2019 jährt sich die friedliche Revolution zum 30. Mal. In Leipzig (4.000 Teilnehmer und 210 Verhaftungen) und Berlin (3.000 Teilnehmer) fanden am 7. Oktober 1989 auch Demonstrationen statt, aber die erste
Großdemonstration ereignete sich in der Textilstadt Plauen
(„Plauener Spitze“).
Die Stadt lag am Rande der DDR im Vogtland. Hier gingen am 7. Oktober 1989, dem letzten Republiksgeburtstag, ca. 15 000 Menschen auf die Straße, um zu rebellieren. Andere Quellen berichten von 20 000 Teilnehmern.
Peter Luban, Künstler und Zeitzeuge, verglich die sich überschlagenden Ereignisse mit der Implosion eines Röhrenfernsehers. Ganz plötzlich knallt es und kommt damit zum Druckausgleich. In dieser Zeit verbrüderten sich die Menschen, um die Angst vor der staatlichen Gewalt zu besiegen. Eine Angst, die bewusst von der Staatsmacht geschürt wurde. Denn als die Massen am Nachmittag durch die Stadt zogen, kreiste ein Hubschrauber in geringer Höhe über die Dächer und über den Marschzug. Der Hubschrauber machte einen nervtötenden Höllenlärm. Zwei Feuerwehren mit Wasserwerfer standen bereit, die direkt auf die Menschen gerichtet waren. Die Demonstranten schleuderten Pflastersteine und Flaschen gegen die Fahrzeuge. Ein Blumenkasten wurde geworfen. Die Stimmung war so aufgeheizt, dass nicht viel fehlte und die Situation wäre eskaliert. Da schaltete sich Superintendent Thomas Küttler ein. Er erreichte im Gespräch mit dem Oberbürgermeister der Stadt Plauen, dass der Hubschrauber und die Wasserwerfer zurückgezogen wurden.
Danach ließ Küttler die Glocken in der Lutherkirche läuten. Über ein Megafon ermahnte er die Menschen, ruhig und friedfertig zu bleiben. Er lud zu einer Versammlung in diese Kirche ein, die am Abend stattfand. Dort gründete sich die „Gruppe der 20“, die fortan die Geschicke der Aufständigen in die Hand nahm. Sie verhandelte mit den Mächtigen, formulierte die Forderungen, die vorgetragen wurden, und sie organisierte fortan die Demonstrationen an jedem Sonnabend. Es bildete sich eine Art „Runder Tisch“. Die Plauener demonstrierten von Anfang an nicht nur für freie und geheime Wahlen, Reise- und Meinungsfreiheit, sondern forderten die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Die Rebellen hatten die erste Schlacht gewonnen.
Wie war es ausgerechnet weit im Süden der DDR, fast im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze, zu so einem Ausbruch des Volkswillens gekommen?
Im Gegensatz zu Dresden, das im „Tal der Ahnungslosen“ lag,
konnten die Menschen in Plauen Radio- und Fernsehsender der BRD und
den RIAS-Sender Hof störungsfrei empfangen. Die Teilung Deutschlands
erlebten sie hautnah. Aber sie konnten mit ihren Verwandten und
Freunden in Bayern öfter und unkomplizierter Kontakt halten. Man
traf sich im nahen Franzensbad (Frantiskovy Lázne) oder in Karlsbad
(Karlovy Vary). Die Zahl der Plauener Ausreiseanträge war hoch:
2
000.
Der letzte Auslöser der „Implosion“ waren die Sonderzüge mit den Ausreisenden aus der Prager Botschaft, die ab 1. Oktober 1989 von Prag über Dresden, Karl-Marx-Stadt und Plauen nach Hof fuhren. Diese Entscheidung der SED-Führung zeugte vom fehlenden Realitätssinn, Dummheit und der Ignoranz der Herrschenden.
Die Plauener lieferten mit dem Erfolg der Demonstrationen und der anschließenden Organisation der „Gruppe der 20“ eine Blaupause für die Aufstände in der DDR, nur keiner schaute hin, denn Plauen kam auf der politischen Landkarte nicht vor. Viele Jahre fand die erste Großdemonstration in Plauen kaum Beachtung.
Alle Augen waren auf Leipzig gerichtet, wo am 9. Oktober 1989 ca. 70 000 auf dem Ring um die Innenstadt zogen. Diese Demonstration konnte heimlich gefilmt werden, gab die Sprechchöre wieder, und wurde im ZDF und ARD veröffentlicht. Die Filmaufnahmen gingen um die Welt. Am 16. Oktober 1989 zogen 100 000 Menschen um den Ring in Leipzig. Parallel fanden mit rund 10 000 Teilnehmern in Dresden und Magdeburg Demonstrationen statt. In Halle hatten sich 5 000 und in Berlin 3 000 Menschen versammelt.
Der Rest ist deutsche Geschichte.
Bildnachweis
Kopfbild: Plauener Spitze. Via Wikimedia, gemeinfrei.
Bild 1: Demonstration vor dem Rathaus in Plauen 1989.
Bundesarchiv, Bild 183-1989-1106-405 / CC-BY-SA 3.0
Bild 2: Lutherkirche in Plauen. Via Wikimedia, gemeinfrei.
Bild 3: Wendedenkmal in Plauen. Via Wikimedia, gemeinfrei.