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Weihnachten bei Familie Luther

Christoph Werner

Luthers jüngster Sohn erzählt vom Christfest

Paul Luther, der jüngste Spross der Lutherfamilie, gewährt dem Leser Einblick in sein Leben und das seiner Familie.
Er berichtet von seiner Kindheit in Wittenberg und der Krankheit seines Vaters, von seiner Verwicklung, die ihm als Leibarzt widerfuhren, und von den Intrigen am Gothaer Hof. Reichlich illustriert öffnen sie dem Leser die Tür zur Weihnachtsstube der Familie Luther.

Das Bildnis der Bertha von Bruneck

Das Bildnis der Bertha von Bruneck

Lene Voigt

Bertha von Bruneck.
Bertha von Bruneck.

Der alte Benningsen galt bei der ganzen Firma als ein ausgesprochener Sonderling. Über 40 Jahre war er nun schon im Hause und hatte die heutigen Inhaber der Buchbinderei noch in den Windeln gekannt. Irgendwelchen Drang zum Aufrücken von seinem untergeordneten Posten hatte Heinrich Benningsen jedoch niemals verspürt, und so war er das treu bewährte Faktotum geblieben, das im Winter die Öfen heizte und auf das man gewohnheitsmäßig alle Knifflichkeiten abwälzte, die keiner gern selbst verrichten mochte. Eine rührende Geduld und stete Bereitwilligkeit zeichnete den Alten von eh und je aus, so dass nicht einer befürchten musste, ablehnend beschieden zu werden. Krank war Heinrich Benningsen in den vielen Jahren seiner Tätigkeit nie gewesen, wohl aus Bescheidenheit, sich während der Arbeitsstunden der anderen ein Feiern zu erlauben. Von seinen Privatverhältnissen wusste man nur, dass er mit einer stets mürrischen Frau verheiratet war und keine Kinder hatte.

 

In der kleinen Kabine, die seinen Arbeitsplatz umgab, hatte Benningsen als einzigen Wandschmuck ein schon etwas verblichenes Foto in ebenfalls verblasstem Goldrahmen hängen, nach dessen Urbild er hin und wieder gefragt worden war. Doch keinem gelang es je, zu erfahren, wer die auffallend schöne Dame im Gewand eines Burgfräuleins gewesen sei. So wurde allgemein angenommen, dass es sich um eine weit zurückliegende Faschingserinnerung des Alten handele und dass er über die wahrscheinlich Verstorbene keine Auskunft zu geben wünsche. Freilich konnte es sich kaum einer vorstellen, dass Heinrich Benningsen jemals bei fröhlicher Maskerade das Tanzbein geschwungen hatte, aber schließlich war ja auch er einmal jung gewesen.

 

Erwin Müller, der jüngste Lehrling der Firma, war der einzige, der sich rühmen durfte, zuweilen ein Zipfelchen vom Vertrauen des alten Benningsen zu erwischen. Die beiden an Jahren so Ungleichen hatten sich mitunter auf dem Heimweg, der nach derselben Richtung führte, zu längerem und auch tieferem Gespräch zusammen gefunden. Auf solch einem Gang durch freiliegendes Gelände geschah es dann auch, dass der junge Erwin einiges Nähere aus Heinrichs Vergangenheit erfuhr.

 

Benningsen war in seinen Jünglingsjahren Mitglied einer Wandertruppe gewesen, die sich seinerzeit beachtlichen Ansehens erfreute. Zu dieser Mimenschar gehörte auch die Darstellerin der Bertha von Bruneck, deren Bildnis die Kabine des Alten zierte. Er, Heinrich Benningsen, spielte damals für einen plötzlich erkrankten Kollegen den Ulrich von Rudenz, und nie im Leben war er glücklicher gewesen als zu dieser Zeit, da ihm sämtliche Ideale seiner Schwärmerseele noch greifbar dünkten. Es kam dann alles so anders. Die angebetete Künstlerin wurde an eine große Bühne verpflichtet und nahm bald darauf eines reichen Bewerbers Hand an. Heinrich Benningsen, untröstlich über diese erste bitter schmerzliche Enttäuschung seines Lebens, sagte den Brettern ade und erfüllte damit den Wunsch seiner biederen kleinbürgerlichen Eltern, denen er bisher als eine Art verlorener Sohn gegolten hatte. Dann fand er, ohne eine eigentliche Lehre durchzumachen, Anstellung bei seiner jetzigen Firma und heiratete schließlich, weit mehr auf das Drängen seiner Mutter als aus Neigung, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das ihm eine schöne Aussteuer einbrachte.

 

Das mit einer Widmung versehene Bildnis der Bertha von Bruneck war schon einmal in Gefahr gewesen, von der eifersüchtigen Frau Benningsen vernichtet zu werden, und darum hatte es Heinrich in seine Geschäftskabine gerettet. Dort hing es nun als Zeuge längst vergangener Tage der Romantik und stets, wenn sich der Geburtstag der einst berühmten Schauspielerin jährte, erhielt es eine festliche Blütengirlande.

 

Gerade an solch einem Gedenktag war es, dass der alte Benningsen ganz leise und unauffällig, wie es seine Art gewesen, in seinem Arbeitsstuhl für immer einschlummerte.

 

Da nahm Erwin Möller still das Bildnis von der Wand und hat es zwei Tage später dem Alten, den er noch einmal nach der Aufbahrung besuchte, heimlich unter das Kopfkissen gelegt. Ein verirrter Sonnenstrahl huschte zum Fenster der Kapelle herein, und da wollte es fast scheinen, als spiele ein zufriedenes Lächeln um die Mundwinkel des einstigen Mimen, sintemal es seiner Ehehälfte nun doch nicht gelingen würde, Bertha von Bruneck um die Ecke zu bringen.

 

 

Quelle

 

Neue Leipziger Zeitung vom 2. März1935

 

 

Bildnachweis

 

Abb. Berta von Bruneck aus Friedrich Schillers Schauspiel Wilhelm Tell, als Stahlstich gestochen um 1859 nach einer Zeichnung von Friedrich Pecht. Aus Wikipedia, gemeinfrei.

 

Anmerkung

Berta von Bruneck, wie sie heute geschrieben wird, war ein österreichisches Burgfräulein und eine reiche Erbin mit Gütern in der Schweiz. Obwohl sie selbst Österreicherin war, sympathisierte sie mit dem Kampf der Schweizer für die Freiheit. Sie gewann Ulrich von Rudenz für die Sache der Eidgenossen. Am Ende des Dramas möchte sie Schweizerin werden und heiratet Rudenz.

 

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