Sachsen-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Sachsen-Lese
Unser Leseangebot

Friedrich W. Kantzenbach
Wüsst ich Dinge leicht wie Luft

Dieses Gedichtsbändchen ist liebevoll gestaltet und mit Fotos versehen. Es wendet sich an Leser, die bereit sind, aufmerksam hinzuhören und sich einzulassen auf die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Schicksal.

Der Engel im Walde

Der Engel im Walde

Prof. Dr. habil. Horst Nalewski

Gertrud Kolmar.
Gertrud Kolmar.

[Vor 130 Jahren] wurde Gertrud Käthe Chodziesner am 10. Dezember 1894 als Tochter eines Rechtsanwaltes in Berlin geboren...1917 erste Veröffentlichung als Gertrud Kolmar (nach dem Ort ihrer Vorfahren) mit Gedichte...1927 Gedicht-Zyklen, Prosa, Dramatisches. Existentielle Erschütterung durch das Jahr 1933; unveröffentlicht Das Wort der Stummen. 1936 Gedicht-Lesungen im Jüdischen Kulturverein, eingeengte Lebensweise im „Judenhaus“. Herbst 1938: Die Frau und die Tiere (nach dem November-Pogrom eingestampft). Seit Sommer 1941 Zwangsarbeit. Deportation am 2. März 1943 nach Auschwitz, dort wahrscheinlich sofort (ohne Aufnahmenachweis) in den als Duschen getarnten Gaskammern ermordet.

Weitere Gedichtbände: Preußische Wappen 1934; Welten 1947; Das lyrische Werk 1955/60; Das Wort der Stummen 1978; Das lyrische Werk 2003/10.

 

 

Horst Nalewski 

Der Engel im Walde

Ich aber traf ihn nachmittags im Wald.
Ein Wunder, das durch Buchenräume ging,
So menschenfern, so steigend die Gestalt,
Daß blaue Luft im Fittich sich verfing;

Das Antlitz schien ein reines, stilles Leid,
Sehr sanft und silbrig rieselte das Haar,
In großen Falten schritt das weiße Kleid.
Er schaffte nichts, er sagte nichts; er war.

Und nichts an ihm, was schreckte, was verbot,
Und dennoch: keines Sterbens Weggenoß,
Daß meine Lippe, ob auch unbedroht,
Erstaunten Ruf, die Frage stumm verschloß.

Ein Blatt entwehte an sein Gürtelband,
Vergilbt und schon ein wenig krausgerollt;
Er fing und trug es in der schmalen Hand
Wie ein Geschenk aus Bronze und aus Gold.

Wer sah ihm zu? Das Eichhorn, rot am Ast,
Und Rehe, die das Buschwerk schnell verlor.
Und Erlen wanden schon im Abendglast
Wie schwarze Schlangen züngelnd sich empor.

Er regte kaum die dünne Blätterschicht
Mit weichem Fuß. Er hatte ewig Zeit
Und zog: wohin? In Stadt und Dörfer nicht;
Er wallte außer aller Wirklichkeit.

Nicht unsre Not, nicht unser armes Glück,
Nur keusche Ruhe barg sein Schwingenpaar
Ich folgte nach und stand und blieb zurück.
Er brachte nichts, er sagte nichts: er war.

Quelle

Poesiealbum 315. Märkischer Verlag, Wilhelmshorst 2014

Bildnachweis

Fra Angelico (etwa 1395–1455)

Verkündigung an Maria, Altarretabel mit 5 Predellatafeln aus dem Marienleben

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Frühlingsgedicht zu Ostern
von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
MEHR
Frühlingslied
von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
MEHR
Rastlose Liebe
von Johann Wolfgang von Goethe
MEHR
Ostern (2)
von Joseph Freiher von Eichendorff
MEHR
Anzeige:
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen