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Frank Meyer

Raum 101
Erzählungen über Männer

Von dem Konflikt mit dem Vater beim Froschschenkeljagen, den abenteuerlichen Gefühlen einer Kinderliebe, den bleibenden Momenten mit dem besten Freund, die erschütternden Erlebnisse beim Bund...teils einfühlsam, teils derb erzählen die Geschichten dieser Sammlung, wie Jungen und Männer sich in verschiedenen Lebensabschnitten bewähren... oder wie sie versagen. 

Das Mordkreuz bei Oberglaucha

Das Mordkreuz bei Oberglaucha

Willy Winkler

Seit Menschengedenken steht an der Weggabelung bei der (inzwischen abgerissenen) alten Schäferei, wo sich die Wege nach Badrina und Reibitz trennen, ein altes Kreuz; es wird das “Mordkreuz” genannt. Tief hat es sich durch die eigene Schwere in den sandigen Boden eingedrückt, Strauchwerk umgibt es, und wo der Wanderer noch die Blutstropfen des Ermordeten vermeint, blühen ein paar verstaubte Blumen im dürren Grase. Weder Jahreszahl noch Inschrift sind am Stein zu finden, nur ein langes Messer ist in seine harte Wand ein gemeißelt.

Es soll hier vor langer, langer Zeit zwischen dem Schafmeister der alten Schäferei und dem Schafknecht ein Streit gewesen sein um eines schwarzen Schafes willen, das abhanden gekommen war beim Weidegang.

Das schwarze Schaf
Das schwarze Schaf

"So Du mir das Schaf nicht zurückbringst, so nehme ich Dir den Weidelohn so lange, bis mir der Schaden wieder gut ist", sagte der Schafmeister. Heftig antwortete der Knecht: "Was kann ich schon dafür, wenn ein Schaf fehlt. Vielleicht ist eines gerissen worden vom Raubzeug oder es ist beim Weiden in die Mulde gefallen und der Strom hat es mit weggerissen, vielleicht ist es auch geraubt worden von fremden Gesellen und diente ihnen als gute "Mahlzeit". “Wozu hast Du dann die Hunde?" sagt spitzig der Schafmeister. "Wenn mir's die Hunde angezeigt hätten, so hätte ich schon das Tier holen wollen und wenn es im Strudel des Stromes geschwommen oder die Bären am Elsteich es im Rachen hätten!" antwortete der Knecht, und die Zornesader schwoll ihm auf der Stirn. "Nun dann kann es ja sein, dass Du es selber geschlachtet oder verkauft hast!" Da packte dem Schafknecht ob solcher schweren Beleidigung eine unbändige Wut, er sprang den Meister an und wollte ihn niederschlagen.

Es kam zum kurzen, harten Kampf, schwer wälzten sich die beiden Männer am begrasten Wegrand, ihr Atem eine Bluttat eine zu schwere Sühne ist. So stellte er sich dem Gericht, welches nach Wochen also entschied: der Mörder solle nicht den gleichen Tod erleiden, wie er selber getötet hat, da der Schaden um eines Schafes willen schon so groß ist und so nur noch größer werden müsste; denn zwei Menschenleben sei ein schwarzes Schaf nicht wert. Aber der Schafknecht solle auch nicht ungestraft sein ob seiner frevelhaften Tat, er solle einen Stein setzen auf seine Kosten dem Gemordeten zum ewigen Gedenken, seiner Tat zur Sühne und der Nachwelt zur ewigen Mahnung.

Darstellung des Ablasshandels
Darstellung des Ablasshandels

Aber das Kreuz ist doch vielleicht älter und stand schon lange vordem am staubigen Wege. Was solle denn das Schwert am Stein besagen, wenn es ein Tetzel— und nicht ein Mordkreuz sei?

Vielleicht ist aber der Mönch vorüber gezogen am Dorfe Oberglaucha und hat in kluger Voraussicht die schaurige Stätte der Sühne, vom Mordkreuz gekennzeichnet, für seine Bußpredigt gewählt, um seinen Worten besonderen Nachdruck zu verleihen.

Dann aber ist der Stein ein "Mordkreuz" und auch ein "Tetzelstein."

Bildnachweis

Beide Abb. sind Wikimedia entnommen, sie sind gemeinfrei.

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