„Bei dummer Obrigkeit grüßt man nicht den Mann,
man grüßt nur das Kleid."
(Jean de La Fontaine)
„Kleider machen Leute", so titelte Gottfried Keller 1874. Heute heißt es „Perfekte Kleidung fördert die Karriere" (Ulrike Mayer).
Im Jahr 2010 sorgte der etwa 40 Seiten umfassende Dress-Code einer bekannten Bank für Aufsehen, da in dieser Verordnung detailliert aufgelistet wurde, wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der betreffenden Bank zu kleiden haben. Unter anderem wurde erwartet, dass weibliche Personen möglichst fleischfarbene Unterwäsche tragen.
Neu sind solche Vorschriften keineswegs.
Bereits Karl der Große erließ im Jahr 808 ein sog. Aufwandgesetz, in dem zum Beispiel der einfachen Bevölkerung vorgeschrieben wurde, nicht mehr als 6 Ellen Stoff für ein Gewand und nur wenige modische Extras zu verwenden. Trotz mancher Einschränkungen blieben den unteren Schichten doch noch etliche Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Gewänder.
Das änderte sich ab dem 12. Jahrhundert drastisch. Die drei zu dieser Zeit bestehenden Stände (Geistlichkeit, Adel und Bauern) hatten sich nach einer speziellen Ordnung zu kleiden.
Die Kleriker hatten ihr eigenes Habit (z. B. die Kutten der Mönche), der Adel durfte sich kostbarer und bunter kleiden als die Bauern, die sich mit groben und einfachen Kitteln, Hosen und Kleidern zufriedengeben geben mussten.
Als sich im 14. und 15. Jahrhundert in den Städten ein starkes Bürgertum entwickelte, nahmen Kleiderordnungen in der städtischen Gesetzgebung einen gewichtigen Raum ein.
In Frankfurt und Speyer wurde bereits 1356 festgelegt, was der einzelne Stadtbewohner anzuziehen hatte und was nicht. So verboten zum Beispiel die Vorschriften in Straßburg 1370 den Frauen, mit Hilfe ihrer Unterkleider ihre Brust anzuheben.
Eine umfassende und selbst die kleinsten Einzelheiten regelnde Kleiderordnung wurde 1478 in Regensburg erlassen. Für uns heute ist kaum nachvollziehbar, was damals erlaubt oder verboten wurde. Schon ein erster Blick in diese Ordnung lässt uns verwundert den Kopf schütteln:
„Zum ersten ordnen, setzen und gebieten wir, dass kein layisch" (weltlich) „Mannsperson forthin etwas von Perlen trage, weder auf Hüten, Kappen, Wämsern, Hosen, Röcken noch Mänteln; er soll auch von goldnen oder silbernen Ringen nicht mehr tragen, denn einen Daumenring, mit Ausnahme derer vom Rat und der 45, die mögen zu dem Daumenring tragen ein oder zwei Ringlein..."
Dieses Zitat aus der Regensburger Kleiderordnung zeigt, was auch in den Ordnungen anderer Städte nachzulesen ist, nämlich, dass Bürger nicht gleich Bürger ist und klar zwischen Ratsherren, Handelsherren, Handwerkern, einfachen Bürgern und Bediensteten unterschieden wurde.
Vor allem die Oberschicht war sehr darauf bedacht, die bestehenden Standesunterschiede schon durch Kleidervorschriften sichtbar zu machen und so das soziale Gefüge der Stadt zu erhalten.
Unglaublich für uns heute: von 1495 bis 1800 waren Kleiderordnungen sogar Gegenstand von Beratungen und Beschlüssen auf Reichstagen.
Vom Landesherren erhielt der Rat der Stadt Leipzig 1478 ein eindringliches Schreiben, in dem sehr nachdrücklich die Einhaltung der bestehenden Kleidervorschriften angemahnt wurde. Die Stadt erließ daraufhin eine Kleiderordnung, die aber leider nicht erhalten ist, sich aber (wie alle diesbezüglichen Vorschriften) nach dem sozialen Stand des jeweiligen Bürgers richtete.
Auch Georg der Bärtige (1471 - 1539) sah sich 13 Jahre später genötigt, die Einhaltung der Kleiderordnung in Leipzig anzumahnen.
Die änderte sich ab 1500 in erstaunlicher Weise. Die Verbote betrafen nun nicht mehr so sehr die einzelnen Kleidungsstücke, sondern vor allem ausländische Kleider und kostbare Stoffe.
Die erste gedruckt vorliegende Kleiderordnung stammt übrigens aus Leipzig, ihr Titel lautete:
„Etliche der Stat lipsigk gesetzt über der Bürger, bürgerin, auch ander eynwoner tracht, Cleydung, Wirtschaft, und anders auß des Raths ordenung und Statuten yn sunderheit getzogen. Liptzk 1506."
Welchen Sinn hatten solche Vorschriften?
In der Regensburger Kleiderordnung wird betont, dass sie
„gedacht" (sei) „hinzulegen das hochfährtig übermütig Wesen, das Mannen und Frauen in unserer Stadt in überflüssiger Kostbarlichkeit mit allerlei Kleidern und Kleinoden bisher getrieben, Seine göttliche Majestät oft und viel erzürnt, auch uns selbst, unseren Kindern und Nachkommen damit sehr Schaden getan haben; und darum haben wir zur Besserung unsers Lebens und zur Förderung eines jeden Mannes Gewerbe und Handel heranfolgende Ordnung,Gesetz und Statut vorgenommen."
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Natürlich sollte durch die Kleiderordnungen auch der Luxus der Kleidung eingedämmt und natürlich auch die Sittlichkeit gewahrt werden. Dazu dienten Vorschriften in Regensburg wie die folgende:
Es soll auch keine Frau oder Jungfrau einen Barchent-, Unter-, oder Oberrock eng mit Schnüren einziehen oder ihren Leib und die Brust mit Engnis einzwängen und binden.
Nebenbei bemerkt: Schauspielerinnen und Dirnen durften mehr von ihrer Weiblichkeit zeigen als Damen, und diese mehr als die Frauen des Bürgertums. „Bauernmädchen gehen barfuß und die Vornehmen barbrust" lästerte einst Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799).
Vor allem sollten die Kleidervorschriften die Hoffahrt der Bürger unterbinden. Gemeint ist damit das Streben der Städter, sich durch eine entsprechende Kleidung auf die Stufe eines höheren Standes zu erheben.
Mithin dienten alle Kleiderordnungen dazu, die bestehenden Standesunterschiede und Machtverhältnisse zu stabilisieren und zu erhalten. „Man darf anders denken als seine Zeit, aber man darf sich nicht anders kleiden", so das Fazit der Marie Ebner - Eschenbach (1830 - 1916).
Folgerichtig wurden die bestehenden Kleiderordnungen durch die Französische Revolution abgeschafft.
Der Lyriker und Kulturkorrespondent Othmar Cappelmann formulierte treffend: „denn Kleider machen Leute - aber sie machen nicht den Menschen".
Im Jahre 1811 verfügte König Friedrich Wilhelm III. in Preußen durch Kabinettsorder, dass Pfarrer, Rabbiner, Juristen und königliche Beamte (also auch Professoren) Talare zu tragen haben. Mithin operierten Medizinprofessoren im schwarzen Talar (der sehr selten gewaschen wurde). Erst nach 1900 trugen alle Ärzte weiße Kittel.
Uniformträger (Eisenbahner, Piloten, Polizisten), Amtsträger (Juristen, Pfarrer) und die Mitarbeiter in den medizinischen Bereichen (Ärzte, Rettungssanitäter, Krankenschwestern) sind heute aus unterschiedlichen Gründen (Hygiene, Arbeitsschutz, Erkennbarkeit) verpflichtet, eine Dienstkleidung zu tragen. Auf die unterschiedliche Bekleidung im Bereich des Sports sei hier nur am Rande hingewiesen.
Die einstigen Wasserträger in Hamburg erkannte man an einer einheitlichen Kleidung. Sie wurde etwas modifiziert von den Schiffszimmerleuten im Hafen übernommen. Handwerksburschen verbreiteten diese Kleidung in Deutschland, sie wurde im 19. Jahrhundert die offizielle Kluft der Zimmerleute. Auch in anderen Handwerksberufen begann man, Kluft zu tragen, z.B. Bäcker und Maurer.
Interessant ist, wie schnell auch eine Protestkleidung toleriert und sogar in den Dress-code aufgenommen wird. Bestes Beispiel dafür sind die Jeans.
1950/60 waren diese Hosen Abgrenzungsmittel, Protestelement und Kultobjekt protestierender Jungendlicher. Man denke nur an Ulrich Plenzdorfs 1973 erschienenen Briefroman „Die neuen Leiden des jungen W", in dem sein Held Edgar Wibeau feststellt:
„Jeans sind wahrscheinlich eine Einstellung und keine Hose."
Inzwischen trägt man Jeans bei allen Gelegenheiten, sogar bei Festen und Feiern.
„So stylen Sie sich richtig", unter diesem Slogan bekommt man im Internet Empfehlungen, wie man sich in der Geschäftswelt „ordentlich" zu kleiden hat. Danach haben allerdings Jeans in der Business-Welt nichts zu suchen.
In der Geschäftswelt wurde die Kleidung als nonverbales Kommunikationsmittel neu entdeckt und mithin voll genutzt.
Kleiderordnungen - heute spricht man vom Dress-code - gibt es in vielen Banken, Versicherungen oder Produktionsbetrieben. Allerdings schriftlich bekommt man sie selten zu Gesicht. Doch jeder Mitarbeiter weiß, wie er sich zu kleiden hat.
Da sind zum Beispiel dunkle Farben angesagt, denn die suggerieren Seriosität und Vertrauenswürdigkeit, (eingedenk des Sprichworts „Bunte Kleidung, bunter Sinn").
In einer Zeit, in der möglichst viele Frauen in Leitungsstellen berufen werden sollen, ist der Business-Code erstaunlicher Weise rein maskulin dominiert. Frauen haben Hosenanzüge oder Kostüme zu tragen, dazu Strümpfe und geschlossene Schuhe. Begründet wird das mit der Vielfalt der weiblichen Mode, die dadurch nicht als Kleidung in der Geschäftswelt geeignet wäre.
Firmenkleidung soll die Firmenphilosophie widerspiegeln, der sich das Unternehmen verpflichtet fühlt. Sie soll wie das Verhalten der Mitarbeiter bekunden: Wir sind kundenfreundlich, faire Geschäftspartner, kompetent, achten auf Qualität und sind termintreu. Unsere Firma übernimmt Verantwortung im sozialen, aber auch im ökologischen Bereich.
Aber auch für eine psychologisch ausgefeilte Kleiderordnung gilt das Sprichwort „Man empfängt die Leute nach ihrer Kleidung, entlässt sie aber nach dem Verstand".
Literatur:
Anawalt, Patricia Rieff, Weltgeschichte der Bekleidung, Bern, 2007
Mayer, Ursula, Perfekte Kleidung fördert die Karriere, Signum Verlag, 2011
Schwarzer, Ursula, Das Diktat der Etikette, Spiegel online vom 3.11.2011