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Jürgen Krätzer

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Jürgen Krätzer eröffnet uns eine neue Sicht auf den Autor. Er war eine faszinierende Persönlichkeit, ein kluger Kopf mit spitzer Zunge und sensiblem Herzen – ein „Freigeist“.

Mond malen - ein Essay für Caspar David Friedrich

Mond malen - ein Essay für Caspar David Friedrich

Dr. Konrad Lindner

0. Mondkitschgefahr

Blick auf Arkona mit aufgehendem Mond. (1 )
Blick auf Arkona mit aufgehendem Mond. (1 )

 

Bizarre Äste zu malen, in denen in der Dunkelheit der Nacht ein Vollmond hängt, von dem die Landschaft schwach beleuchtet wird, das dürfte ein gewagtes Motiv sein. Wer modern malen möchte, sollte die Finger davon lassen, sich in das Halbdunkel zu begeben und im Trüben zu fischen. Was in der Fotografie ein gutes Motiv ist, das muss in der Malerei noch lange nicht Erfolg versprechen. Den Mond in voller Rundheit als Hauptdarsteller auf die Bühne zu stellen, das kann daneben gehen und bei Kunstsachverständigen den Protest auslösen. Die Gefahr ist gross, dass durch den Kreis im Bild allein Kitsch produziert wird. Wer als Maler um Anerkennung ringt und sich einen Namen erarbeiten möchte, sollte sich gar nicht erst in eine derartige Falle begeben. Im Übrigen ist die Meisterschaft der Künstler der Romantik heute nicht mehr zu erreichen. Wenn ich mir trotzdem die Freiheit nehme, ausführlich von meinen Mondversuchen in Aquarell und Acryl zu berichten, dann stelle ich mich darauf ein, dass sich Kritik regen wird. Aber ich werde mich verteidigen. Das geschieht einfach dadurch, dass ich 200 Jahre zurückgehe und nach Dresden schaue. Ich greife als gebürtiger Demminer eine Bemerkung über meinen pommerschen Landsmann Caspar David Friedrich (1774 – 1840) auf, die der Arzt, Naturforscher und Maler Carl Gustav Carus (1789 – 1889) aussprach. Carus schrieb über den Mondmaler Friedrich aus Greifswald: "Die Dämmerung war sein Element." (1; S. 86.)

1. Rausch des Anfangs

Mond am Abend. (2)
Mond am Abend. (2)

 

Ich kann von mir nicht behaupten, dass die Dämmerung im künstlerischen Tun mein größtes Element ist. Selbstverständlich lässt mich der tägliche Wechsel von Hell und Dunkel nicht kalt und ich freue mich, wenn nachts eine Mondsichel oder gar der Vollmond am Himmel zu entdecken ist. Doch an das Malen nächtlicher Szenen habe ich mich bisher kaum herangewagt. Am liebsten male ich Blumen, die mit ihren Blütenblättern im Tageslicht in Gelb, Rot und Blau aufleuchten. Aber auf geheimnisvolle Weise verändert der Dezember mit den kürzesten Tagen des Jahres auch bei mir sowohl die Stimmung als auch die Wahrnehmung. Als ich Weihnachten 2022 einen Karton Büttenpapier im Format 20 cm x 20 cm geschenkt erhielt, wählte ich zwischen Weihnachtsfest und Neujahrsfeier ausgerechnet den runden Mond als Startmotiv. Am 27. Dezember 2022 entstand ein rötlicher Mond mit zwei kahlen Bäumen und sechs kleineren Tannenbäumen. Der Titel lautet: Abend mit Mond. Am 29. Dezember 2022 folgte erneut ein rötlicher Mond, der in einem kahlen Baum zu hängen schien. Jetzt wählte ich den Titel: Mond am Abend. Beide Aquarelle sind in einem Grau-Grün-Ton gehalten. Von dem Vorwurf, dass ich damit nur winterlichen Kitsch produzieren würde, ließ ich mich nicht entmutigen.

Äste im Mond. (3)
Äste im Mond. (3)

 

Im Dezember 2023 kam ich auf dieses Thema erneut zurück. Wieder war das Licht ein seltenes Ereignis. Am 11. Dezember spachtelte ich Äste im Mond. Das Acrylbild im Format 30 cm x 30 cm zeigt einen leicht rötlichen Mond. Ganze Bäume sind nicht zu sehen, sondern nur einige Zweige. Auf dieses erste Acrylbild folgte am 12. Dezember im Malkurs von Günter Meinl in Lützschena der exzessive Entwurf eines Mondbildes im Format 50 cm x 50 cm, das den Titel Mond im Geäst erhielt. Zu sehen sind aber nicht nur einige Äste, sondern drei ganze Bäume. Alle haben sie ihre Blätter verloren. Während das Acrylbild trocknete, griff ich am 13. Dezember 2023 noch einmal zum Format 20 cm x 20 cm und malte zwei Aquarelle. Das eine zeigt bizarre Bäume mit einem weißen Mond und das andere mit einem rötlichen Mond. Das erste Bild erhielt auch den Titel Mond im Geäst. Das zweite Aquarell taufte ich auf den Namen: Roter Mond. Bereits bei dem kleinen Aquarell mit weißem Mond hatte mir der Zeichner und Bildhauer Matthias Jackisch in Tharandt einige Hinweise gegeben. Sie drehten sich um das Malen der Dunkelheit. Matthias schrieb mir, dass die Dunkelheit nicht am Baumstamm endet. Beim rechten Baum hatte ich den rechten Hintergrund dunkel und den linken Hintergrund hell gemalt. Das war nicht stimmig. Doch dieser Fehler war mir nicht aufgefallen. Nach der Korrektur und nach der Ausweitung des dunklen Hintergrunds hatte das Aquarell durch eine minimale Veränderung sehr viel gewonnen.

2. Dämmerung malen erfordert Farbe

Roter Mond. (4)
Roter Mond. (4)

 

Als ich voller Stolz nun auch das große Mondbild an meinen Freund Matthias Jackisch schickte, machte ich gleich darauf aufmerksam, dass ich wohl noch einen Schub an dem Bild arbeiten muss. Matthias verwarf das Bild nicht völlig, aber er gab er mir den Rat weiterzumachen: "Nun bin ich sehr gespannt, was aus dem großen Bild wird, wenn du es noch mal intensiv an dich ran lässt, da ist noch einiges zu tun; es wirkt eigenartig klein, ich denke, du hast viele Optionen, die dir einfallen, wenn du daran denkst, dass es manchmal nötig ist, an die Orte im Bildraum mit dem Pinsel (Spachtel) zu gehen, die nicht geklärt oder zu wenig intensiv erscheinen." Begeistert war ich nicht, mein Bild noch einmal grundsätzlich infragezustellen. Aber der kritischen Beobachtung, dass das große Acrylbild eigenartig klein wirkt, musste ich zustimmen. Daher machte ich mich dann auch mit Schwung an die Überarbeitung. Bei der Neugestaltung mussten vor allem zu eintönige und dadurch langweilig einheitliche Farbflächen aufgebrochen werden. Das geschah nicht mit dem Meißel, sondern durch das Aufspachteln von Hell-Dunkel-Kontrasten. Bei der Überarbeitung spielte das Variieren und Auftragen von Grautönen eine sehr große Rolle. Ich würde dem soziologisierenden Kunstphilosophen Peter Sloterdijk nicht widersprechen, der auf den wichtigen Satz von Paul Cézanne (1839 – 1906) aufmerksam macht: "Solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler". (3; S. 9.)

Mond im Großformat, überarbeitet. (5)
Mond im Großformat, überarbeitet. (5)

 

Der Mond blieb weiß, aber er erhielt einige deutliche Grautupfer. Jetzt durfte ich mich als Maler fühlen. Auf der Horizontlinie arbeitete ich eine graugrüne Buschschicht ein, die eine Vermittlung zwischen dem dunklen Hintergrund des Himmels und dem grellgrünen Vordergrund eröffnete. Auch in den Himmel fügte ich hellblaue Leucht- und Lichtlinien ein. Immerhin kommt Dunkelheit nicht mit einem dunklen Einerlei, sondern mit Hell-Dunkel-Differenzierungen daher. Im Vordergrund schwächte ich das grelle Grün etwas mit einem dunkleren Grün ab und trug aber auch auf der linken Seite mit dem Spachtel einen gelben Leuchttupfer auf. Ebenso in die Baumstämme und in das Geäst kamen mit den Farben Orange und Rot einige kräftigere Bunteffekte hinein. In dem Maße, wie die gezielte Vervielfältigung der Farbigkeit Früchte trug, machte die Neu- und Weiterbearbeitung des großen Vollmondbildes dann wirklich Spaß und setzte ein nicht weniger freudiges Arbeiten frei, als der erste große Rausch beim Erarbeiten der Grundstruktur von Mond und Baum, von Himmel und Erde sowie von Hintergrund und Vordergrund.

3. Friedrichs Seele ist in den Mond gekommen

Wer sich daran macht, irgendwann einmal die Dämmerung, das nächtliche Licht und den Mondschein zu malen, widmet sich dabei nun aber einer Herausforderung, die Caspar David Friedrich sehr wichtig war und bei der er eine große Meisterschaft entwickelte. Sein meisterliches Können war ihm aber auch sehr bewusst. Als der Maler in Dresden im April 1820 von dem Dichter Karl August Förster (1784 – 1841) und dem Maler Peter von Cornelius (1783 – 1867) in seinem Atelier besucht wurde, setzte sich Caspar David Friedrich beim Gespräch nicht auf einen Stuhl, sondern auf den Fussboden. Über die denkwürdige Begegnung mit Friedrich berichtet Karl Förster in seinem Tagebuch: "Er lachte sich selbst aus, daß er lauter Mondschein male, und meinte, wenn die Menschen nach ihrem Tode in eine andere Welt versetzt würden, so käme er sicherlich in den Mond." (2; S. 210.)

Zwei Männer in Betrachtung des Mondes. (6)
Zwei Männer in Betrachtung des Mondes. (6)

 

Zu diesem Zeitpunkt befand sich in dem Atelier auch schon das Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes aus dem Jahr 1819/20. Die berühmte Monddarstellung hängt heute in den Staatlichen Kunstsammlungen zu Dresden in der Galerei Neue Meister im Albertinum. Das Ölgemälde hat das Format 33 cm x 44,5 cm. Der Mond ist das Bildzentrum des Gemäldes. Unsere Augen suchen beim Betrachten den hellsten Bereich des Bildes auf. Die schmale Mondsichel ist fast weiß. Da schauen wir hin. Im Farbenoktaeder von Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) besetzt die Farbe Weiß den höchsten Punkt und die Farbe Schwarz den tiefsten. Ohne die Notationsform des Oktaeders der bunten und unbunten Farben heranzuziehen, lässt sich das Grau nicht wirklich denken und analysieren; was eine Arbeitsrichtung andeutet, die Sloterdijk in seinem Buch leider vernachlässigt. Ohne aus dem Hell-Dunkel-Extrem von Weiß und Schwarz eine unendliche Fülle an Grautönen zu mischen, lässt sich die Dämmerung, in der sich Friedrich künstlerisch so sehr auskannte und wohlfühlte, wirklich nicht malen. Die Sichel im Bild der beiden Mondgucker von Friedrich besetzt fast den höchsten Helligkeitswert des Farbenoktaeders. Im Vordergrund ist es zwar dunkel, aber es geht nicht Grau in Grau zu. Die beiden Männer mit Umhang, die zur Sichel des zunehmenden Mondes schauen, und die dicke Eiche rechts neben dem Mond sind ebenso zu erkennen, wie ein felsiger Weg im mittleren Vordergrund. Wer selber Malversuche des Dunklen startet, lernt bei Friedrich für die eigenen Arbeit, dass die Dämmerung nicht leer sowie farblos, sondern voller Struktur ist. Friedrichs Freude am Mond ist bis in unsere Tage ein großes Geschenk. Immerhin ist die Neugier der Menschen für den Begleiter der Erde, der das Sonnenlicht nicht vollständig verschluckt, sondern auch zur Erde lenkt, eine kulturelle Konstante des Menschenlebens. Licht ist im kosmischen Raum ein seltenes Geschehen, das Caspar David Friedrich durchaus im Geiste der Aufklärung feierte, indem er den Mond wieder und wieder auf eindrucksvolle Weise zum Hauptdarsteller seiner Werke erhoben hat. Dabei zeigt Friedrich in seinen Bildern immer auch Menschen wie Du und Ich, die zum Mond schauen und die über ihn angeregt sowie voller Wissensdurst reden.

4. Unser Mondbild ist auch ein Selbstbild

Mond im Geäst. (7)
Mond im Geäst. (7)

 

Wer heute den Mond fotografiert oder wer sich daran macht, ihn auf die Leinwand zu spachteln, hat dabei durchaus ähnliche Motive wie die Künstler der Romantik. Schon Caspar David Friedrich wusste: Richten wir im Dialog mit Freunden und Bekannten unseren Blick zum Mond, dann entsteht nicht nur ein Fremdbild, sondern auch ein Selbstbild. Wie sich der Mond naturgeschichtlich zur Kugelform gebildet hat, ist auch unser Heimplanet ein Sonnenbegleiter im Ballformat. Mit meinem Mond im Geäst vom 12. und 16. Dezember 2023 denke ich sowohl an die irdische Vegetation als auch an das kosmische Licht und verbeuge mich vor dem Künstler und kritischen Denker Caspar David Friedrich, der am 5. September 1774 in der Universitätsstadt Greifswald das Licht der Welt erblickt hat.

5. Literatur:

1)

Wieland Schmied: Caspar David Friedrich. Köln: DuMont Literatur und Kunstverlag Köln 2002.

2)

Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen. Herausgegeben von Sigrid Hinz. München: Verlag Rogner & Bernhard 1974. Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Henschelverlages Kunst und Gesellschaft, Berlin.

3)

Peter Sloterdijk: Wer noch kein Grau gedacht hat. Eine Farbenlehre. Berlin: Suhrkamp Verlag 2022.

 

18. Dezember 2023

Bildnachweis

Abb. 1 und 6: Gemälde von Caspar David Friedrich, aus Wikimedia.

Kopfbild und Abb. von 2 bis 5 und Abb. 7: Aquarelle sowie gespachtelte Acrylarbeiten von Dr. Konrad Lindner

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