Wenn die lauten Trommelwirbel der Spechte selbstbewusst aus den Bäumen des Schlossparks in Lützschena heraustönen, beherrscht auf dem Waldboden zu unseren Füßen eine besondere Garde an Frühblühern die Szene: Die Märzenbecher. Sie tragen den lateinischen Namen Leucojum vernum L.. Der Gattungsname Leucojum leitet sich vom griechischen Wort leukos für weiß ab. Der Namenszusatz vernum geht auf das lateinische Wort ver für Frühling zurück. (4.) Die Märzenbecher haben deutlich breitere Glöckchen als die etwas früher in der Natur aufblühenden Schneeglöckchen. Im Schlosspark zu Lützschena bilden sie auf dem dunklen Waldboden ausgedehnte weiße Teppiche aus. Ein derart massenhaftes Auftreten ist eher selten in Deutschland. Viele, viele Märzenbecher lassen ihre Glöckchen wie weißes Porzellan leuchten. Das saftige Grün der Stiele und Blätter sowie das frische Weiß der Blüten verkündet Leben, während die alten Blätter des Vorjahres auf dem Waldboden vermodern und sich allmählich in Kompost verwandeln. Die Märzenbecher wecken bei Läufern und Wanderern, bei Jung und Alt, bei Eingesessenen und Gästen die Hoffnung auf die wärmere Jahreszeit; sie schärfen aber auch die Sinne für die altehrwürdigen Bäume im Park und für die gesamte Mannigfaltigkeit der Lebensformen des Parkwaldes in der Elster-Luppe-Aue zwischen Leipzig und Halle.
Für mich ist das Malen der Frühblüher ein Tun, das mich an Maximilian Speck von Sternburg (1776 – 1856) denken lässst. Ihm lag seit dem großen Kauf vom 22. Januar 1822 daran, in Lützschena Landwirtschaft und Gartenkunst zu vereinen, wie Anna Magdalena Paul in ihrem Essay über den Schlosspark formuliert. (2; S. 227.) Der tüchtige Leipziger Kaufmann schuf in Lützschena mit Kenntnis und Geschick eine erfolgreiche Schafzucht und er baute eine Brauerei auf. Was auf dem europäischen Festland in Wörlitz in Gestalt der Landschaftsgärten nach englischem Vorbild begann, setzte Speck von Sternburg nahe Leipzig fort. In Lützschena ließ er, wie Wolf-Dietrich Speck von Sternburg schreibt, nun auch „nach seinem 'inneren Auge'“ ein einzigartiges Gartenkunstwerk entstehen, das in der Auffassung von Kunst und Schönheit mit dem „Gedanken der Agrarökonomie“ einhergeht. (1; S. 17.) Die Freundschaft des Maximilian Speck von Sternburg mit Zar Alexander I. (1777 – 1825) erwuchs nicht zuletzt aus seinem Streben, sowohl in Sachsen, als auch in Russland „die Schafzucht auf eine höhere Stufe zu bringen“. (1; S. 80.) Am rekonstruierten Denkmal für Alexander ist in der vierten Inschrift der Gedanke zu lesen, dass dieser Zar nicht nur Herrscher „aller Reussen“ war, wie Maximilian Speck von Sternburg 1840 formulierte, „sondern auch im Siegesglück und Frieden Beherrscher Seiner selbst“. (1; S. 108.)
Zum Baumbestand des Schlossparks gehören Eichen, die deutlich älter sind als 300 Jahre. Der Volksmund sagt über diese Bäume mit dem wertvollen Holz, dass sie 300 Jahre kommen, 300 Jahre stehen und 300 Jahre gehen. Aus den Forschungen des französischen Forscherpaares Sylvie Hermann und Francois Buscot in Halle geht hervor, dass die Stieleichen (Quercus robur L.) in der Wachstumsperiode erstaunlich rhythmisch wachsen. Auf drei Wochen Sprosswachstum folgen drei Wochen Wurzelwachstum und dann wieder drei Wochen Sprosswachstum und weiter in diesem Wechsel. Ist Rhythmus Eiche bereits ein spannendes Thema aus der Welt der Natur, so ist das Leben und Treiben in den Kronen hoher Bäume ebenfalls höchst interessant.
In den Räumen der Auwaldstation informieren sich die Besucher am Beispiel der Elster-Luppe-Aue über das Wesen und die Bedeutung von Europas Auenlandschaften. Neben dem Ziegelbau können die Besucher dann aber auch eine breite und sichere Holztreppe hinauf in die drei Eichenkronen steigen, um sich auf einem Baumkronenpfad und einer kleinen Aussichtsplattform anschaulich über die vielen Organismen zu informieren, die hoch oben über unseren Köpfen leben. Auch der Kletterer Laubfrosch wird gewürdigt, der sogar in einer Höhe von 30 Metern nachgewiesen werden konnte. Diesen Pfad des Wissens und Forschens hat einst der Botaniker Wilfried Morawetz (1951 – 2007) mit dem Leipziger Auwaldkran auf den Weg gebracht, den sein Nachfolger Christian Wirth nicht etwa abgebaut, sondern mit tüchtigen jungen Forschern fortgesetzt hat. So sehr wir die Eichen im Schlosspark bestaunen und bewundern, die Lieblingsbuche meiner Frau ist die altehrwürdige Hainbuche (Carpinus betulus L.) an der mittleren Brücke über das Parkfließ mit einem höchst bizarren Stamm. Gerühmt wird an ihr, dass sie „eine besonders ausladende Krone entwickelt“ hat. (1; S. 117.) Wer sich nun aber weiter unten ihren vielteiligen Stamm etwas genauer anschaut, dürfte staunend entdecken, wie sehr die Natur die Abweichung von der Geraden, das Krumme und das Paradoxe liebt.
Die zahlreichen Skulpturen des Parkes sind wie die Figur des Apollino an der Weißen Brücke und die Figur der Flora inmitten des Parks während der Winterszeit zum Schutz mit Holz verkleidet. Doch die „eindrucksvollste erhaltene Architektur“ begrüßt die Gäste das ganze Jahr über unverhüllt. (1; S. 120.) Die Rede ist von dem weißen Dianatempel, der im Sommer wie im Winter in freier Sicht auf einer Landzunge steht. Den nahezu runden und „bereits 1830“ fertigen Teich hat Maximilian Speck aus „einer wohl ab 1800 von den Vorbesitzern angelegten Lehmgrube“ schaffen lassen. (1; S. 120/121.) Liebespaare posieren im Dianatempel. Fotografen schätzen das Zusammenspiel der hellen Säulen im Vordergrund mit den dunkleren Baumstämmen des Waldes im Hintergrund. Mir machte es im Herbst 2024 große Freude, das luftige Bauwerk samt seiner Spiegelung mit kraftvollen Wasserfarben zu porträtieren. Im Oktober war der Dianatempel noch in Grün eingerahmt, während der Hintergrund im November in Goldtöne überging. Am Rand des Teiches ruht ein großer Feldstein, der Clara Wiek (1819 – 1896) und Robert Schumann (1810 – 1856) gewidmet ist. Das Musikerpaar wanderte beispielsweise am 27. Juli 1842 von seinem Zuhause in der Inselstraße 18 in Leipzig „zu Fuß nach dem ca. 11 km entfernten Lützschena“, wie Horst Pawlitzky rekonstruiert hat. Der Chronist vom Robert- und Clara-Schumann-Verein Leipzig macht auch darauf aufmerksam, dass Maximilian Speck von Sternburg (1776 – 1856) ein „außergewöhnlich kunstsinniger Mensch war, der sich nicht nur als Kenner und Sammler von Gemälden und Grafiken, vor allem Zeichnungen und Lithografien, bleibende Verdienste erwarb, sondern auch der Musik sein Haus weit öffnete.“ (3)
Mit einem Festakt im Alten Rathaus ist Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg am 17. Februar 2025 das Ehrenbürgerrecht der Stadt Leipzig verliehen worden. Am Tag seines 90. Geburtstages hat er in Anwesenheit von Familienmitgliedern, zahlreicher Weggefährten sowie Vertretern aus Politik und Stadtgesellschaft damit die höchste Auszeichnung der Stadt Leipzig erhalten.
(Zitat aus den Stadtnachrichten.)
5. März 2025
Literatur
(1)
Schlosspark Lützschena. Das Gartenkunstwerk des Maximilian Spreck von Sternburg. Mit Texten von Wolf-Dietrich Speck von Sternburg, Kathrin Franz, Henrike Schwarz, Nadia Nikolaus und Katalogtexten von Peter Benecken und Stefan W. Krieg. Passage-Verlag Leipzig 2023.
(2)
Anna Magdalena Paul: Landwirtschaft und Gartenkunst. Das Rittergut Lützschena als „ornamental farm“. In: Bürger – Gärten – Promenaden. Leipziger Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Passage-Verlag 2018. S.227 – 233.
(3)
Horst Pawlitzky: Clara und Robert Schumann als Gäste in Lützschena.
Vgl. den Link: http://www.luetzschena-stahmeln.de › auenkurier › crs.html
(4)
Wikipedia-Artikel zur Frühlingsknotenblume.
Vgl. den Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Frühlingsknotenblume
Verzeichnis der Aquarelle
Märzenbecher vom 26. 02. 2025. 20 cm x 20 cm.
Märzenbecher vom 27. Februar 2025. 20 cm x 20 cm.
Märzenbecher vom 28. Februar 2025. 20 cm x 20 cm.
Einsames Märzenbecherchen vom 02. März 2025. 19 cm x 14, 5 cm.
Pavillon im Schlosspark vom 17. Oktober 2024. 19 cm x 14, 5 cm.
Lieblingsbuche meiner Frau vom 14./15. November 2024. 30 cm x 40 cm.
Auwaldstation vom 02. November 2023. 20, 3 cm x 20, 3 cm.
Die Aquarelle können auch eingesehen werden auf Instagram:
Konrad Lindner (@farberlebnisse).