Ein Tag mit Regenbogen kann doppelt erlebt werden. Für die eine Person ist es ein Besuchstag in einem natürlichen Physiklabor und für die andere Person ist es ein bezaubernder Ausflug in die Kunst mit ihrer Ästhetik der Farben. Die Menschen sind eben verschieden. Aber gerade am Beispiel des Regenbogens lässt sich sehr schön zeigen, dass sich Physik und Kunst und auch Optik und Malerei nicht im Wege stehen müssen, sondern wechselseitig ergänzen können.
Eines der mir liebsten Werke in der Geschichte der Malerei, das am Beispiel des Regenbogens vom Zusammenklang von Kunst und Wissenschaft erzählt, wurde von einer Künstlerin geschaffen. Angelika Kauffmann (1741 – 1807) gestaltete um 1780 ein Selbstbildnis als „Malerei“. Zu sehen ist eine junge Künstlerin, die in der linken Hand eine Palette ohne Farben hält und deshalb den Pinsel mit der rechten Hand nicht nach unten zur leeren Palette führt, sondern über ihrem Kopf mit Schwung in einen Regenbogen taucht. Kauffmann hat ihr Gemälde nicht einfach aus der Phantasie heraus entworfen. Den farbigen Bogen malte sie im Einklang mit der Optik des Isaac Newton (1643 – 1727). Ihre Darstellung des faszinierenden Naturschauspiels begann Kauffmann nicht in einer beliebigen Reihenfolge, sondern sie malte den Regenbogen von oben her mit der Farbe Rot, um darauf die je etwas kleineren Bögen in den Farben Orange und Gelb bis hin zu Violett folgen zu lassen. Die wohl berühmteste Malerin des 18. Jahrhunderts war 1768 Gründungsmitglied der Royal Academy of Arts in London. Ihr Selbstbildnis mit dem großen Regenbogen gehört zu den Deckengemälden für das erste Wohnhaus der Royal Academy. In der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden hängt von der Künstlerin Die verlassene Ariadne (vor 1782). Die Kommentatoren dieses Meisterwerks mit dem kraftvollen Hell-Dunkel-Kontrast und mit der erschütterten Frau auf der linken Seite des Bildes erwähnen eine Parallele zum eigenen Leben der Künstlerin: „In London war sie einem Heiratsschwindler aufgesessen. In dem Bild liegt sowohl die Hoffnung auf bessere Zeiten als auch die Wehmut und Trauer.“ (01; S. 125.) Das Bild der Malerin mit dem Regenbogen wiederum zeigt auf den ersten Blick ein uns vertrautes Naturschauspiel. Das Gemälde mit der jungen Frau in dem weißen und goldenen Gewand dürfte beim zweiten Blick aber auch auf das Wechselspiel zwischen Physik und Kunst verweisen: Immerhin wird die Harmonie der Farben, welche die Maler in ihrem Schaffen überhaupt erst zu Künstlern macht, nicht allein von der Kunst mit dem Pinsel entdeckt, sondern auch von der Naturwissenschaft mit dem Prisma erforscht.
Wer das Buch Die Evolution der Physik (1950) von Albert Einstein (1879 – 1955) und Leopold Infeld (1898 – 1968) aufschlägt, findet unter der Überschrift Das Rätsel der Farbe einen Erlebnisbericht über eines der Schlüsselexperimente aus der Physikgeschichte. Kein Geringerer als Isaac Newton kommt im Originalton zu Wort: „Im Jahre 1666 (da ich gerade mit dem Schleifen optischer Gläser von anderer als sphärischer Gestalt beschäftigt war) versah ich mich mit einem dreikantigen Glasprisma, um damit das berühmte Farbphänomen hervorzurufen. Zu diesem Zweck verdunkelte ich mein Zimmer und bohrte ein kleines Loch in die Jalousien, um eine hinreichende Menge Sonnenlicht hereinzulassen. Dann hielt ich mein Prisma in den hereinfallenden Lichtstrahl, so dass er gebrochen und an die gegenüberliegende Wand geworfen wurde. Ich fand es überaus ergötzlich, die dabei entstehenden lebhaften und kräftigen Farben eine Weile zu betrachten.“ (02; S. 110/111.) Newton beschreibt sein Experiment mit dem Prisma. Durch das Prisma wird das weiße Licht der Sonne in seine farbigen Bestandteile zerlegt. Das Licht der verschiedenen Farben ließ sich aber nicht weiter zerlegen. Dafür aber gelang Newton durch ein zweites Prisma der Nachweis, dass sich die farbigen Lichtstrahlen wieder vereinigen lassen und erneut ein weißes Licht ergeben. Den Versuch mit dem Prisma hat Newton zuerst im Alter von 23 Jahren durchgeführt, als er an der Universität in Cambridge angestellt war. Einstein und Infeld knüpfen im Anschluss an die Selbstdarstellung Newtons daran an, dass das Prisma des Physikers und die Wassertropfen eines Regenschauers den gleichen Effekt eines farbigen Spektrums hervorrufen. Den Regenbogen hat man „schon in uralten Zeiten zu erklären versucht“, aber der „ganze Fragenkomplex der Farbenphänomene wurde erstmalig von Newton wissenschaftlich untersucht, und in seinem umfangreichen Werk finden sich zum ersten mal Ansätze zu einer Lösung“. (02; S. 111.) Es dürfte selbst zu Zeiten der physikalischen Großexperimente in dem Speicherring des CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) in Genf nicht übertrieben sein, wenn Newtons Versuch zur Zerlegung des weißen Sonnenlichtes in seine farbigen Elemente als das Experiment der Experimente gewürdigt wird.
Das Experiment des Naturforschers Isaac Newton von 1666 veranschaulicht, dass die Physik keine farblose Wissenschaft fern des menschlichen Erlebens ist. Ganz im Gegenteil ist es so, dass es die Physik durch die Ausarbeitung der Optik überhaupt erst ermöglicht hat, das Rätsel der Farbe im Zusammenspiel von Begriff und Erfahrung, von Theorie und Anschauung, von praktischer Anwendung des Prismas und begrifflich geleiteter Beobachtung zu lösen. Der junge Newton stellte in der Farbtheorie experimentell wie begrifflich klar: Das weiße Sonnenlicht ist kein einfaches und ursprüngliches Phänomen, sondern die Mischung aus dem Licht verschiedener Farben mit je unterschiedlichen Wellenlängen. Die Bestandteile des weißen Lichtes werden im Spektrum als ein farbiges Streifenmuster sichtbar. Obwohl es nicht zuletzt Newton als „ergötzlich“ empfand, die „entstehenden lebhaften und kräftigen Farben eine Weile zu betrachten“, beließ er es nicht bei einem bloßen Erstaunen. Vielmehr rang er beharrlich darum, das Farbband des Spektrums in Sprache zu fügen. Im Rahmen seiner Cambridge-Vorlesungen von 1669-1670 befasste sich Newton weiter mit der Deutung der Experimente mit dem Prisma. In der Kulturgeschichte der Farben (1997) macht John Gage (1938 – 2012) darauf aufmerksam, dass Newton in diesen Vorlesungen das farbige Brechungsspektrum zunächst einmal in elf Stufen zerlegt hat. (03; S. S. 168.) Aber ein guter Forscher ringt um Einfachheit. Somit entsprach es der Logik der begonnenen Forschungen, dass Newton das Farbspektrum später auf nur sieben Stufen reduzierte. Das geschah im Jahr 1704 in seinem Werk zur Optik. Inzwischen war Newton ein bereits 61-jähriger Naturforscher. Wenn man mit Ludwig Wittgenstein und seinen Farbnotizen von 1950/51 in Cambridge sprechen möchte, kann man sagen: Newton gelang es im Zuge des Strebens nach Einfachheit mit nur sieben Farbnamen eine sprachliche Form zu finden, um zu einer Farbklassifikation für das Spektrum des sichtbaren weißen Sonnenlichts vorzustoßen. In seinem Werk Opticks (1704) trug Newton in der Figur Nummer 11 bei seinem Farbenrad in der Abfolge von Spektrum und Regenbogen nicht mehr zwölf, sondern einfach nur sieben Farbnamen ein: Red, Orange, Yellow, Green, Blew, Indigo, Violet. Seinem Geniestreich von 1666 setzte Newton im Jahr 1704 mit dem Farbenrad den I-Punkt auf.
Vielleicht darf ich behaupten: Im Grunde waren alle Malerinnen und Maler, die sich für einen Regenbogen begeistern konnten und ihn wie Angelika Kauffmann in Naturtreue ausgehend von Rot bis runter zu Violett zu malen versuchten, im Geiste doch auch Menschen, die vor allem Newtons Deutung der Farben ihre Ehre erwiesen. Das betraf sein Schlüsselexperiment durch das Prisma. Es betraf auch seine Interpretation der Wassertropfen, die das Licht verschiedener Wellenlänge ebenfalls wie ein Glasprisma unterschiedlich brechen. Das bezog sich aber auch auf die siebenteilige Farbklassifikation des sichtbaren Sonnenlichts in dem Werk über die Optik. - Während eines Urlaubs in Klaushagen in der Uckermark malte ich gemeinsam mit meiner Enkelin. Bei dieser Gelegenheit hatte ich den Impuls, die Kirche von Klaushagen mit einem Regenbogen zu malen. Wenn ich hätte besser singen können, wäre das Lied Der Regenbogen von Reinhard Lakomy erklungen. Ich bewundere und liebe dieses Lied, weil es im Einklang mit Einstein und Infeld die Farbenlehre des Isaac Newton unaufgeregt, unverstellt und klug besingt: „ … rot, orange, gelb und grün sind im regenbogen drin / blau und indigo geht´s weiter auf der regenbogenleiter / und zum Schluss das violett sieben farben sind komplett“. (04)
18. September 2025
Literatur:
(01) Henning, Andreas; Marx, Harald; Neidhardt, Uta: Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 2007.
(02) Einstein, Albert; Infeld, Leopold: Die Evolution der Physik. Paul Zsolnay Verlag, Wien und Hamburg 1950.
(03) Gage, John: Kulturgeschichte der Farbe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Otto Maier GmbH, Ravensburg 1994.
(04) Reinhard Lakomy: Der Regenbogen. Vgl. den Link: https://lyrix.at/t/reinhard-lakomy-wer-den-regenbogen-sieht-929