Willkommen im Weihnachtsland: das sächsische Erzgebirge
Andreas Schneider
Bergknappen als Raachermannel (1)
Zur Weihnachtszeit haben sie Hochsaison - die grimmig oder fröhlich dreinblickenden Nussknacker und Räuchermännchen aus Holz, die mit vielfältigen Figurenensembles besetzten und nicht selten sogar mehrtagigen Weihnachtspyramiden, die sich so schön gleichmäßig im Licht und der aufsteigenden Wärme ihrer Kerzen drehen, die aufwendig gestalteten Weihnachtskrippen und technisch faszinierenden Weihnachtsberge oder die ebenso aus der bergmännischen Tradition entstandenen Schwibbögen. Sie stehen wie die Reiterlein und Engelorchester für die typischen adventlichen und weihnachtlichen Brauchformen, wie es sie am schönsten und konzentriert nur einmal in Deutschland gibt: im sächsischen Erzgebirge, das deshalb auch gern das „Weihnachtsland" genannt wird. Denn hier stammen sie ursprünglich her, all die vielfältigen Erzeugnisse mit dem Siegel „Echt erzgebirgische Holzkunst", und es war ein tiefgreifender Strukturwandel, dem sie ihre Entstehung verdanken. Inzwischen sind sie längst überall in Deutschland und darüber hinaus heimisch geworden, sogar in Übersee, quasi auch als stumme Botschafter des „Weihnachtslands" aus Sachsen.
Der typisierende Begriff „Weihnachtsland“
Lichterbogen aus dem Erzgebirge (2)
Natürlich ist der Begriff „Weihnachtsland" keine offizielle geografische Bezeichnung, sondern hauptsächlich als Schlagwort für die touristische Werbung entstanden und wird auch in diesem Sinn sowie umgangssprachlich gern und häufig benutzt. Aber wer schon einmal in der Vorweihnachtszeit oder während der Weihnachtsfesttage im Erzgebirge in Sachsen unterwegs war und dann noch das Glück hatte, in glitzernder weißer Pracht durch die lichtgeschmückten Dörfer und Städte zu fahren, ein Ort in seinen Lichtinszenierungen schöner geschmückt als der andere, durch all die weiß leuchtenden Schwibbögen, Pyramiden, Lichterengel und dergleichen mehr, der wird freudig zustimmen: Ja, er sei im „Weihnachtsland" unterwegs gewesen, in seiner ursprünglichen, nicht-kitschigen Art. Nicht das Weihnachtsland grell-bunter Farbenschreie amerikanischer Prägung, sondern ein wohl mehrheitlich ansprechendes heimeliges Brauchgebiet voll des vorrangig nur hier typischen Fenster- und Häuserschmucks der Advents- und Weihnachtszeit, mit meterhohen Ortspyramiden und -schwibbögen, mit ganz besonderen Weihnachtsmärkten(
http://www.sachsen-lese.de/index.php?article_id=154) voller vielfältiger Angebote, insbesondere der hier gedrechselten Holzerzeugnisse und geklöppelten Textilien, mit touristisch inszenierten Hutzenabenden und Mettenschichten sowie vielem anderen mehr, was es nur hier in der Advents- und Weihnachtszeit zu sehen und zu erleben gibt. Gerade bei glitzerndem Schnee, in der Dunkelheit des Abends, entfalten ja die vielen Figuren mit ihrer inzwischen hauptsächlich elektrischen Beleuchtung ihre ganze still und weiß leuchtende Pracht! Hinzu kommt: Im Durchschnitt der Jahre seit 1900 kann mindestens im Zweijahreswechsel auch wirklich fest mit einer „weißen Weihnacht" im Mittelgebirgsland des Erzgebirges gerechnet werden, also mit Schnee während der Advents- und Weihnachtszeit. Denn das wünscht sich ja unsere traditionelle Vorstellung so sehr: Weihnachten im verschneiten Bergland ...
Bergbauliche Traditionen in der „Sehnsucht nach Licht“
Erzgebirgsweihnacht in Zwönitz (3)
Überall von Annaberg-Buchholz bis Zwönitz, in vielen Städten und kleineren Orten, sei es nun Freiberg, Marienberg, Olbernhau, Schneeberg, Schwarzenberg oder vor allem Seiffen, sind die traditionellen Weihnachtsbräuche noch lebendig: Im Zeitrahmen der Tradition, vom ersten Advent bis Hohneujahr, dem 6. Januar, erleben die Häuser und Gemeinden in jedem Jahr ihren festlichsten Schmuck und können gar nicht genug herzeigen von den vielen Weihnachtspyramiden, Schwibbögen und anderen Lichtträgern. Nur Zwönitz macht eine Ausnahme und setzt noch einen drauf: Hier orientiert man sich beim öffentlichen Lichterschmücken noch am Zeitrahmen des alten Weihnachtsfestkreises vom ersten Advent bis Lichtmess am 2. Februar.
Das Erzgebirge, sein im 16. Jahrhundert auf Bergrevierkarten zuerst belegter Name verrät es, ist altes Bergbaugebiet, seit mehr als 800 Jahren. Sie ist hier, in dem von der Silberstraße durchzogenen Gebirge, auch noch überall präsent, die seit mindestens zwei Jahrhunderten vergangene Welt des Bergmanns - läauml;sst man die kurzzeitige Blüte des Uranerzabbaus von 1946?1991 außer Acht, die mit dem Abbau der Wismut-Kobalt-Nickel-Uran-Erzlagerstätten bei Schneeberg und Johanngeorgenstadt betrieben wurde, bis 1990 durch die SDAG Wismut, seitdem als eine GmbH, die sich nun hauptsächlich um die Sicherung und Folgen kümmert.(Uranbergbau im Erzgebirge - Wismut damals und heute(/
http://www.sachsen-lese.de/index.php?article_id=263).
Bergmann und Lichterengel als Kerzenhalter (4)
Tatsächlich sind die Spuren des alten Bergbaus noch vielfach erkennbar, nicht nur in den Bingen und Halden, in den alten Wasserkünsten und Pochwerken und vielem anderen. Zu den Spuren des Bergbaus gehören gerade auch die beliebten Erzeugnisse der einzigartigen Handwerks- und Volkskunst, die uns jedes Jahr aufs Neue gerade in der Weihnachtszeit so stark faszinieren.
Denn Heimatforscher und Volkskundler führen die liebevoll ausgeprägte Form vorweihnachtlichen Schmückens im Erzgebirge mit ihrer besonderen Anziehungskraft auf Einheimische und Touristen auf die bergbauliche Tradition zurück und sehen in der Liebe zum Weihnachtsfest die alte Verbundenheit des Bergmanns zum Licht verkörpert, der ja die meiste Zeit in der Dunkelheit unter Tage arbeiten und leben musste und für den deshalb das Licht, die Helligkeit, eine ganz besondere Bedeutung hatte. Überall begegnet man deshalb in der Weihnachtszeit in den Erzgebirgsorten in Spezialläden und natürlich auf den Weihnachtsmärkten auch den Erzeugnissen mit dem warenrechtlich geschützten Siegel „Echt erzgebirgische Holzkunst" und jedes kleine Kunstwerk symbolisiert auf seine Weise die bergmännische „Sehnsucht nach Licht".
Typische Gegenstände und Bräuche
Zahlreiche der historischen Bergbauanlagen sind zwar noch als Schauanlagen für den Besucher von heute erlebbar, aber der ehemals so prägende Silber- und Erzbergbau verlor im 18. und 19. Jahrhundert an Bedeutung. Das brachte zwar zeitweise viel Not, eröffnete aber auch neue Wege. Denn durch den Niedergang wurden Holzschnitzkunst und Spitzenklöppelei im Erzgebirge neue Erwerbsquellen; in den ehemaligen Bergmannsdörfern und -orten entstand aus bisheriger Hobbytätigkeit nun der neue Beruf des Spielzeugmachers und Holzdrechslers.
Weihnachtspyramide (5)
Neben Weihnachtskrippen, Weihnachtspyramiden und Schwibbögen spielen Holzfiguren wie Räuchermänner (erzgebirgisch „Raachermannel"), Nussknacker oder die Kerzen tragenden, meist als Paar aufgestellten Figuren „Engel" und „Bergmann" traditionell eine große Rolle. Die Krippen wurden früher oft als „Weihnachtsberge" ausgestaltet; diese zeigen Landschaften, Häuser und viele oft mechanisch bewegliche weitere Figuren, mit denen das Leben im Erzgebirge und besonders auch der Bergbau dargestellt wird.
Eine weitere Tradition ist das Festessen am Heiligabend, das „Neunerlaa", wie es in erzgebirgischer Mundart heißt, das Neunerlei, bei dem neun verschiedene Speisen aufgetischt werden, die für das kommende Jahr Glück bringen sollen. Über ihre Zusammensetzung herrscht allerdings von Ort zu Ort kein fester Kanon als Vorgabe und fast ein jeder benennt die zugehörigen Gerichte ein klein wenig anders, aber viel Linsen für das nötige Kleingeld im neuen Jahr gehören unbedingt dazu.
Außerhalb der Advents- und Weihnachtszeit lässt sich der Reichtum dieser noch lebendigen Traditionen in Museen erleben, v. a. in Ausstellungen zur Volkskunst in Schneeberg, auf Schloss Scharfenstein, in der Annaberger „Manufaktur der Träume" und vor allem aber ganzjährig in den Werkstätten und Verkaufsläden in Seiffen.
„Glück auf, der Steiger kommt“ - die Bergparaden als besonderes Ereignis der Vorweihnachtszeit
Bergmannskapelle auf einem kleinen Weihnachtsberg (6)
Nicht nur wegen der so ganz eigenen erzgebirgischen Advents- und Weihnachtsbräuche und Volkskunst ist das Erzgebirge besonders in der Vorweihnachtszeit ein großer Anziehungspunkt des Tourismus. Besonders beliebt sind auch die festlichen Bergaufzüge in vielen Städten des Erzgebirges, traditionelle Festaufmärsche von zahlreichen Berg- und Hüttenleuten in der Standes- beziehungsweise Bergmannstracht, auch Habit genannt, oft mit abschließendem Bergkonzert. Solche Bergparaden werden zwar überall in Deutschland in Bergbaugebieten zu festlichen Anlässen des bergmännischen Berufsstandes durchgeführt - besonders aber immer wieder in der Vorweihnachtszeit im Erzgebirge. Welch ein Erlebnis, die vielen Vereine und Musikkorps mit Waffen, Gezähe und Teilnehmerzahlen bis zu 3 000 Mitwirkenden in ihrer Berufskleidung oder historischen Festkleidung vorbeimarschieren zu sehen. Wenn dann noch die Kapelle das alte Bergmannslied „Glück auf, der Steiger kommt" spielt, darf man schon einmal von dem Moment ergriffen sein.
Am Samstag vor dem ersten Advent eröffnet stets die Stadt Chemnitz, die sich auch als „Tor zum Erzgebirge" versteht, die Reihe der großen Bergparaden. Am zweiten Adventswochenende findet alljährlich in Schneeberg im Westerzgebirge ein großer Bergaufzug statt und außerdem das „Lichtelfest", das ursprünglich zu DDR-Zeiten als „Fest der Freude und des Lichtes" begründet wurde. Auch hier kommt wieder die besondere Rolle des Lichts für den Bergmann zum Ausdruck. Am dritten Adventssonntag bietet Marienberg den Ort der Bergparade und am vierten Advent setzt die Stadt Annaberg-Buchholz den großen Schlussakkord der Bergparaden.
Bildnachweis
Kopfbild: Andreas Schneider
Bild 3: Wikipedia Commons gemeinfrei
Bilder 1, 2, 4, 5 und 6: Archiv U.u.H.Drechsel. Frau Drechsel fotografierte einige Exponate aus ihrer Sammlung erzgebirgischer Holzkunst, die alle aus Seiffen stammen.
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