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Die Fabeln von Florian Russi spiegeln unser tägliches Verhalten wider. Nicht belehrend, sondern unterhaltend. Deswegen sind Fabeln heute wieder so modern.

Wolfvater und Wolfsohn

Wolfvater und Wolfsohn

Florian Russi

Heulender Wolf
Heulender Wolf

Wolfvater herrschte über ein großes Rudel. Er bestimmte über alle anderen und erwartete von ihnen absoluten Gehorsam. Sie mussten tun, was er von ihnen verlangte, und erdulden, was er ihnen antat.

Im Laufe der Zeit wurde den anderen Wölfen sein Verhalten immer unerträglicher. Sie litten unter seinen Launen und sehnten das Ende seiner Herrschaft herbei. Doch sie fühlten sich zu schwach, um sich ihm zu widersetzen. Wolfvater hatte einen Sohn, den er über alle Maßen liebte. Das nutzte dieser aus und erlaubte sich immer mehr Freiheiten und Eigenmächtigkeiten. Selbst als er ihn einmal einen „gerissenen alten Dachs“ nannte, verzieh ihm der Alte und fand die Bezeichnung sogar lustig. Auch den anderen Wölfen gefiel Wolfsohns Auftreten sehr. Endlich war jemand da, der dem grimmigen Alten auch einmal Widerworte gab.

Als der Wolfsohn groß und stark geworden war, kam es zwischen ihm und seinem Vater immer wieder zum offenen Streit. Sie zankten und bissen sich, und schließlich jagte der Wolfsohn seinen alten Herrn aus dem Revier. „Von jetzt an bin ich der Führer unseres Rudels“‚ sagte er danach zu den anderen. Die Wölfe nickten und waren froh, die Herrschaft des Alten abschütteln zu können. Doch bald schon zeigte sich, dass der Sohn noch viel herrschsüchtiger und ungerechter war als sein Vorgänger. Ohne Bedingungen hatten sich alle seiner Macht zu fügen. Jeden, der sich nicht unterwarf, verfolgte und tötete er. Da begannen die Ersten, ihre Enttäuschung zu zeigen. Doch der Wolfsohn sagte zu ihnen: „Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ich wegen euch Schwächlingen den Kampf mit meinem Vater auf mich genommen habe. Nein, mir ging es dabei nur um mich selbst.“

Da knurrten einige der Wölfe, aber keiner traute sich, gegen den neuen Herrn vorzugehen.


Gegenüber jedem, der nach Macht und Herrschaft strebt, ist Vorsicht angebracht.
Knurren allein nutzt nichts. Einer schlechten Herrschaft folgt leicht eine noch schlimmere nach.

Bildnachweis

Beide Abb. sind aus Wikimedia Commons entnommen, sie sind gemeinfrei.


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