Die Lebensgeschichte der Anna Neander, geboren 1615 in Tharau, ist deshalb historisch verbürgt, weil Anna zwei Amtsnachfolger ihres ersten Mannes heiratete, der als Pfarrer zuletzt an der Kirche in Laukischken (heute Saranskoje) tätig war, wo er 1646 verstarb. Anna überlebte auch die nächsten zwei Ehemänner, Amtsnachfolger als Pfarrer in Laukischken. Anna lebte dort 35 Jahre. Das war damals durchaus die übliche Praxis der Witwenversorgung in Pfarrstellen. Danach zog Anna zu ihrem ältesten Sohn Friedrich Portatius nach Insterburg, wo sie 1689 verstarb. Sie wurde auf dem dortigen Friedhof beigesetzt.
Heute
ist der Nachweis gesichert, dass Simon Dach (1605 in Memel – 1659
in Königsberg) das Gedicht "Anke van Tharaw" verfasste, ursprünglich in
samländischem Niederdeutsch, anlässlich Anna Neanders erster
Hochzeit mit dem Pfarrer Johannes Portatius. Der Ostpreuße
Johann Gottfried Herder übertrug das Gedicht 1778 in die hochdeutsche Form. Er
veröffentlichte es in "Stimmen der Völker in Liedern" 1807
unter dem Titel "Annchen von Tharau".
Der schwäbische Musiker Friedrich Silcher unterlegte
1827 die heute allgemein
bekannte Melodie. Das Lied
ging in die Welt.
Zum
Gedenken steht im litauischen Klaipeda (ehemals Memel) der
Simon-Dach-Brunnen, auf dem
auch Ännchen von Tharau dargestellt
wird.
Hier werden die 17 Strophen zitiert, wie sie ursprünglich verfasst worden sind. Heute werden häufig nur 10 Strophen gedruckt und gesungen.
Ursula Brekle
Ännchen von Tharau
Ännchen
von Tharau ist’s, die mir gefällt,
Sie ist mein Leben, mein
Gut und mein Geld.
Ännchen von Tharau hat wieder ihr
Herz
Auf mich gerichtet in Lieb’ und in Schmerz.
Ännchen
von Tharau, mein Reichtum, mein Gut,
Du meine Seele, mein
Fleisch und mein Blut!
Käm alles Wetter gleich auf uns zu
schlahn,
Wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.
Krankheit,
Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung
sein.
Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
hat
ihn erst Regen und Sturmwind gebeugt,
So wird die Lieb’
in uns mächtig und groß
Durch Kreuz, durch Leiden und
traurigem Los.
Würdest du gleich einmal von mir
getrennt,
Lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt;
Ich
will dir folgen durch Wälder und Meer,
Eisen und Kerker und
feindliches Heer.
Ännchen von Tharau, mein Licht, meine
Sonn,
Mein Leben schließ’ ich um deines herum.
Was
ich gebiete, wird von dir getan,
Was ich verbiete, das lässt du
mir stahn.
Was hat die Liebe doch für ein Bestand,
Wo
nicht ein Herz ist, ein Mund, eine Hand?
Wo man sich
peiniget, zanket und schlägt,
Und gleich den Hunden und Katzen
begeht.
Ännchen von Tharau, das wolln wir nicht tun;
Du
bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.
Was ich
begehre, begehrest du auch,
Ich lass den Rock dir, du lässt mir
den Brauch.
Dies ist dem Ännchen die süßeste Ruh’,
Ein
Leib und Seele wird aus Ich und Du.
Dies macht das Leben
zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.
Bildnachweis
Kopfbild: Simon Dach aus Wikimedia Commons, gemeinfrei
Die beiden Abb. im Text sind ebenfalls Wikimedia Commons entnommen, sie sind gemeinfrei.