„Wie oft sind weniger bemittelte Familien einiger Taler wegen in großer Verlegenheit, und wie demütigend ist für sie die Herbeischaffung derselben; denn nachdem sie hier und dort abgewiesen worden sind, fallen sie durch vielfaches Pfand und hohe Zinsen dem gefühllosen Wucherer in die Hände. Diesem großen Übelstand wäre aber, wie schon gesagt, durch eine Darlehnskasse abzuhelfen, und die Errichtung einer solchen umso mehr von größter Notwendigkeit, da die jetzigen Zeitverhältnisse es immer schwieriger machen, in der Not einige Taler geliehen zu bekommen."
Am 10. März 1849 wird in einem längeren Aufsatz zunächst darauf verwiesen, dass die zu gründende Darlehnskasse mit dem damals in Düben bestehenden Verfassungsverein in keinem Zusammenhange stehe, dass sie politisch neutral sein solle. Bei der Wahl der Vertrauensmänner für die zu entwerfenden Statuten wurden deshalb Männer aller politischen Richtungen gewählt. Die Kasse sollte ein Institut der gesamten Dübener Bürgerschaft werden. Nach einer Mitteilung vom 31. März sollte die Gründung der Kasse am 2. April stattfinden. Zu gleicher Zeit werden die später geltenden Statuten des sich bildenden Vereins veröffentlicht.
Der Zweck der Dübener Darlehnskasse war hiernach, den Mitgliedern durch kleine Darlehen aus augenblicklichen Geldverlegenheiten zu helfen. Das Betriebskapital wurde durch monatliche Beiträge der Mitglieder in Höhe von 5 Sgr. und durch die Überschüsse des Vereins gebildet. Für erhaltene Kredite mussten die Mitglieder 3 1/3°/o Zinsen jährlich, sowie zur Deckung der Verwaltungskosten 1 Pfg. pro Taler monatlich entrichten. Von diesen Zinsen sollte ein Reservefonds gebildet werden, der es der Kasse ermöglichen werde, den Mitgliedern größere Darlehen zu gewähren, als die eingezahlten Beiträge betrugen. Aus diesem Fonds sollten auch die Verwaltungskosten und evtl. Verluste gedeckt werden. Sämtliche Mitglieder hatten an diesem Fonds, dem Vermögen der Assoziation, gleichen Anteil. Jedes Mitglied konnte ein Darlehen bis zur Höhe seines Beitrages verlangen, welches der Rendant sogleich gewähren musste. Wünschte das Mitglied ein höheres Darlehen, so musste es ein schriftliches Gesuch an den Vorstand richten. Bis auf weiteres durfte der Vorstand Darlehen bis zu 10 Taler gewähren; diese Kredite mussten sich aber im Rahmen des Reservefonds halten. Wenn dieser erschöpft war, musste die Gewährung von solchen größeren Darlehen unterbrochen werden. Die inzwischen eingehenden Darlehnsgesuche sollten dann der Reihe nach, nach Möglichkeit befriedigt werden. Vor der völligen Rückzahlung eines früher bewilligten Darlehens durfte ein weiteres nicht gewährt werden. Die Rückzahlung musste binnen 3 Monaten geschehen, konnte auch in Raten erfolgen. Mitglieder, die mit ihren Beiträgen im Rückstande waren, durften so lange keine Kredite erhalten.
Die
geschilderte Regelung hätte nun allerdings zur Folge gehabt, dass
der Verein in der ersten Zeit seines Bestehens größere Kredite
nicht hätte gewähren können, solange der Reservefonds nur geringe
Mittel umfasste. Für diese Übergangszeit traf man folgende
Regelung:
Es wurden nicht verzinsliche „Aktien" im Werte von 1 Taler ausgegeben. Diese sollten nach und nach durch jährliche Auslosung getilgt werden. Jeder Aktionär „sei in Vereinsangelegenheiten auch dann stimmberechtigt, wenn er nicht Mitglied der Darlehnskasse war". Das hier in kurzem Auszug wieder gebene, vom 28. März 1849 datierende Statut ist von dem Stadtsekretär Elitzsch, von Justiz-Kommissar Peters, Sparkassenrendant Weiß, von Rektor Köppel, von Amtmann L. Loose, den Herren Vogel, Fauser, Ruppert, C. Hoffmann, Köhler und H. Hoffmann unterschrieben. Es waren insbesondere einflussreiche, bemittelte Männer Dübens, das 1851 gegen 4000 Einwohner zählte, die das Statut unterzeichnet hatten. Dies ist sicherlich auch der Grund dafür, dass die Dübener Darlehnskasse, wenn man von der vorübergehenden Ausgabe der allerdings zinslosen „Aktien" absehen will, durchweg auf der Selbsthilfe der Mitglieder basierte. Man muss auch bedenken, dass die sogenannten „Aktionäre" ebenso wie die Mitglieder, wenn sie dies nicht schon sowieso waren, das Stimmrecht in den Generalversammlungen der Vereinigung besaßen.
Nach einer Mitteilung vom 21. April nahm der Dübener Darlehnskassenverein seitdem seine Geschäftstätigkeit auf. Dem Vorstand, der auf je 1 Jahr gewählt wurde, gehörten als Vorsitzender Justizkommissar Peters, als Schriftführer Stadtsekretär Elitzsch und als Rendant Neuhofbesitzer L. Loose an. Ein umfangreicher Aufsatz vom 28. April und 5. Mai macht nochmals Propaganda für die Kasse. Auch den Dübener Vorschußvereinsfreunden war hiernach bekannt, wie bereits an vielen anderen Orten ähnliche Darlehnskassen errichtet worden waren. Das Aufkommen der fabrikmäßigen Produktionsweise hatte die Existenz des Handwerks bedroht, ihre Errichtung deshalb notwendig gemacht. Wie überall hatte man die Erfahrung gemacht, dass seitdem der Handwerker das von ihm gebrauchte Rohmaterial entweder beim Fabrikanten borgen und deshalb dafür höhere Preise anlegen musste oder, da er nicht genügend bemittelt war, hierzu Gelder bei überhöhten Zinssätzen borgen musste. Hierdurch ging dem Handwerker ein Teil des Verdienstes verloren, was seine Wirtschaftslage immer mehr verschlechterte. Daher sahen Justizkommissar Peters und seine Dübener Freunde in den Darlehnskassen ein Mittel, das die so entstandene Notlage des Kleingewerbes lindern konnte. Alleinstehend sei der Mensch schwach, deshalb schlossen sich die Menschen zu Gesellschaften zusammen. Weiterhin legte dieser Aufsatz eindringlich die verschiedenen Vorteile der Darlehnskassen dar. Hieran schließt sich ein Kommentar des Statuts des Dübener Vorschußvereins an.
Nach dem ersten Geschäftsbericht, der am 20. April 1850 veröffentlicht wurde, gehörten dem Dübener Darlehnskassenverein bei seiner Gründung 64 Mitglieder an. 1850 war die Zahl derselben 67. In diesem Jahre waren insgesamt 608 Taler 15 Silbergroschen als Darlehen gewährt worden. Die Zahl der gezeichneten „Aktien" betrug nach einer Mitteilung vom 29. September 1849 114. Von diesen wurden 1850 10 ausgelost und zurückgezahlt. Im Geschäftsjahre 1850—51 waren bereits 1082 Taler ausgeliehen worden, 1851—52: 1430 Taler, 1852—53: 1620 Taler, 1853—54: 1262 Taler. Die Mitgliederzahlen betrugen 74 bezw. 77 bezw. 74 bezw. 67. Der Reservefonds belief sich nach Ablauf des Geschäftsjahres 1853—54 auf 98 Taler, 19 Silbergroschen 5 Pfennig Die „Aktien" waren in dieser Zwischenzeit völlig ausgelost und den Gläubigern zurückgezahlt worden. Im April 1852 waren 59 derselben zurückgezahlt worden" Die „Dübener Darlehnskasse" hatte sich somit als lebensfähig erwiesen. Sie war es, die 1850 Bernhardi und Bürmann ermunterte, in Eilenburg eine solche ebenfalls ins Leben zu rufen. Infolge des viel umfangreicheren Geschäftsverkehrs in diesem damaligen Zentrum der preußischen Kattundruckerei musste naturgemäß die Frage der Kapitalaufbringung, die in Düben sich hatte leicht lösen lassen, ein schwieriges Problem bilden, man musste neue Wege beschreiten, wenn dem um seine Existenz kämpfenden Kleingewerbe erfolgreich geholfen werden sollte. Wie bei der bereits bestehenden „Lebensmittelassoziation" und bei den Rohstoffgenossenschaften wurde daher die solidarische Haftung der Mitglieder als wichtigstes neues Mittel der Kapitalbeschaffung verwendet. Bürmann sagt hierzu in seinem Aufruf vom 16. Oktober 1850: „Der sonst nötige Fond wird durch unter solidarischer Verpflichtung aufzunehmende Darlehn beschafft".
Es war ein schwerer Weg, bis zum heutigen Genossenschaftswesen. Der Vordenker desselben, Hermann Schulze aus Delitzsch, schrieb über diese ersten Jahre in seinem Buch „Associationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter“ - Verlag von Ernst Keil, Leipzig 1853, sehr ausführlich darüber. Neben diesem Buch waren auch die in Düben erschienenen Jahrgänge des „Gemeinnütziges Wochenblatt für Düben und die Umgegend“, Jahrgänge 1849, 1854 und 1855, sowie die „ Entstehungsgeschichte des deutschen Genossenschaftswesens“ von, dem aus Bad Düben stammenden, Prof. Dr. Otto Ruhmer, unter Mitwirkung von Robert Schlosser, erschienen 1937, Grundlage für den kleinen Beitrag.
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Mit Ausnahme der Abb. von Hermann Schulze-Delitzsch liegen die Bildrechte beim Autor Lutz Fritzsche.