Viele Jahrhunderte konnten
Ärzte oder Angehörige den Tod eines Menschen nur feststellen, indem
sie den Puls kontrollierten, den Herzschlag abhörten und prüften,
ob der Mensch noch atmete. Vom 17. bis 19. Jahrhundert gab es
verbreitet die Angst, lebendig begraben zu werden. Ein Mensch könnte
nur ohne Bewusstsein sein und in einer tiefen Ohnmacht liegen und
trotzdem würde er begraben. Er würde dann den Erstickungstod
erleiden. Bekannt ist die Geschichte, und das Lied dazu, vom „lieben
Augustin“. Zur Zeit einer Pest in Wien spielte der Musikant in
Wirtshäusern auf, betrank sich maßlos und landete zusammen mit
Pestopfern in einem Massengrab, das nicht gleich mit Erde
zugeschüttet worden ist. Nachdem Augustin seinen Rausch
ausgeschlafen hatte, konnte er selbständig aus dem Grab
herausklettern. Aber nicht nur aus Österreich, sondern auch aus
Deutschland tragen viele Berichte über solche Fälle anekdotenhafte
Züge.
Ursula Brekle
Im März 1859 verbreitete sich in der Stadt Düben ein Gerücht, welches unter der Bevölkerung den tiefsten Aberglauben wiederbelebte. Ein Mensch soll bei lebendigem Leibe begraben worden sein. Was war geschehen? Zu diesem Vorgang veröffentlichte der Staatsanwalt von Eilenburg einen Bericht, aus dem wir folgendes entnehmen können:
Am 27. Februar war in Düben die 15jährige Wilhelmine Schneider, Tochter des Handarbeiters Carl Schneider in der Vorstadt, nach vierwöchigem Krankenlager am Nervenfieber gestorben. Ihre nächsten Angehörigen hatten an ihrem Tod nicht gezweifelt. Trotzdem war das Gerücht entstanden, sie sei lebendig begraben worden. Sofort leitete der Magistrat alle nötigen Ermittlungen ein, ließ das Grab öffnen und die Leiche ärztlich untersuchen. Daraus ergab sich die Unwahrheit dieses Gerüchtes. Doch als der Totengräber gerade damit beschäftigt war, neuen Rasen auf das eben erst geschlossene Grab zu bringen, hörte dieser ein dreimaliges Getöse aus der Gruft. Sofort meldete er seine Wahrnehmung und das Grab wurde am 14. März zum zweiten Mal geöffnet. Zur Wiederaufgrabung und Öffnung des Sarges hatte man noch andere Personen herangezogen. Als einer davon eine Kopfbewegung der Leiche bemerkt haben wollte. Diese Wahrnehmung, welche jene Zeugen auch bei ihrer gerichtlichen Vernehmung bekundet hatten, fanden aber eine natürliche Erklärung. Das Getöse war entstanden, als die Bretter des schlecht beschaffenen Sarges (ein sogenannter Almosensarg), durch die Last des Erdreiches teilweise aus den Fugen geraten waren. Die Bewegung des Kopfes kam zustande, als der Totengräber aus den Augenhöhlen der Leiche mit einem Efeuzweig den Sand heraus gewischt und entweder dadurch oder durch seine Stellung quer über dem Sarge (mit den Beinen zwischen der Gruftwand und dem Sarg) eine Bewegung der Leiche verursacht hatte. Diese Kopfbewegung war übrigens nur während des Wegwischens des Sandes und nur von dem entfernt stehenden Zeugen bemerkt worden. Die Glieder der Leiche waren noch bei der Besichtigung am 14. März beweglich. Spuren von Krampf oder Todeskampf waren nirgends sichtbar. Vielmehr trug das noch wohl erhaltene Antlitz den Ausdruck der Ruhe. Nach genauer Besichtigung aller Körperteile der Leiche gewannen die Gerichts- und Medizinalpersonen die Überzeugung, dass ein Erstickungstod nicht stattgefunden habe. Eine Obduktion unterblieb deshalb. Damit wurde die Leiche des armen Mädchens zum dritten Male der Ruhe des Grabes überantwortet.
Bildnachweis
Kopfbild: Wolfgang Brekle.
(1): Gemälde von Adam Brenner aus Wikimedia.
(2): Das "Pesttor" zu Düben. Diese schöne Zeichnung stammt von dem in Bad Düben geborenen Maler Hermann Schiebel. In der Mitte, oben, die Jahreszahl 1577, links, über dem Torbogen ist das sächsische Wappen und rechts alte Stadtwappen von Bad Düben zu sehen. Quelle der Zeichnung: Fritzsche, Lutz: Stadtkirche St. Nikolai, S. 54.