Der grüne Pfeil
Friedrich Ekkehard Vollbach
Oder: Unser erstes Auto
Wo ist der grüne Pfeil?
„Ihr Trabbi wurde von unserer Werkstatt aus Sicherheitsgründen stillgelegt. Seine Karosse ist völlig zusammengebrochen. Eine Reparatur ist leider nicht mehr möglich."
Mit diesen Worten empfing mich Frieder, bei dem ich unser Auto abholen wollte. Frieder war unser rettender Engel, wenn es Probleme mit dem Trabant gab. Wir hatten das Fahrzeug erst vor vier Monaten von den Eltern übernommen und waren froh, nicht mehr bei Wind und Wetter, Eis und Schnee auf das Motorrad angewiesen sein zu müssen.
Na ja, der P 50 war bereits 10 Jahre alt und hatte inzwischen 180000 Kilometer auf der Uhr. Wegen allerlei „Gebrechen" hatte Frieder schon etliche Stunden an ihm geschraubt. Dass er nun zum Schrotthaufen deklariert wurde, war ein Schock für uns. Nachdem wir diesen einigermaßen überwunden hatten, stellten wir uns der Frage nach einem Ersatz. Wie kommen wir zu einem anderen Auto?
Vor fünf Jahren bereits hatten wir beim VEB IFA-Vertrieb einen Trabant bestellt. Inzwischen musste man mindestens 10 Jahre warten, ehe man das rare Stück erstehen konnte. Für uns hieß das, noch fünf weitere lange Jahre hoffen und harren. - So blieb nur die Suche nach einem gebrauchten Fahrzeug. Das war aber ein echtes finanzielles Problem. Mit Hilfe der Eltern hätten wir die 9800,00 Mark für einen fabrikneuen Trabant Kombi aufbringen können, aber für ein gebrauchtes Auto langte das Geld nicht.
Heute ist das unvorstellbar, aber damals war das im real-existierenden Sozialismus so. Der Grund dafür lag darin, dass der private Handel mit gebrauchten Autos sich nicht die Preise vom sozialistischen Staat vorschreiben ließ, sondern die Preise dort in kapitalistischer Manier durch Angebot und Nachfrage geregelt wurden..
Der Käufer, der den Zettel mit dem höchsten Angebot durch das geöffnete Fenster in den zum Verkauf stehenden Trabant geworfen hatte, bekam das „Objekt der Begierde". Darum die horrenden Preise für Gebrauchtwagen. So viel Geld für ein altes Auto konnten (und wollten) wir nicht aufbringen. Andere Autotypen wie Wartburg oder Lada lagen von vornherein außerhalb unserer finanziellen Möglichkeiten.
Saporoschjez und Moskwitsch hatten wegen ihrer Qualitätsmängel keinen guten Ruf. Der Volkswitz bezeichnete den Saporoschjez auf Grund seiner veralteten Technik als „Stalins letzte Rache". Der Moskwitsch hieß wegen seiner Korrosionsanfälligkeit „Rostkwitsch".
Was also tun?
Trabant P 50. Besitzer: burts
Frieder hatte noch so beiläufig erwähnt, sein Chef hätte gesagt, ich solle doch einmal bei ihm vorbeikommen, er könne vielleicht helfen. War das der Hoffnungsschimmer an unserem dunklen Autohimmel? Ich suchte Frieders Chef umgehend auf.
Der war ein engagiertes und bekennendes Mitglied einer kleineren Religionsgemeinschaft. Wer in seiner Werkstatt arbeiten wollte, musste nicht nur ein guter Autoschlosser, sondern auch ein in seinem Sinne gläubiger Mensch sein.
Eine Begebenheit macht die Besonderheit dieser KFZ - Werkstatt besonders deutlich:
Eine Mitarbeiterin im Reisedienst der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens besuchte verschiedene Jugendkreise in unserer Region. Da hatte sie mit ihrem Trabant irgendein technisches Problem. Damit der Fehler schnell behoben wird, fuhr ich mit ihr zu besagter Werkstatt.
Dort wurde sie von den Mitarbeitern der Werkstatt und vom Chef selbst vehement wegen des Aufklebers am Heck ihres Fahrzeugs angegangen. Es handelte sich um ein großes große vierblättriges Kleeblatt. Das sei ein Zeichen des Aberglaubens und damit eine Sache des Teufels, so die Mannen in der Werkstatt. Man müsse sich doch sehr wundern, dass eine Mitarbeiterin der Kirche so etwas an ihr Auto klebt.
Es brauchte einige Zeit und Überredungskunst, die Männer dazu zu bringen, das Auto trotz des Kleeblatts zu reparieren.-
Als ich wegen unseres Autoproblems beim Chef vorsprach, fragte er mich zuerst, was ich denn von dem Buch „Gott ist anders" des anglikanischen Bischofs Robinson hielte, das soeben in der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig erschienen war und in einigen speziellen Gruppierungen für große Aufregung sorgte
Es war ein langes und schwieriges Gespräch, bei dem wir zwar nicht immer einer Meinung waren, aber ich von ihm zum Glück nicht als ungläubiger Mensch eingestuft wurde. Er eröffnete mir schließlich, dass ich ja als Jugendpfarrer der Region wohl auf ein Auto angewiesen sei und er mir darum folgendes Angebot mache:
Er habe da einen Trabant 601, der nach 240 Kilometern einen Totalschaden hatte. Ein Karosseriebauer sei dabei diesen Unfallwagen im Rahmen seiner Meisterprüfung wieder aufzubauen. Dieses Meisterstück könnte ich bekommen, wenn ich wollte. Ich müsste mir nur bei der Verkehrspolizei eine Umbaugenehmigung besorgen.
Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn das war ein wirklich gutes Angebot.
Voll Freude machte ich mich auf den Weg zum Volkspolizeikreisamt, Abteilung Verkehrspolizei. Auf der Zulassungsstelle trug ich mein Anliegen vor. Der Genosse am Schalter teilte mir mit, dass ich dafür ein Schrottzeugnis benötige. Das zu erhalten, war nun kein Problem, die Werkstatt fertigte es umgehend aus. Als ich es dem „Schaltergenossen" vorlegte, erklärte der mir, dass das nicht genügt. Es sei ein Schrottzeugnis vom KFZ - Sachverständigen der Verkehrspolizei nötig. Wie soll ich den stillgelegten Trabbi zur Verkehrspolizei bringen? Das konnte mir der Mann am Schalter auch nicht sagen. Der Sachverständige aber war recht kooperativ. Er setzte sich mit der Werkstatt in Verbindung und die Sache ging in Ordnung. Mit dem polizeilichen Schrottzeugnis sprach ich wieder bei der Zulassungsstelle vor. Nun erfuhr ich, dass ich beim Rat des Kreises, Abteilung Verkehr - Straßenwesen - Wasserwirtschaft eine Umbaugenehmigung einholen müsse. Nach wenigen Tagen hatte ich die in der Hand. Wir durften den „Trabant P50/1 in einen Trabant vom Typ 601 durch Auswechseln der Karosserie" umbauen, allerdings mit der Auflage, dass ein "weiterer Umbau des Kraftfahrzeuges mit Aggregaten der Neuproduktion nicht statthaft ist". Das war natürlich völliger Unsinn, denn außer den Rädern konnte man vom Trabant P50/1 nichts übernehmen.
Trabant 600 Kombi. Foto: burts, Besitzer: Andre Stöhr
Nach erfolgtem Umbau blieb noch die Fahrt zum Sachverständigen der VP, der die Fahrtauglichkeit des Fahrzeugs bestätigte. Jeder dieser Behördengänge war allerdings mit erheblichen Wartezeiten verbunden.
Wegen der dekorativen Farbgebung, hieß unser neuer Trabbi der „grüne Pfeil".
Fünf Jahre lang war uns der „grüne Pfeil" ein treuer und zuverlässiger Begleiter.
Nach zehn Jahren Wartezeit konnten wir schließlich das beim VEB IFA - Vertrieb bestellte fabrikneue Auto, einen Trabant Kombi, in Empfang nehmen. Der „grüne Pfeil" wurde verkauft. Um ein Auto verkaufen zu können, musste man es zuerst einem amtlichen Schätzer vorführen. Ohne Schätzurkunde wurde kein Fahrzeug bei der Zulassungsstelle umgeschrieben.
Der vom Schätzer ermittelte Preis für das Fahrzeug spielte allerdings beim Verkauf überhaupt keine Rolle.
Die Schätzer führten ihre Tätigkeit in der Nähe unseres Hauses aus. Daher wusste ich, dass es sehr lange dauert, ehe man das ersehnte Papier in den Händen hatte. Um überhaupt eine Chance zu haben, abgefertigt zu werden, sollte man doch schon um 4 Uhr morgens an Ort und Stelle sein. Ich war um vier Uhr vor Ort und reihte mich in die Schar der Wartenden ein. Um acht Uhr nahmen die Schätzer ihre Tätigkeit auf. Mit Schraubenzieher und Schreibblock bewaffnet, machten sie sich an die Arbeit. Jeder Eigentümer des sich gerade in Schätzung befindlichen Autos zuckte schmerzhaft zusammen, wenn der Schätzer mit seinem Schraubenzieher den neuralgischen Punkten der Karosserie harte Stöße versetzte.
Schließlich kam auch der „grüne Pfeil" an die Reihe. Nach einem Blick in den Fahrzeugbrief teilte mir der Schätzer mit, ich könne gehen, bei diesem Fahrzeug ist weiterhin das Baujahr 1961 maßgeblich, und ein so altes Auto könne ohne Schätzurkunde verkauft werden. Dass durch den Umbau faktisch ein neues Fahrzeug entstanden war, spielte überhaupt keine Rolle.
Ich hatte mir umsonst die Nacht um die Ohren geschlagen!
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