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Nobelpreisträger Reinhard Genzel  erforscht das Zentrum unserer Galaxie

Nobelpreisträger Reinhard Genzel erforscht das Zentrum unserer Galaxie

Dr. Konrad Lindner

Wenn ich etwas zur Einführung sagen darf, würde ich Folgendes voranstellen: Werner Heisenberg hat 1934 auf der Naturforscherversammlung in Hannover gesprochen. Im Dezember 1933 hatte er für das Jahr 1932 den Nobelpreis erhalten. Sie haben im Coronajahr 2020 im Dezember den Nobelpreis erhalten und sind im September 2022 zur Naturforscherversammlung nach Leipzig gekommen. Sie hielten am Freitag, den 09. September, am Abend Vortrag und brachten viel Zeit zur Diskussion vor allem auch mit jungen Leuten mit. Worauf legten Sie in der öffentlichen Debatte den Schwerpunkt?

 

Physiknobelpreisträger Professor Reinhard Genzel nach seinem Vortrag bei der GDNÄ, umringt von Leipziger Schülerinnen und Schülern.(1)
Physiknobelpreisträger Professor Reinhard Genzel nach seinem Vortrag bei der GDNÄ, umringt von Leipziger Schülerinnen und Schülern.(1)

Der Punkt war der, dass es klar ist, dass die Forschung, die ich betreibe, die Untersuchung des Universums in der Vergangenheit, aber auch insbesondere die Frage nach Schwarzen Löchern und nach deren Rolle im Universum, ja ersteinmal – ich will nicht sagen – eine abstruse, aber dann doch eine sehr spezielle Frage der modernen Astrophysik ist. Aber – und das ist hier wichtig – aus Gründen, die höchst interessant sind, ist diese Fragestellung weit über die Gemeinschaft der Astrophysiker und Astrophysikerinnen hinaus von großem Interesse. Das merkt man am Publikum. Das merkt man an den vielen jungen Leuten, die in Leipzig da waren. In der Kongresshalle waren an die 200 Schüler, die auch nachher mit mir diskutiert haben. Das war sagenhaft, welches Interesse und welche Freude die jungen Leute an dieser Fragestellung der schwarzen Löcher haben. Das kommt nicht ganz so oft vor und hat eben damit zu tun, dass die menschliche Neugierde so beschaffen ist, dass die Frage nach den schwarzen Löchern natürlicher Weise ein hohes Interesse hervorbringt. Ich habe versucht, weil ich es bei solchen öffentlichen Veranstaltungen schon mehrfach erlebt habe, dieses Interesse und diese Spannung als eine freudige Sache, als eine Sache, die Spaß macht, herüberzubringen.

Ludwig Wilhelm Gilbert – der Leipziger Ordinarius für Physik – hat auf der ersten Naturforscherversammlung im September 1822 in Leipzig die Versuche von Hans Christian Ørsted aus dem Jahr 1820 vorgestellt. Ørsted hat einen elektrischen Leiter mit Strom durchfließen lassen. Dadurch entstand ein magnetisches Feld. Dieses Feld hat die Magnetnadel abgelenkt. Wenn Sie mit Infrarotdetektoren nach Wirkungen eines schwarzen Loches im Zentrum unserer Galaxis fahnden, was ist da die "Magnetnadel"?

Galileo Galilei. (2)
Galileo Galilei. (2)

Die "Magnetnadel" sind die sichtbaren Objekte und in diesem Fall die Sterne. Aber es kann auch Gas sein. Alles das, was in der Umgebung einer schweren, aber unsichtbaren Masse ist. Das können Sie am Sonnensystem sehr deutlich machen. Sie haben die Sonne und Sie haben die Planeten. Sie wissen seit Galileo Galilei, Johannes Kepler und Isaac Newton, dass die Schwerkraft das Planetensystem dominiert. Die Masse des Systems ist durch die Sonne definiert und die Planeten umkreisen die Sonne auf stabilen Bahnen. Auf Kreisbahnen oder auf elliptischen Bahnen. Umgekehrt ist es jetzt so, wenn Sie sich mal vorstellen würden, Sie würden ein solches Sonnensystem von einer großen Entfernung her beobachten und die Sonne würde nicht strahlen: Was würden Sie finden? Naja, Sie würden genau dasselbe finden, was Tycho Brahe und andere gefunden haben. Nämlich, dass die Planeten offensichtlich um einen nichtsichtbaren Punkt herumschwirren. Aus den Geschwindigkeiten der Planeten würden Sie messerscharf schließen können, dass diese Masse da, die im Zentrum sein muss, eine Sonnenmasse ist. Genau dasselbe Verfahren zeigt, dass Gravitation im Zentrum der Galaxie Wirkungen auf die Raumzeit hat, wie man das im Einstein'schen Sinne sagen würde. Die Raumzeit wird gekrümmt. Oder das Newton-Bild ist: Die Gravitation des zentralen Objekts, also in diesem Falle unseres im Milchstraßenzentrum vermuteten Schwarzen Lochs von etwa 4 Millionen Sonnenmassen führt dazu, dass die Objekte in der Umgebung sich bewegen und zwar sich sehr schnell bewegen und auf extremen Bahnen bewegen. Diese Bahnen können wir sehen. Mit modernen Techniken. Mit großen Teleskopen. Das Ganze passiert im Infraroten deshalb, weil wir in einer Scheibengalaxie sitzen. Unsere Milchstraße ist eine Spiralgalaxie; sie ist eine Scheibengalaxie. Wenn wir zum Zentrum unserer Milchstraße schauen, 27.000 Lichtjahre entfernt, dann muss unser Sehstrahl in der Ebene der Milchstraße durch viele, viele interstellare Wolken hindurch. Dort ist Staub. Dieser Staub schwächt das sichtbare Licht um einen Riesenfaktor ab, so dass man allein im Sichtbaren nicht durchgucken kann. Die Idee ist daher, dass man zu anderen Wellenlängen übergeht. Im Radiobereich funktioniert das gut. Aber eben auch im infraroten Bereich, bei dem wir vier- bis fünfmal die Wellenlängen des sichtbaren Lichtes haben. Wir haben heutzutage abbildende Detektoren, die von höchster Qualität sind. Hinzu kommen andere Techniken, wie die adaptive Optik in großen Teleskopen. Damit können wir die Bewegungen dieser Sterne mit höchster Präzision messen und dabei im Übrigen auch die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins bestätigen. Und das in einer Umgebung, wo sie noch nie bestätigt worden ist. Nämlich um ein schwarzes Loch herum. Das ist die Geschichte und das ist der Grund, warum das Infrarote da rein kommt. Das ist unsere "Nadel", mit der wir das Magnetfeld sehen.

Bei uns auf der Erde laufen chemische Reaktionen ab. Aber bei sehr hohen Druckverhältnissen und sehr hohen Temperaturen gibt es keine Atomhüllen und keine Chemie. Das hat Heisenberg den Lesern seines Manuskripts Ordnung der Wirklichkeit (1942) erklärt. Was würden Sie jetzt sagen, Reinhard Genzel: Warum gibt es in dem schwarzen Loch, dessen Umgebung Sie mit Infrarotdetektoren beobachtet oder lokalisiert haben, warum gibt es dort keine Chemie? Eine Welt ohne Chemie wirkt auf mich beunruhigend und es fällt mir sehr schwer, die Negation der Chemie auch nur zu denken.

Albert Einstein 1921. (3)
Albert Einstein 1921. (3)

Die Tatsache ist einfach die, dass Sie, wenn Sie sich per definitionem einem solchen Objekt nähern, was man ein schwarzes Loch nennt, dann bewegen sich alle Objekte, die dort sind, mit Geschwindigkeiten nahe an der Lichtgeschwindigkeit. Aber Sie wissen auch, dass Lichtgeschwindigkeit das Geschwindigkeitslimit ist. Nichts kann sich schneller als Licht bewegen. Das Phänomen von Schwarzen Löchern tritt deswegen auf, weil innerhalb eines charakteristischen Radius', den wir Ereignishorizont nennen, kein Licht mehr rauskommen kann. Oder umgekehrt: Alles, was in den Ereignishorizont per Zufall hineinfällt – ob das jetzt Felsbrocken sind oder Schalen mit irgendwelchen chemischen Substanzen – die fallen in endlicher Zeit ins Zentrum. Mit Zentrum ist nach der Einstein'schen Theorie ein mathematisches Zentrum gemeint. Also ein Punkt. In diesem Punkt gibt es eine unendlich hohe Dichte. Das nennt man eine Singularität. Da sind in der Tat Aussagen oder Begriffe wie Chemie oder auch wie Teilchen vollkommen unerheblich. Sie haben einen Energiezustand von unendlich hoher Energie. Da gibt es keine Charakteristiken von Teilchen und chemischen Substanzen mehr. Das ist eine philosophisch, wenn Sie so wollen, höchst unangenehme Situation. Das ist auch für die Physiker eine unangenehme Situation. Wenn Sie in die Vergangenheit schauen, haben die Griechen das, was wir heute Atome nennen, auch schon gekannt und sie eben Atome genannt: Also das Nichtteilbare. Sozusagen punktförmige Dinge. Dann haben wir gelernt: Das angeblich Unteilbare sind relativ auflösbare Dinge, wenn man nur die Instrumente hat, um sich damit diese Atome anzuschauen. Schwuppsdiewupps findet man: Das ist eine Wolke von Elektronen um einen Kern herum. Dann hat man gedacht: Die Elektronen sind punktförmig. Nein, das sind sie auch nicht. Das weiß man inzwischen. Weil man inzwischen die Auflösung in Beschleunigern hat, um die Elektronengröße zu messen. Dasselbe gilt für die Kerne. In Beschleunigern kann man das auch tun. Mit anderen Worten: Wir haben unsere Physik in der Quantenphysik öffnen müssen für die neue Vorstellung, dass auf den kleinsten Skalen eben nicht punktförmige Dinge sind. Wir vermuten, dass dasselbe für die Gravitation gilt. Das heißt: Was in den Einstein'schen Gleichungen als eine Singularität mathematisch herauskommt, wenn wir eine Quantentheorie des Schwarzen Loches hätten - und jeder versucht im Moment, diese zu finden -, dann würde diese Quantentheorie uns zeigen, dass die schwarzen Löcher im Zentrum eine nichtpunktförmige Verteilung haben. Aber Chemie gibt es da trotzdem nicht, weil die effektive Temperatur dort drin so hoch ist, dass diese Charakteristiken – wie Atomhülle und chemische Bindung - keine Rolle spielen.

Das ist schon verrückt. Eigentlich weiß man nicht, wie man darüber sprechen soll, was in einem schwarzen Loch los ist.

Karl Schwarzschild. (4)
Karl Schwarzschild. (4)

Für Sie als Philosoph ist das so. Schauen Sie, ich bin ein einfacher und bescheidener Experimentalphysiker. Insoweit sage ich: Ich beschäftige mich mit den Dingen und – wenn Sie so wollen - echauffiere ich mich über die Dinge, die ich wirklich auch messen kann. Wir sind heute 100 Jahre nach Einstein in der Lage zu sagen: Wenn denn die Massen genügend genau konzentriert sind, dann kommt das Licht nicht mehr raus und dann haben wir diese schwarzen Löcher. Einstein selber hat das nicht gesagt. Das waren andere wie Karl Schwarzschild oder dann auch Roy Kerr, die das angenommen haben in dieser Theorie. Wichtig ist jedoch: Die Vorstellung von schwarzen Löchern ist nicht nur eine rein theoretische Vorstellung, sondern es gibt sie wirklich. Diese kosmischen Objekte können wir heute mit mathematisch-physikalischen Techniken und Methoden dingfest machen. Das reicht mir im Moment, aber wir wollen natürlich weiterkommen. Das ist ganz klar. Aber jetzt kommt das große Problem: Wenn Sie sagen, dass Sie nun aber empirisch feststellen wollen, wie groß denn die Verteilung der Masse da im Zentrum ist, die vielleicht keine unendlich hohe Dichte hat, dann setzen wir beide uns in eine Rakete rein und wenn wir Glück haben, kommen wir durch den Ereignishorizont unbeschädigt durch und wenn wir uns dann in endlicher Zeit im Zentrum oder nahe des Zentrums wiederfinden - und was weiß ich, was wir alles dort finden - können wir es aber nicht zurückschreiben. Weil das, was wir finden, das kann nicht herausgefunkt werden. Das Licht wäre die Methode, es zurückzuschicken, aber genau das geht nicht.

Was ich aber faszinierend finde, ist Folgendes: Es gibt bei den Philosophen Schelling und Hegel, aber auch bei Heisenberg und Goethe die Termini "Bereiche des Wirklichen" oder "Sphären des Wirklichen" und Sie lokalisieren als Experimentalforschender, so wenig wir auch darüber wissen oder auch wissen können, kein Nichts, sondern ein raum-zeitliches Etwas und eine reale Sphäre des Seienden.

Ja, wenn Sie so wollen, tun wir das. Wir können beschreiben, was die Größe und damit auch die Dichte dieses Objektes ist, weil wir die Masse dieses Objektes bestimmen können. Wir können sagen, dass das nichts anderes sein kann als ein schwarzes Loch.

Bei Friedrich Wilhelm Joseph Schelling fand ich in dem Buch Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) und in der Schrift Von der Weltseele (1798), die er beide als junger Mann in Leipzig verfasst hat, ein astrophysikalisches Thema. Der junge Theologe und Philosoph hat nicht nur darüber nachgedacht, dass die Erde ursprünglich durchgehend rot-glühend war, sondern auch darüber, dass es – wie unser Planetensystem – ein System von vielen, vielen Sonnen und Fixsternen geben könnte, das ein Äußeres hat und das ein Zentrum hat. Er schrieb 1798 in Leipzig, dass "auch die Fixsterne noch zu einem hohem System gehören, das von einem gemeinschaftlichen Zentralkörper regiert wird". Also die Frage nach den Galaxien ist schon erstaunlich alt.

Schwarzes Loch. (5)
Schwarzes Loch. (5)

Ja, durchaus. Wenn Sie das auf die schwarzen Löcher anwenden, wurde auch das schon im 18. Jahrhundert gedacht. Es gibt zwei Naturforscher etwa zur Zeit der Französischen Revolution, die bereits die Frage gestellt haben, die ich letztendlich auch gestellt habe. Nehmen Sie die Sonne her. Stellen Sie sich eine andere Sonne mit derselben Masse vor, die aber kleiner ist. Aus den Newton'schen Gleichungen, die bekannt waren, weiß man sofort, dass die Entweichgeschwindigkeit einer Rakete, die Sie von der Oberfläche losschießen würden, entsprechend höher sein muss. Die Forscher haben sich damals schon gefragt: Was passiert denn, wenn jetzt die Sonne nur drei Kilometer groß wäre? Da kommt raus, dass die Entweichgeschwindigkeit gleich der Lichtgeschwindigkeit ist. Man wusste schon ziemlich genau, dass das Licht sich mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet und die größte Geschwindigkeit ist und dadurch ein solches Objekt ganz seltsame Eigenschaften haben würde. Das war schon im 18. Jahrhundert ein Thema. Der eine dieser Vordenker war der englische Naturforscher John Michell 1783 in Cambridge und der französische Forscher Pierre-Simon Laplace war 1796 der andere. Beide dachten über Dunkle Sterne nach. Es hat sich nur keiner weiter damit beschäftigt, weil man ja kein Beispiel hatte in der Natur. Der damalige Horizont in der Naturforschung und in der astronomischen Forschung war nicht so, dass sich solche Objekte identifizieren ließen. Das hat noch einmal 200 Jahre gedauert.

Herr Professor Genzel, ich bedanke mich für das Interview im Nachklang zu Ihrem bewegenden Vortrag auf der Festversammlung der Gesellschaft der deutschen Naturforscher und Ärzte in Leipzig. Und wünsche von Herzen weiter Erfolg bei den Erkundungen im Zentrum unserer Milchstraße, in denen der Geist eines Hans Christian Ørsted samt seiner Freude am Experiment ins 21. Jahrhundert fortwirkt.

 

Stand: 15. September 2022

Bildnachweis

 

Abb. 1: Physiknobelpreisträger Professor Reinhard Genzel nach seinem Vortrag bei der GDNÄ, umringt von Leipziger Schülerinnen und Schülern. Aufnahme Paul Mühlenhoff. Quelle: GDNÄ. Vgl. den Link: http://www.gdnae.de/versammlungen/leipzig-2022/#diary. Für die Erlaubnis zur Verwendung des Bildes dankt der Autor Herrn Professor Dr. Michael Dröscher.


 

Abb. 2, 3 und 4: Aus Wikimedia – gemeinfrei.

 

Abb.5 : Ganz nah am schwarzen Loch. Aufnahme vom 31. Oktober 2018. "Diese Visualisierung basiert auf Simulationen der Bahnbewegung von Gas, das mit etwa 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf einer kreisförmigen Umlaufbahn um das schwarze Loch im galaktischen Zentrum herumwirbelt. Diese Beobachtung ermöglichte das Instrument Gravity."

© ESO / Gravity Consortium / L. Calçada. Quelle: Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft vgl. den Link: https://www.mpg.de/12423197/galaktisches-schwarzes-loch.

 

Für die Erlaubnis zur Verwendung des Bildes dankt der Autor Frau Dr. Hannelore Hämmerle von den Max-Planck-Instituten für Astrophysik und extraterrestrische Physik in Garching.

 

 

Kontakte Bildrechte

 

Prof. Dr. Reinhard Genzel

Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching +49 89 30000-3280 genzel@mpe.mpg.de

 

Dr. Hannelore Hämmerle

Pressesprecherin MPI für Astrophysik und MPI für extraterrestrische Physik +49 89 30000-3980 hannelore.haemmerle@mpe.mpg.de

 

Linker Teaser

 

Alfred-Nobel-Medaille aus Wikimedia - gemeinfrei.

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