Da, wo der Wald beginnt, steht verlassen an ihn gelehnt das letzte Gebäude des Dorfes, die Wohnung eines herrschaftlichen Forstbeamten, einst ein kleiner Ritterhof, denen von Bolbritz gehörig, daher jetzt noch vom Volk das „Bolbritz-Vorwerk“ genannt. Später sollen hier zwei Edelfräuleins ein einsames, freudloses Dasein geführt haben. Eine von ihnen spielte in der Volkssage als weiße Frau eine Rolle. Bis an dieses Haus heran reichte noch im 16. Jh. der Haartheich, der jetzt zu einem kleinen Weiher auf Neukircher Flur zusammengeschrumpft ist. Mitten durch sein Gewässer lief die bischöfliche meißnische und königlich böhmische Grenze. In den Lehnbüchern der Stolpener Regierung findet sich seine westliche Hälfte oft als Zubehör des Rittergutes Putzkau erwähnt.
Um Mitternacht zur Zeit des Vollmondes, wenn aus den Wiesen, die der Haartheich netzt, die dichten weißen Nebel aufwallen und bläuliche Irrwische in zahlloser Menge am Boden hüpfen, erscheint hier ein wunderschönes Wesen, vom Volk nur „Die weiße Frau“ genannt. Sie ist in ein weißes Linnengewand gehüllt, das ein Gürtel um die Hüften zusammenhält. Auf dem Anger neben dem Teich bleicht die Wäsche im Mondschein und begießt sie eifrig mit Wasser. Oft und sorgsam zählt sie auch die Stücke. Einst wandelte ein schalkhaft loses Mädchen, vom Tanze aus der Hübelschenke zurückkehrend, ganz allein um Mitternacht dort vorüber. Da hörte sie in der Nähe die Worte: „Hier fehlt ein Stück! Hier fehlt ein Stück!“ Dann wollte sie fliehen. Doch ihre Füße erlahmten. Ein eiskalter Finger rührte leise in ihren Nacken. Sie wandte sich um und schaute in ein jungfräulich schönes, doch tief betrübtes Antlitz. An den Brauen und Wimpern der Augen hingen kleine Tautropfen, die im Mondlicht glitzerten. Vorwurfsvoll sah die weiße Frau das Mädchen an und lispelte: „Was störst du die Bleicherin im Mondlicht? Sieh, sieben Jahre muss ich nun wieder spinnen, weil du mir jene Stück verderbt hast! Zur Strafe für deine Tat blick dorthin und bessere dich!“ Dabei deutete sie auf den Teichdamm und verschwand. Regungslos hafteten die Augen des Mädchens an der bezeichneten Stelle. Bald öffnete sich dort ein Spalt im Boden, und aus der Lücke drang heller Kerzenschein heraus. Das Mädchen bückte sich und lugte neugierig hinein. Da sah sie in einer unterirdischen Grotte an einem Tische ihren verstorbenen Vater sitzen. Er blickte finster zu ihr auf und hob warnend den Finger gegen sie empor. Erschrocken wich sie zurück. Seit jener Nacht war sie nicht mehr zu bewegen, am Haartheich vorüber zu gehen, wohl aber wollten andere die weiße Frau darauf mehrmals mitten auf dem Teich haben sitzen sehen, wie sie emsig Flachs zu Garn spann und nur selten einen Seitenblick nach den furchtsamen Menschenkindern am Ufer warf.
Bildnachweis
Beide Abb. aus Wikimedia-gemeinfrei.
Lithographie (geändert) von Ludwig Löffler aus dem Jahr 1851: Die Weiße Frau erscheint König Friedrich I. im Jahr 1713 kurz vor seinem Tod auf dem Berliner Stadtschloss.