Emanuel Geibel (1815-1884), der in seiner Zeit berühmt und beliebt war, begann das Wanderlied „Der Mai ist gekommen" 1841 oberhalb eines Weges nach Schloss Escheberg zu verfassen, wo der Kammerherr und Mäzen Karl Otto von der Malsburg einen literarischen Zirkel unterhielt. Das Gedicht wurde 1842 in Kassel erstmalig gedruckt. Justus Wilhelm Lyra (1822-1882), der aus Osnabrück stammte, vertonte das Gedicht. In dieser Fassung wird es heute noch gesungen. In Hessen, dort in Osnabrück und Lübeck, wird es am Vorabend des 1. Mai bis heute öffentlich gesungen, ebenso beim Maieinsingen in einigen Universitätsstädten.
Ursula Brekle
Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus.
Da bleibe wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus.
Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in die Weite, weite Welt.
Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt'!
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht.
Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert;
es gibt so manchen Wein, den nimmer ich probiert.
Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl,
wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all-
mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall.
Und abends im Städtchen, da kehr' ich durstig ein:
Herr Wirt, mein Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!
Ergreife die Fiedel, du lustiger Spielmann du,
von meinem Schatz das Liedel, das sing' ich dazu.
Und find ich keine Herberg', so lieg' ich zur Nacht
wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht.
Im Winde, die Linde, die rauscht mich ein gemach,
es küsset in der Früh' das Morgenrot mich wach.
O Wandern, o wandern, du freie Burschenlust!
Da wehet Gottes Odem so frisch in der Brust;
da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt.