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Mehr über die sogenannte „Türkenmode“ in Sachsen lässt sich in dem 2019 herausgekommenen Buch „Die Türkenkriege im Spiegel sächsischer Biographien“ von Hans-Joachim Böttcher nachlesen - ISBN 978-3-944487-63-2.

August der Starke und die sogenannte Türkenmode

August der Starke und die sogenannte Türkenmode

Hans-Joachim Böttcher

August der Starke im Hofkostüm
August der Starke im Hofkostüm

Der sächsische Kurfürst und polnische König August II. war einer der eifrigsten Sammler vielfältigster Kunst- sowie sonstiger seltener Gegenstände in Europa. Dazu gehörten in gewisser Hinsicht eben auch exotisch anmutende und künstlerisch-aufwendig gestaltete Objekte, wie man sie in der Türkei fand. Die meisten davon waren allerdings keine Kunstgegenstände im europäischen Sinn, welche also, wie Gemälde und Plastiken rein zur Dekoration dienten – so etwas gab es in der islamische Kultur nicht, sondern es handelte sich um reine Nutzobjekte. Diese waren bei dem König zwar nicht täglich, aber doch gelegentlich bei besonderen Festlichkeiten in Gebrauch. Dieses Verhalten als „Türkenmode“ zu bezeichnen, wie es heute oft geschieht, ist allerdings nicht angebracht. Denn das Sammeln, das Präsentieren sowie Genießen von ausgefallenen fremdländischen Produkten und das eher seltene Veranstalten von Türkenfesten beschränkte sich nur auf den sehr kleinen Kreis vermögender fürstlicher Personen.

August war es nicht gelungen, als Feldzugsbeute im Rahmen der Türkenkriege, wie zum Beispiel Handelsware oder Geschenke, also viele wertvolle und interessante orientalische Objekte in seinen Besitz zu bekommen. Darum schickte er 1712 seinen Vertrauten Johann Georg von Spiegel als Einkäufer von kunstvoll gearbeiteten Waren der unterschiedlichsten Art, darunter Stoffe, Prunkwaffen, Bilder, aber auch türkischen Pferden mit zugehörigem Prunkreitzeug nach Adrianopel sowie Konstantinopel. In einer Nachbestellung beauftrage der König Spiegel 1713 noch eine komplette Zeltstadt einzukaufen, bestehend aus vier großen Zelten mit Wände, Teppichen, Sitzkissen, Kleinmöbel sowie entsprechender sonstiger Ausstattung. Neben den erworbenen unzähligen Dingen, wovon sich heute nur noch 60 Einzelteile in der „Türkischen Cammer“ im Dresdner Residenzschloss befinden, bereicherten ab jener Zeit auch mehrere, im Rahmen von diplomatischen Verhandlungen erhaltene, Geschenke des Sultans die Sammlung August II. , des Tatarenkhans sowie von anderen Fürstlichkeiten.

Türkische Rossschweife
Türkische Rossschweife

Viele der von Spiegel erworbenen Objekte kamen erstmals zum Einsatz, als der König am 6. Januar 1715 in Warschau, im Bojaslowskischen Palais, zu einem Türkenfest einlud. Das wurde eingeleitet durch 140 Mann der Garde, die als Janitscharen verkleidet mit türkischer Musik vor dem Palais aufzogen. Die eintreffen Gäste wurden jeweils durch mehrere in orientalische Gewänder gekleidete Diener in den Palais geführt. Dabei griffen diese nach türkischer Sitte die Eingeladenen beidseitig unter den Arm. Im Haus war eine Tafel in Form des Halbmondes aufgestellt, wo Personal, natürlich alle in türkischer Bekleidung und Bewaffnung, Kaffee, Tee sowie heiße Schokolade servierte. Man nahm es dabei also mit der landestypischen Authentizität der Waren nicht so genau, denn letzteres Produkt kannten die Türken ja überhaupt nicht.

In dem gleichen Jahr ließ August II. in Dresden das Taschenbergpalais in orientalischer Weise einrichten, was dazu führte, dass dieses zeitweise als „Türkisches Haus“ bezeichnet wurde. Man darf allerdings davon ausgehen, dass dessen Einrichtung nicht rein im orientalischen Stil erfolgte, da das überhaupt nicht dem europäischen Geschmack entsprochen hätte und auch sehr unbequem gewesen wäre. So ließ man zur Raumausschmückung eine größere Anzahl Bilder, mit Porträts von Türken in ihrer typischen Tracht, sowie offenbar anderen Darstellungen orientalischen Lebens extra für das Palais als vergrößerte Kopien kleinerer Originalgemälde anfertigen. Da bildliche Darstellungen von Personen im Islam verboten sind, war das schon völlig untürkisch.

Wohl Anfang 1719 ließ August viele der Ausstattungsgegenstände des Türkischen Hauses in das von ihm umgebaute Italienische Palais im Plauenschen Grund bei Dresden bringen, das er damit im „türkischen“ Stil gestalten ließ. In der Folge wurde das Schlösschen nun „Türkisches Palais“ genannt. Äußerlich blieb es natürlich ein typischer europäischer zeitgenössischer Bau.

 Zwei Spahis
Zwei Spahis

Der einzige Sohn von August II. und seiner Ehefrau Christiane Eberhardine Friedrich August feierte im Sept. 1719 mit Maria Josepha Erzherzogin von Österreich Hochzeit. Diese wurde mehrere Wochen mit einem bisher in Europa nicht gekannten Aufwand als Fest gestaltet. Diesen Rahmen nutzte der König, um die Gäste mit mehreren Auftritten als türkischer Sultan und mancherlei anderen Festlichkeiten, wie man sich so etwas für den Orient fantasievoll vorstellte, zu überraschen.
Schon am ersten Tag, den 2. September, empfing August II. seine Schwiegertochter, nachdem diese zu Schiff auf der Elbe vor den Toren Dresdens eingetroffen war, in einem kleinen Lager mit neun großen türkischen Zelten. Er trat ihr in der überreich geschmückten Kleidung eines türkischen Sultans entgegen, wobei er sich von vier echten Türken in Nationalkleidung und einem Rossschweifträger begleiten ließ. In dem nun folgenden Festzug in die Residenzstadt zogen auch 24 Mohren mit, die in türkischer Kleidung und mit Doppeläxten bewaffnet waren und jeder ein prächtig herausgeputztes orientalisches Pferd führten. In der Vorbereitung dieser Hochzeit hatte der König im Übrigen schon ein Jahr zuvor angewiesen, dass sich Leute einer Infanterieeinheit türkische Bärte wachsen ließen. Dieses Korps kam sodann als Janitscharen-Trupp, zu dem auch eine Musikkapelle gehörte, mit der entsprechenden Kleidung und Bewaffnung ausgerüstet, mehrmals bei der Hochzeit zum Einsatz.

Einer der Höhepunkte der Hochzeitsfeierlichkeiten fand am 17. September im Türkischen Palais statt. Das erfolgte im Rahmen eines Türkenfestes, wobei sehr viele der von Spiegel erworbenen Dinge benutzt wurden. Zu Anfang marschierten im Garten die Janitscharen mit Musik auf. In der Folge lud der König seine Familie und die geladenen Gäste ein mit ihm die Einrichtung des Palais zu besichtigen. Darüber heißt es, dass:

„... in dem ersten Stockwerk eine große Menge Gemälde von den Gewohnheiten des türkischen Serail, der Bäder, Audienzen, die Prospekte von der Kirche St. Sophia, und verschiedene Trachten so wohl der Türke überhaupt, als insbesondere der vornehmsten Hofbedienten. In dem anderen Stockwerke sind viele schönen Damen, (welche man am Hof zu Dresden genug kennet,) in türkischen Kleidungen abgeschildert. Die Tapeten und alle Gerätschaften dieses Gebäudes sind türkisch oder persisch, und viele Tische mit morgenländischen Merkwürdigkeiten ausgeziert. Unter diesen finden sich tatarische Messer, ein persisches Tee-Zeug mit Schmelz- Arbeit, drei Gefäße aus korinthischen Erz mit Gold eingelegt, ein Futteral von Leder mit Gold gestickt, in welchen die türkischen Kredenz-Schreiben übergeben zu werden pflegen... Ferner zeigt man runde und ganz zugemachte Cymbeln, deren sich das türkische Frauenzimmer bei ihrer Musik und Tänzen bedienet ... in dem Saale ist ein türkischer Ross-Schweif, welcher bei dem neulichem Campement [Lager] gebraucht worden ...“


Ein Janitscharen-Agha mit zwei einfachen Soldaten
Ein Janitscharen-Agha mit zwei einfachen Soldaten


Nach dieser Führung konnten die Gäste im Garten die Darbietung einer italienischen Akrobatentruppe in orientalischen Kostümen bewundern. Auch bei dem folgenden Essen im Palais waren die Bedienten, wie gleichfalls die polnische Hofkapelle, türkisch anmutend gekleidet gewesen. Natürlich erschienen in solch einem Aufzug auch die Pagen, welche zum Abschluss des Festes mit Wachsfackeln den Garten beleuchten mussten, wo man ein Nachtschießen durchführte.

Am 20. September fand ein Merkurfest im Zwingergarten statt, bei dem auf dem Jahrmarkt der Nationen nun auch die Gäste in Kostümen erscheinen mussten. Hier war es nun der Prinz von Hessen-Kassel, der als Sultan erschien. Das junge Brautpaar kam dagegen als Perser und Perserin gekleidet. Eine besondere Attraktivität dieses Festes war das als „Serail“ oder auch „Circle Ottoman“ bezeichnete Wachsfigurenkabinett. Dessen lebensgroße Figuren waren in orientalische Gewänder gekleidet und teils mit originalen Waffen ausgestattet. Sie stellten den Sultan, seine Haremsdamen und einige hohe Würdenträger dar. Auf dem Fest, wie gleichfalls späteren Veranstaltungen, traten auch immer wieder die Janitscharen mit ihrer Musikkappelle auf und gaben damit den Veranstaltungen einen orientalischen Anstrich.

Zeithainer Lustlager
Zeithainer Lustlager


Im Juni 1730 veranstaltete August II. zum Abschluss seiner langjährigen Heeresreform das sogenannte Zeitheiner Lustlager. Der Kurfürst und König präsentierte dabei nicht nur den neuen Leistungsstand seiner Soldaten, sondern setzte in einer riesigen türkischen Zeltstadt ein mehrere Wochen dauerndes noch nie erlebtes Spektakel in Szene. Dabei ließ er zum Staunen der Gäste unter anderem eine 603 Infanteristen umfassende Pseudo-Janitscharengarde auftreten, zu denen eine 42 Mann umfassende Musikkapelle gehörte. Für die Truppe hatte man angeblich auch einige echte Türken angeworben, hauptsächlich umfasste sie jedoch Polen, Litauer und Deutsche. Aber nicht nur durch die Garde versuchte der König der Heeresschau ein türkisch-orientalisches Gepräge zu geben. Selbst eine ganze Ulaneneinheit trat als türkische Spahis eingekleidet auf. Die Pferde des königlichen Marstalles waren mit prächtigen, türkisch anmutenden Schabracken bedeckt und viele mit derartigem Satteln sowie Zaumzeug versehen. August selbst ließ sich immer von sechs echten Türken in prächtiger Kleidung begleiten oder orientalisch angezogenen Mohren und vor sich einen Rossschweif hertragen. Selbst für das Hofzeremoniell übernahm man einige Elemente, so wie sie am Sultanhof sowie der Hohen Pforte in Konstantinopel praktiziert wurden.

Nun waren alle diese Auftritte des Königs nicht nur seiner Freude an Maskeraden geschuldet und geschahen auch nicht aus Begeisterung für fremde Kulturen, in dem Fall der türkischen. Nein, mit der von August II. immer wieder einmal wirkungsvoll nach außen getragenen Maskerade bekundete er, als König von Polen, einen territorialen und damit dem Sultan gegenüber einen machtpolitischen Anspruch. Dieser richtete sich auf das, von den Türken beherrschte Gebiet des südlichen Teils der Ukraine bis zum Schwarzen Meer. Damit waren die Demonstrationen August des Starken allerdings nicht nur gegen dem Sultan gerichtet, sondern betrafen gleichfalls Russland, das auf diese Gebiete ebenfalls reflektierte und in gewisser Hinsicht ebenfalls das auf dem Balkan expandieren wollende habsburgische Kaiserhaus.

Mehr über die sogenannte „Türkenmode“ in Sachsen lässt sich in dem 2019 herausgekommenen Buch „Die Türkenkriege im Spiegel sächsischer Biographien“ von Hans-Joachim Böttcher nachlesen - (ISBN 978-3-944487-63-2).

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