versuchte."

Unterstützung erhielt die Vogelwarte durch Rittergutsbesitzer Ernst Ulmer aus Quanditten, dem vor allem der Bau der Feldstation der Station zu verdanken ist.

         

Links: Johannes Thienemann mit seiner Familie vor seinem Haus 1927. (10 a)
Rechts: Thienemanns Wohnhaus heute in Rybatschij. (10 b)

Gedenktafel am Wohnhaus von Johannes Thienemann in Rybatschij (Rossitten). (11)
Gedenktafel am Wohnhaus von Johannes Thienemann in Rybatschij (Rossitten). (11)

Nach Überwindung einiger Schwierigkeiten gelang es Thienemann ab 1901 ein begleitendes Zoologiestudium an der Universität Königsberg zu beginnen. 1906 promovierte er zum Dr. phil. Und das alles neben seiner Tätigkeit als Leiter der Vogelwarte. Das war möglich, weil ihm, wie vielen anderen Pfarrerssöhnen auch, im evangelischen Elternhaus Pflichtbewusstsein und ein gewisses Leistungsdenken anerzogen worden war.  

Im Jahre 1910 wurde er zum außerordentlichen Professor an der Albertus - Universität Königsberg berufen. ( Auf der 2012 angebrachten Tafel im Königsberger Dom, auf der bedeutende Gelehrte der Königsberger Universität verzeichnet sind, ist auch der Name von Johannes Thienemann zu finden.)

lm Jahr 1923 übernahm die Kaiser - Wilhelm - Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft die Station.

Mit 66 Jahren ging Johannes Thienemann in den Ruhestand, blieb aber in Rosstitten wohnen, das ihm zur vertrauten und geliebten Heimat geworden war. Sein Wohnhaus hat die Wirren der Zeit überstanden.

Das Grab von Johannes Thienemann auf dem Waldfriedhof Rossitten. (12)
Das Grab von Johannes Thienemann auf dem Waldfriedhof Rossitten. (12)

Am 12. April 1938 verstarb der berühmte Vogelprofessor im Alter von 74 Jahren.

Seine letzte Ruhestätte fand Professor Thienemann auf dem Waldfriedhof von Rossitten. Der Friedhof wurde nach dem 2. Weltkrieg völlig zerstört. Nur drei Grabstätten wurden restauriert, darunter das Grab von Johannes Thienemann.

1944 wurde die Vogelwarte Rossitten auf Grund der militärischen Situation des 2. Weltkrieges in Ostpreußen geschlossen. Erst 1956 erweckte sie Prof. Lew Belopolski (1907 - 1990), der gerade erst aus dem „Gulag" entlassen worden war, wieder zu neuem Leben. Rossitten (heute russisch Rybatschij) ist nun eine Forschungseinrichtung der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg, leidet aber unter ständigem Geldmangel. Sie wird deshalb von der Heinz - Sielmann - Stiftung finanziell unterstützt. Heinz Sielmann hatte, wie auch Konrad Lorenz, einst als Schüler in der Vogelwarte mitgearbeitet.

Aber worin besteht eigentlich die Besonderheit der Vogelwarte Rossitten und der dortigen Tätigkeit des Vogelprofessors?

Johannes Thienemann, Foto aus der Ausstellung der biologischen Station Rybatschij (Rossitten). Foto: Dr. H.-U. Peter.(13)
Johannes Thienemann, Foto aus der Ausstellung der biologischen Station Rybatschij (Rossitten). Foto: Dr. H.-U. Peter.(13)

Angesichts des herbstlichen Vogelzuges fragen sich viele Menschen, wohin die Vögel eigentlich fliegen. Woran und wie orientieren sie sich auf ihrem Flug? Wo unterbrechen sie ihre Reise zur Rast?

Um auf diese und viele andere Fragen in Sachen Vogelzug eine Antwort zu finden, begann der dänische Lehrer Hans Christian Cornelius Mortensen (1856 - 1911) mit einem Experiment. Er versah 165 Stare und zwei Haussperlinge mit Aluminiumringen, auf denen eine laufende Nummer und seine Adresse eingraviert waren, und ließ sie fliegen. Es meldeten sich bei ihm tatsächlich Menschen, die einen Vogel mit Ring gefunden hatten.

Thienemann war von Mortens Experiment angetan. Er begann nun selbst damit, Vögel zu beringen.

Jeder so genannte Wiederfund lieferte ihm wichtige Informationen über das Vogelleben, speziell über dessen Wanderung. 1903 beringte Thienemann 100 Zugvögel. Neun Jahre später waren es bereits 41.226 Vögel, die einen Ring der Vogelwarte Rossitten trugen und im Jahre 1936 140.000.

Erbitterte Gegner dieser Forschungsmethode waren Hermann Löns (1862 - 1914) und Kurt Floericke. Bei ihm hatte das wohl sehr persönliche Gründe, denn später führte er selbst Beringungen durch.

Doch die wissenschaftliche Beringung verbreitete sich rasch. 1909 wurden bereits in England Vögel beringt und im gleichen Jahr begann auch die Vogelwarte Helgoland damit. 

Ein Bergfinkweibchen wird beringt. (14)
Ein Bergfinkweibchen wird beringt. (14)

Jährlich werden in Rossitten (Rybatschij) 140.000 Vögel eingefangen und mit den entsprechenden Ringen versehen. Dazu dienen 73 Netze (Gesamtlänge 1 km) und Reusen, die an 18 Meter hohen Masten befestigt sind.

Heute gibt der Gesetzgeber strenge Regeln für die Vogelberingung vor, um die Tiere vor Schäden zu bewahren und um die Zeit des Stresses für den Vogel möglichst gering zu halten.

Zum Schluss noch ein noch paar interessante lnformationen, die zeigen, wie wichtig und hilfreich die Forschungsmethode des Vogelprofessors Thienemann noch heute für die Vogelkunde ist.

In Europa werden jährlich 3, 8 Millionen Vögel beringt, davon werden 90.000 wiedergefunden. Auf diese Weise wurde nachgewiesen, dass zum Beispiel die Küstenseeschwalbe 40.000 km im Jahr fliegt, was bedeutet, dass sie in ihrem Leben etwa eine Million Flugkilometer zurücklegt.

Die Pfuhlschnepfe vermag 11.500 km ohne Pause zu fliegen.

Der Baumpieper dagegen fliegt, bis er nach Spanien gelangt, lediglich 3 - 5 Stunden am Stück.

Der Mauersegler hält mit zu 160 km /h den Geschwindigkeitsrekord.

Abb. 16
Abb. 16

Kurische Nehrung und Vogelwarte Rossitten

Bildnachweis:

2, 6, 8, 10a und 16 Diese Abb. sind aus dem Buch von Johannes Thienemann Rossitten entnommen,     Verlag J. Neumann-Neudamm 1927, ohne Ort

3 Archiv W. Brekle

1, 4 und 5 Wikimedia Commons, gemeinfrei 

7 und 15 Fotos: H. Meyer

8, 9 und 13 Fotos: Dr. H.-U. Peter

10 b) Foto: J. Börner

11 Foto: J. Voigt

12 Foto: R. Kronbach

14 Foto: D. Kronbach

Der Bertuch Verlag dankt Dr. Peter Hofmann für die Vermittlung der Bilder aus Rybatschij (Rossitten) und für die Besorgung der Rechte.

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