Ausgangspunkt für die Reise der berühmten Gräfin von Königsmarck an den Dresdner Hof war eine sehr anstößige Skandalgeschichte im damaligen Europa, die in allen Salons des Hochadels, in fürstlichen Häusern und in der Bevölkerung für Aufsehen sorgte. Was war geschehen? Der einzige noch lebende Bruder Auroras, Philipp Christoph Graf von Königsmarck, hatte sich ab 1690 in eine Liebesaffäre mit Sophia Dorothea, der Hannoveraner Erbprinzessin, verstrickt. Sie war aus politischen Gründen 1682 mit ihrem Cousin Kurprinz Georg Ludwig, dem späteren britischen König Georg I. (1660-1727), verheiratet worden. Die Ehe war unglücklich. 1690 begann Sophia Dorothea das Liebesverhältnis mit dem schönen und galanten Philipp Christoph von Königsmarck, einer Bekanntschaft aus der Jugendzeit. Ein umfangreicher Briefwechsel der Liebenden dokumentierte die Liaison. Nach der Entdeckung des Fluchtplans der beiden wurde sie 1694 von ihrem Mann geschieden und bis zum Ende ihres Lebens unter strenger Bewachung in das Schloss von Ahlden verbannt. Dort starb sie nach 32 Jahren, ohne jemals ihre Kinder wieder gesehen zu haben. Ihr Sohn wurde als Georg II. König von England, ihre Tochter Sophie Dorothea war die Mutter Friedrichs des Großen.
Noch übler erging es dem „Romeo" Philipp Christoph. In der Nacht vom 1. Juli 1694 verschwand er im Hannoverschen Schloss spurlos. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er von gedungenen Mördern umgebracht worden. Die Leiche und alle Unterlagen sind konsequent beseitigt worden, das war professionelle Arbeit. Bis heute ist nichts nachzuweisen. Offiziell galt der Graf damals als verschollen. Das war ein Menetekel für die Familie von Königsmarck. Der einzige männliche Erbe und Beschützer der Familie war nicht auffindbar, aber der Tod konnte nicht festgestellt werden, also konnten Aurora und ihre Schwester Amalia auch das Erbe nicht antreten. Schutz- und mittellos, wie sie waren, mussten sie sich nach einflußreichen Unterstützern umsehen.
August der Starke, der sich in Dresden anschickte, Sachsen politisch und kulturell unter den ersten deutschen Ländern zu plazieren, war als zweitgeborener Sohn des verstorbenen Kurfürsten Johann Georg III. Ende April 1694 zum regierenden Kurfürsten proklamiert worden, nachdem der ältere Bruder Johann Georg unter mysteriösen Umständen im Alter von 25 Jahren gestorben war. Eins kann nach neueren medizinischen Untersuchungen dabei als sicher gelten, dieser starb nicht an den Pocken, wie es damals Ärzte bestätigten und der kurfürstliche Hof verbreiten ließ. Diese Version ging auch in die Fachliteratur ein. Böse Zungen behaupten, ein Kriminalfall sei der Ausgangspunkt, der dem zweitgeborenen Sohn die steile Karriere als Kurfürst ermöglichte. Naheliegend ist Giftmord als Ursache für den plötzlichen Tod des Johann Georg. Das von Eifersucht und Konkurrenz geprägte feindseelige Verhältnis der Brüder war weithin bekannt. Schon unter den Zeitzeugen gab es Zweifel an der offiziellen Version. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die These veröffentlicht, ein böser Mensch hätte die Hände im Spiel gehabt. Heute bestätigen Mediziner und Historiker diese These.
August der Starke verdankte seinen späteren Beinamen seinen großen Körperkräften, die ihn befähigten, ein metallenes Hufeisen mit der bloßen Hand zu verbiegen. Er machte Dresden zur prunkvollen barocken Metropole, wovon die Stadt noch heute zehrt. Als Prototyp absolutistischer Selbstdarstellung zeichnete er sich durch seine rege Bautätigkeit und eine ausgeprägte Sammelleidenschaft aus. Er galt als genial veranlagt, ausgestattet mit unbändiger Lebenslust, Großzügigkeit, Vergnügungssucht und Hemmungslosigkeit. Maßlos übertrieben dürften aber die Zahl von über „354 Kindern" sein, unehelich geboren, die ihm Wilhelmine von Bayreut, eine Schwester von Friedrich II., andichtete. Anerkannt hat er acht illegitime Nachkommen, die er legitimierte und um die er sich kümmerte.
Er zelebrierte seine absolutistische Macht auch mit einer opulenten Festkultur an seinem Hofe, die allen die Bedeutung des Staatenlenkers vor Augen führen sollte. Hinter all dieser Prunkentfaltung stand also ein politisches Konzept.
Am 20. Januar 1693 heiratete August Christiane Eberhardine Prinzessin von Brandenburg-Bayreuth; es war eine typische Verbindung der fürstlichen Häuser, die allein politischen Zwecken diente. Man begegnete sich mit Höflichkeit und Respekt, aber war die Aufgabe, „Uns Kinder zu gebären", erledigt, mied man Nähe und ehelichen Kontakt. Klugerweise zog sich die Ehefrau nach der Geburt des Tronfolgers am 7. Oktober 1696 auf Schloss Pretzsch an der Elbe zurück, kümmerte sich später segensreich um soziale Belange und avancierte zur „Betsäule Sachsens".
Diese Regeln gelten, wie wir wissen, bis in unsere heutige Zeit, wenn wir an das traurige Schicksal der Lady Diana, der vormals geschiedenen Ehefrau des englischen Kronprinzen Charles, denken, nur eben diese wollte es nicht einsehen.
Gräfin Konigsmarck, geboren am 28. April 1662 in Stade, stammte aus altmärkischen Hochadel und war mit der schwedischen Königsmutter Hedwig Eleonore befreundet. Die strahlend schöne Aurora von Königsmarck, stets elegant und kostbar gekleidet, gewandt im Auftreten und mit charismatischer Ausstrahlung, muss auf ihre Zeitgenossen eine ähnliche Wirkung gehabt haben, wie wir es bei Lady Diana erlebten. Bei aller Vergleichbarkeit lebten aber beide in einer ganz anderen Zeit und in anderen geschichtlichen Zusammenhängen. Zudem war Aurora hochgebildet und geistreich, unter anderem sprach sie fünf Sprachen fließend und akzentfrei, war literarisch begabt und ließ sich im Malen von dem schwedischen Hofmaler David Klöcker Ehrenstrahl unterrichten. Sie war außerdem Virtuosin auf der Laute und Viola da Gamba. Die Gräfin hatte auch die Stirn, trotz des Drängens ihrer Familie nicht zu heiraten, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Ihr Bruder Philipp Christoph hatte vor seinem Verschwinden gestöhnt: „Wenn ich bloß wüsste, dass Ihr Euch wirklich verehelichen wollt." Er wollte sie versorgt wissen. Honorige Verehrer gab es genug, Aurora gehörte zu den umschwärmtesten und begehrtesten Frauen in ihrer Zeit. Und das war wohl auch der Grund, weshalb August der Starke seine Reise in die Messestadt Leipzig im August 1694 abbrach, um die „Göttin der Morgenröte" in Dresden zu empfangen und zu ehren. In der leidigen Sache der Vorfälle am hannoveranischem Königshof, dem Verschwinden des Bruders, kam Aurora jedoch nicht weiter. Am Dresdner Hof ging man stillschweigend davon aus, er wäre ermordet worden. Zunächst reiste sie wieder ab und suchte den Trost ihrer Freundin Anna Dorothea, der Äbtissin im Reichsstift Quedlinburg. Die Familie Königsmarck steckte in einer tiefen seelischen und finanziellen Krise. Nach reiflichem Überlegen wollte Maria Aurora, 32 Jahre alt, handfeste Fakten schaffen und ihre Talente auf den acht Jahre jüngeren heißblütigen sächsischen Kurfürsten wirken lassen. Daraus galt es pragmatisch, eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Als der sächsische Kurfürst nach sechswöchigen Aufenthalt in Leipzig am 21. Oktober nach Dresden zurückkehrte, spielte dort Maria Aurora den Regeln entsprechend die Spröde und gab vor, ihre Tugend zu verteidigen. August, eitel wie er war, gefiel sich, unwiderstehlich zu sein und sie gegen ihren Widerstand erobert zu haben. Im Schloss Moritzburg, dem Ort der Verführung, entstand das Liebesnest für die stürmische und kurze Liebesbeziehung August des Starken mit Aurora Gräfin von Königmarck. August ließ eine Folge von Festen und Lustbarkeiten inszenieren. Als sie beim illustren Abendessen an ihrem Platz ein kostbares Diadem vorfand, brach aller Widerstand zusammen. Maria Aurora wurde zur ersten offiziellen Mätresse August des Starken, zur „Maitresse en titrè". Klug wie sie war, verstand sie es, ihrer Position Glanz und Ansehen zu verleihen. Diplomatisch und rücksichtsvoll bewegte sie sich gegenüber der Mutter des Königs und der frisch angetrauten Gattin Christiane Eberhardine. Sie war weder habgierig noch intrigant und hielt sich, anders als später die Nachfolerinnen Reichsfürstin Katharina von Teschen und Gräfin Cosel, aus der Politik heraus. In einem Singspiel dichtete sie:
Ich glückliche Göttin der Liebe
Behalte doch immer das Feld,
Beherrsche durch liebliche Triebe
die Hölle, den Himmel, die Welt.
Im Mai 1695 durfte sie August desn Starken in die Bäder nach Karlsbad begleiten. Die kleine Kurstadt erlebte prachtvolle Feste und Bälle. Als er anschließend mehrer Monate ins Feldlager gegen die Türken zog, genoss die Gräfin Königsmarck einen üppigen Lebensstil in Dresden. Auch der Winter 1695/96 brachte nur Annehmlichkeiten. August der Starke, aus dem Feldlager zurück, besuchte seine Geliebte täglich und verwöhnte sie. Die Liebesaffäre sprach sich an den Höfen Europas herum. Als er im April 1696 wieder ins Feldlager zog, war seine Mätresse im dritten Monat schwanger. Das war pikant, jedoch verschärfte sich das Problem, weil auch die kurfürstliche Gemahlin Christiane Eberhardine nach drei Jahren Kinderlosigkeit endlich schwanger war.
Die Gräfin Könicksmarck wußte sofort, dass in dieser Situation in Dresden kein Platz mehr für sie war. Sie flüchtete wieder zu ihrer Freundin, der Äbtissin in Quedlinburg. Die Frauen schmiedeten Zukunftspläne. Am 28. Oktober 1696 brachte sie inkognito in der alten Kaiserpfalz Goslar den Sohn des Kurfürsten zur Welt, den sie Hermann Moritz nannte. Die scharfzüngige Liselotte von der Pfalz kommentierte, was an den Höfen des Adels gedacht wurde: „Man hat so lange gesagt, er bekomme keine Kinder, hat also auf einmal zwei Söhne daher gesetzt." Als Kurfürst August endlich nach Dresden zurückkehrt, galt seine volle Aufmerksamkeit seiner neuen Geliebten, der Gräfinn Esterle, die er aus Wien gleich mitbrachte. Treue gehörte nicht zu seinen Tugenden.
Maria Aurora Gräfin von Königsmarck traf das Schicksal der Mätressen, sie wurde verlassen. Nun bemühte sie sich zusammen mit ihrer Freundin nachdrücklich um Aufnahme in den kaiserlichen freien weltlichen Reichsstift Quedlinburg, was ihr nur mit Unterstützung des sächsischen Kurfürsten gelang. Sie nahm die Position der Koadjutorin, der Stellvertreterin der Äbtissin, ein, mit dem Recht dieser im Amt zu folgen, was ihr letztendlich nicht glücken sollte. In diesem Versorgungsinstitut für unverheiratete hochadlige Töchter konnten die Stiftsdamen einen priviligierten aristokratischen Lebensstil ohne klösterliche Beschränkungen pflegen. Im Mai 1700 wurde Maria Aurora auch noch zur Pröbstin gewählt. Ihr flottes Leben im Kloster bezeichnete sie als „angenehme Solitude". Die Einnahmen aus ihrem Amt von 4 000 Reichstaler im Jahr waren Voraussetzung für Unabhängigkeit und Freiheit. So besuchte sie regelmäßig die Leipziger Messe, nicht nur als Einkaufsmeile, sondern es boten sich vielfältige Zerstreuungen: Opernaufführungen, Komödien, Maskenbälle, Musik und Tanz. Sie reiste viel (Dresden, Berlin, Hamburg).
In Absprache mit dem sächsischen Kurfürsten organisierte die Gräfin eine standesgemäße Erziehung für ihren Sohn, den der Vater legitimierte und dessen Erziehung er finanzierte. Der Sohn wird unter dem Namen Hermann Moritz Graf von Sachsen, genannt „Maréchal de Saxe" (Marschall von Sachsen), als deutscher Feldherr und Kriegstheoretiker in französischen Diensten Furore machen.
Moritz hatte nach seiner Ehescheidung eine kurze Affäre mit Marie Rinteau de Verrièris. Daraus entstammte eine illegitime Tochter Maria-Aurora von Sachsen, verehelichte Dupin.
Somit war er der Urgroßvater der französischen Schriftstellerin George Sand (eigentlich Aurore Dupin), die auch durch ihre Liebesbeziehung mit Frèdèric Chopin, die 9 Jahre andauerte, bekannt geworden ist. Ihre Ururgroßmutter, unsere schöne Maria Aurora Gräfin von Königsmarck, hing als Bild in ihrem Schlafzimmer. George Sand orientierte sich an ihren Lebensmaximen, setzte sich sowohl für feministische als auch für sozialkritische Ziele ein. Die Schriftstellerin beeinflusste die europäische Literatur mit ihren Appellen zur Emanzipation der Frau, eine Hommage an ihre Ahnfrau, die am 16. Februar 1728 allein und verlassen in ihrer Kammer in der Probstei zu Quedlinburg starb.
Maria Aurora Gräfin von Königsmarck zog nach einem schonungslosen Rückblick auf ihr Leben, das von Tragik begleitet war, am Ende das Resümee:
Stunden
verwunden
die letzte tötet
und heilt.