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Ulf Annel

Rinderschwanzsuppe und Kindertanzgruppe
Fröhliche Gedichte

Der Erfurter Autor Ulf Annel spielt mit dem Sinn und Unsinn von Worbedeutungen. Ein Buch für die ganze Familie mit farbigen Illustrationen von Katrin Kadelke.

Die Schildbürger

Die Schildbürger

Volker Pohlenz

Titelblatt einer späteren Ausgabe des Lalebuches.(1)
Titelblatt einer späteren Ausgabe des Lalebuches.(1)

Im Jahre 2023 jährt sich zum 425. Mal das Erscheinen der Urfassung des Schildbürgerbuches von 1598. Dieses Buch, welches eine eiligst überarbeitete Fassung des ein Jahr zuvor erschienenen Lalebuches war, zählt heute zu den ersten deutschen Romanen, die etwa gleichwertig auf eine Stufe mit"Don Quichote de 1a Mancha" von Miguel Cervantes zu stellen sind.Beide Bücher, das Lalebuch und das Schildbürgerbuch, stammen vom gleichen Autor. Der Literaturwissenschaftler Ernst Jeep erkennt 189O durch regretsive Analyse über die"Grillenvertreiber", einem Nachfolgewerk des Schildbürgerbuches, als Verfasser Hans Friedrich von Schönberg, der unter dem Pseudonym Conradus Agyrta von Bellemont veröffentlichte. Dieser Conradus Agyrta von Bellemontralias Hans Friedrich von Schönberg wird auch als Verfasser des Lale- und Schildbürgerbuches erkannt.

Schönberg wurde am 28.2.1543 in Sitzenroda bei Schildau geboren,war kursächsischer Amtshauptmann und Hofrichter zu Wittenberg und starb am 24.3.1614 auf Gut Falkenberg/ Elster.
Wegen des Erfolges des Schildbürgerbuches über die Jahrhunderte hinweg bis zur Gegenwart, durch zahlreiche Autoren immer wieder neu interpretiert, nennen sich mittlerweile fast 40 Ortschaften im deutschsprachigen Raum, neben der Bundesrepublik Deutschland auch noch Orte in Livland, Ostpreußen, Schlesien, Böhmen, Elsaß und der Schweiz, als das sagenhafte Schilda.Doch schon das Schildbürgerbuch von 1598 mit dem Titel "Die Schiltbürger Wunderselzame Abentheuerliche/ unerhörte/ und bißher unbeschriebene Geschichten und Thaten der obgemelten Schiltbürger in Misnopotamia hinder Utopia gelegen" grenzt das Territorium ein. Unter"Misnopotamia"kann man einerseits den damaligen kursächsischen Meißnischen Kreis vermuten, der vom Amt Torgau elbaufwärts bis an die böhmische Grenze reichte, mit Meißen als etwaige geografische Mitte. Schildau lag im Meißnischen Kreis, dem Amt Torgau zugehörig. Das Land in den Grenzen von Elbe, Saale und Eger in der Form eines Dreiecks wird ebenfalls als"Meißner Flußland", alias Misnopotamia, bezeichnet.

Das Schildbürger- und auch das Lalebuch beinhalten 45 Kapitel, auch als Schildbürgerstreiche bekannt. Es beginnt in den ersten 6 Kapiteln mit der Weisheit der Schildbürger, die in aller Welt klug und weise ihren Dienst tun. In den Kapiteln 7 bis 13 beschließen diese, in ihre Heimat Schildau zurückzukehren. In den Kapiteln 14 bis 20 beschließen die Schildbürger, fein dümmlich zu werden. In den Kapiteln 21 bis 29 stattet der Kaiser beim närrischen Volk in Schildau einen Besuch ab. Die Schildbürger begehen in den Kapiteln 30 bis 43 weiter ihre närrischen Streiche, bis sie sich in den Kapiteln 44 und 45 aus Angst vor dem "Maushund", der eine Katze war, fluchtartig in alle Welt aufmachen und somit letztendlich die Dummheit verbreiten.

Kurfürst August I. (2)
Kurfürst August I. (2)

Solange die Schildbürger fremden Fürsten dienten, waren sie klug. Sobald sie aber den Dienst quittierten, wurden sie Narren. So etwas kann nur einer verfasst haben, der selbst in fürstlichen Diensten stand und dabei blieb. Dass er nichts gutes über sie schrieb, liegt wohl auf der Hand, denn er hatte seinen Ärger mit den nur vier Kilometer entfernten Schildauern. Auch das spricht für die Autorenschaft des Hanns Friedrich von Schönberg.
Solche und ähnliche fantastische Geschichten haben natürlich auch einen realen Hintergrund. Was war geschehen ?

Der Reformator Martin Luther war fast ein halbes Jahrhundert tot. Somit fehlte dem Protestantismus eine Führungsfigur. Der Protestantismus driftete in verschiedene Strömungen auseinander. Der albertinische Kurfürst August I., ein Anhänger Luthers, starb im Jahre 1586. Seit 1577 wird in Kursachsen die evangelische Glaubensinquisition mit Haft, Folter und Kerker eingeführt. 158O wird im Konkordienbuch die Eintrachtsformel festgelegt, wo das orthodoxe Luthertum gegen den Calvinismus vorgeht. Dadurch wird die katholische Gegenreformation begünstigt, die evangelischen Reichsstände gespalten und schließlich verliert Kursachsen die Führungsrolle im deutschen Protestantismus.

Kurfürst Christian I. (3)
Kurfürst Christian I. (3)

1586 wird Christian I., Sohn und Nachfolger August I, bis 159I Kurfürst. Unter dem Einfluss von Kanzler Dr. Krell, der auch Christians Erzieher war, gewinnt der Calvinismus an Einfluss in Kursachsen. Man spricht auch von der zweiten Reformation. Einige Gesetze, wie die Konkordienformel von August I., werden stillschweigend abgeschafft. Der Einfluss der Stände auf den Landesherrn wird geschwächt, wo auch der Landtag weniger bis gar nicht mehr tagt.

Als Christian I. 1591 stirbt, ist sein Sohn und designierter Nachfolger Christian II. noch ein Kind. Die Regierungsgeschäfte in Kursachsen übernimmt der ernestinische Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen – Weimar, ein orthodoxer Lutheraner. Er beruft für den 22.2. bis 3.3.1592 den Landtag in Torgau ein. Daran nimmt auch Hans Friedrich von Schönberg teil. Tagesordnungspunkte sind unter anderem der Generalangriff gegen den Calvinismus und die Verhaftung des bürgerlichen Kanzlers Dr.Krell, der in einem Prozess zum Tode verurteilt wurde. Er wurde 1601 mit dem Schwert enthauptet.

Als weiterer Punkt wurde die Macht des Adels gegenüber dem aufstrebenden Bürgertum, den Ständen, gefestigt. Hans Friedrich von Schönberg ist Vertreter des
Adels und als eifriger Anhänger des orthodoxen Luthertums von höchster Stelle als Visitor und Kommissar zur Bekämpfung des Calvinismus eingesetzt worden. So visitierte er unter anderem auch Kirche und Schule in Schildau und deckte "liederliche Verhältnisse" dort auf. Diese Visitationsregistraturen boten den literarischen Stoff zunächst für das Lalebuch 1597, und als das nicht wirkte, für das Schildbürgerbuch 1598 als seine Rache. Es kamen aber auch noch Begebenheiten aus anderen deutschen Landesteilen dazu, dle sich im Schildbürgertum wiederfinden, was die Ermittlung der Identität des Autors sowie des Ortes des Geschehens erschwerten. Aber auch durch das Verbot wegen gedruckter Schmähschriften (Codex August I.) aus dem Jahre 1571 wurde der Autor veranlasst, lieber anonym zu bleiben.

 Schildbürgerbrunnen Schildau, geschaffen von Diplom-Bildhauer Torsten Freche, 2007.(4)
Schildbürgerbrunnen Schildau, geschaffen von Diplom-Bildhauer Torsten Freche, 2007.(4)

Schildau als Stadt war bis zu jenem Landtag 1592 schriftsässig und damit für den Landtag fähig. Vertreter des Adels, darunter auch von 5chönberg, wollten diese kleinen Städte unter dem Deckmantel der Ausrottung des Calvinismus der den orthdoxen Lutheranern als Irrlehre galt, aus den Landtag drängen. 1592 verliert Schildau seine Landtagsfähigkeit. Der zivile Ungehorsam auf dummgute Art, ohne Gewalt gegen die Obrigkeit, ist eine Art Protest gegen die damaligen Zustände
und macht das Buch auch heute für uns so interessant. Diese sprichwörtlichen Schildbürgerstreiche veranlassten auch die 192O in Schildau geborene und 2O15 in Berlin verstorbene Schriftstellerin Ruth Kraft im Jahre 1953 im Carl- Hinstorff- Verlag in Rostock ein neu bearbeitetes Schildbürgerbuch heraus zu geben. Von den 45 Schildbürgerstreichen gibt es 12, die im Stadtbild von Schildau, Landkreis Nordsachsen, an verschiedenen Standorten als Bildtafeln aufgestellt, anzusehen sind. 1998, zum 4OO.Jubiläum des Erscheinens des Schildbürgerbuches, wurde im Gebäude Marktstraße 14 in Schildau ein kleines Museum mit 5 Räumen zu der Schildbürgergeschichte eingerichtet.
Zehn Jahre später wurde auf einern Vorplatz zu diesem Gebäudekomplex ein Schildbürgerbrunnen mit lebensgroßen Bronzefiguren augestellt, wo ebenfalls an die Schildbürger erinnert wird. Diese Figurengruppe wurde vom Polbitzer Bildhauer Torsten Freche geschaffen.

Die Schildbürger. Volker Pohlenz 2023. (5)
Die Schildbürger. Volker Pohlenz 2023. (5)

2018 hat der Maler Volker Pohlenz aus Wöllnau einen Entwurf für ein mögliches größeres Schildbürgerbild geschaffen. Die Ausführung des größeren Formates, das hier gezeigt wird, könnte eines Tages im Schildbürgermuseum seinen Platz finden, das zur Zeit saniert wird.

Auf diesem Bild sind die 12 bekanntesten Schildbürgerstreiche in Form eines sogenannten Wimmelbildes dargestellt. Dies sind 1.) Wie die Schildbürger das Bauholz ins Tal brachten, 2.) Wie die Schildbürger Licht ins fensterlose Rathaus brachten, 3.), Wie die Schildbürger einen Brunnen ausgemessen haben, 4.) Wie die Schildbürger eine Kuh auf die Mauer zogen, 5.) Wie die Schildbürger eine lange Wurst machten, 6. ) Wie die Schildbürger ihren Kaiser begrüßten, 7. ) Wie die Schildbürger ihre Beine wiederfanden, 8. ) Wie die Schildbürger Salz anbauten, 9.) Wie ein Schildbürger mit dem Mühlstein am Halse weglief , 10.) Wie die SchiIdbürger ihre Glocke versenkten, 10.) Wie die Schildbürger einen Krebs zum Tode verurteilten und 12.) Wie die Schildbürqer des Maushundes Herr wurden.

Streit des Karneval mit dem Fasten. (6)
Streit des Karneval mit dem Fasten. (6)

Volker Pohlenz war bestrebt, diese 12 Schildbürgerstreiche, unabhängig von der Reihenfolge im Buch, auf einem Bild unterzubringen und dies aber in das ausgehende 16. Jahrhundert zu verorten. Als Vorbild dieser Art der Darstellung galten Bilder des niederländischen Malers Pieter Breughel d. Ä., der Mitte des 16.Jahrhunderts tätig war, also in jener Zeit, als die katholische Gegenreformation, aber auch der sich selbst bekämpfende Protestantismus die Gemüter der Menschen erfassten. Die Angst vor Fegefeuer und Hölle ist bei den Menschen etwas gewichen.  Das Bild "Streit des Karneval mit dem Fasten"von 1559, welches kompositorisch diese Situation aus zeitgenössischer Sicht authentisch wiedergibt, sowie die"Kinderspiele"von 1560 und die "Sprichwörter" von 1559, zeigen ebenfalls einen ähnlichen kompositorischen Aufbau. Die jeweiligen Bildformate von etwa 1,15 x 1,60 m wurden in etwa auch für das Schildbürgerbild (1,05 x 1,60 m) übernommen.

Die Geschichte mit dem Krebs. Ausschnitt. Volker Pohlenz. (7)
Die Geschichte mit dem Krebs. Ausschnitt. Volker Pohlenz. (7)

Die Architektur auf dem Bild ist rein illusorisch, hat also nichts mit dem realen Stadtbild Schildaus zu tun. Die Gewänder der agierenden Personen ist der Zeit von Pieter Breughel d. Ä. entnommen, was durchaus auf die Schildbürgerzeit hinweisen kann. Den größten Teil des Bildes nimmt der Teil ein, wo das Licht in allen möglichen Gefäßen und Behältern in das fensterlose Rathaus gebracht wird. Die Geschichte mit dem Krebs, der als mutmaßlicher Mörder zum Tod durch Ertränken bestraft wird, ist in drei Szenen dargestellt.Die Geschichte mit dem Maushund,der in Wirklichkeit eine Katze ist, und die Schildbürger vor einer Mäuseplage schützen soll, wird völlig mißverstanden. Da sie glaubten, er fresse Mensch und Tier, versuchten die Schildbürger ihn zu fangen, auch mit Fackeln und steckten nebenbei ihre Behausungen in Brand. Schließlich gelang ihnen das Einfangen des Maushundes nicht, so dass ihnen nur noch Flucht und der Auszug in die Welt blieb.


Das Bild wurde im Jahre 2023, also dem 425.Jubiläum des Erscheinens des
Schildbürgerbuches, im Eigenauftrag des Künstlers gemalt.

Quellen: Wiegand Cernik: 400 Jahre Schildbürgerbuch 1598-1998

Wiegand Cernik: Auf den Spuren der Schildbürger durch die Stadt Schildau - Ein Wanderführer. 1994

Bildnachweis

Abb. 1, 2, 3 und 6 aus Wikimedia – gemeinfrei.

Abb. 4 Schildbürgerbrunnen in Schildau. Urheber: Torsten-Freche

 

Urheber: Volker Pohlenz:

Kopfbild: Schildbürgerbild Ausschnitt „Wie die Schildbürger ihre Glocke versenkten“.

Abb. 5 und 7 Schildbürgerbild

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