Der Autor des Kinderbuches „Die Buntekinder" verbrachte in seiner Kindheit mit seinem älteren Bruder in den Jahren von 1934 bis 1945 alle seine Schulferien gemeinsam bei seinen beiden Großeltern in Siebenlehn.
So wurde er auch Augenzeuge des für damalige Zeiten gewaltigen Baues der sogenannten „Reichsautobahnbrücke". Der Bau begann im September 1935 und währte bis zum Richtfest am 23.11.1936. Die ungeheuer kurze Bauzeit von 14 Monaten legt ein hervorragendes Zeugnis deutscher Ingenieurkunst ab, die damals ihresgleichen in ganz Europa suchte. Mit 413 m Länge und einer Höhe von 72 m war sie die höchste Autobahnbrücke Europas. Im unteren Bild sieht man das breite Brückengeländer, über welches die Buntekinder die Schneekugeln in die Mulde warfen.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands begann 1994 die Verbreitung des Brückenüberbaus, der 1997 durch verbreitete Brückenköpfe abgeschlossen wurde.
Durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen ist es heute nicht mehr möglich, Schneekugeln ins Muldental zu werfen.
Am 5. Mai 1945, also 3 Tage vor Kriegsende (!), verhinderte der Huthaus-Gastwirt Reinhold Ehrlich die unsinnige Sprengung der Brücke durch die Deutsche Wehrmacht.
Die nächste Geschichte hat sich um das Jahr 1938 herum abgespielt, also kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Es wurde gerade die damals größte und höchste Autobahnbrücke Deutschlands bei Siebenlehn über das Tal der Freiberger Mulde gebaut. Als sie fertig war, faszinierte sie uns Lausbuben ungemein. Obwohl es streng verboten war, die Brücke zu betreten, ließen wir mit unseren Siebenlehner Freunden immer wieder kleine, selbstgebaute Fallschirme von der 72 m hohen Brücke hinab ins Muldental gleiten. Unsere Eltern und Großeltern hatten davon natürlich nicht die geringste Ahnung.
Doch als ob das nicht gereicht hätte, heckten wir eines Tages im Winter einen Plan aus, der einem Mensch beinahe das Leben gekostet hätte. Als wir nämlich wieder einmal an einem sonnigen Wintertag unsere kleinen Fallschirme ins Tal gleiten ließen, warf ich auch einen Schneeball hinunter. Und siehe da, dieser wurde genau so wie die Fallschirme von dem Luftstrom erfasst, der unter der Brücke hindurch strich. Der Ball schien plötzlich wieder zu steigen. Er tanzte und sauste hin und her, als wäre er ein Spielball der Lüfte, als hätten sich diese Lüfte seiner bemächtigt, um mit ihm zu machen, was sie wollten. Nach längerem Auf und Ab sauste er dann aber dennoch mit ungeheurer Geschwindigkeit in die Mulde, die tief unten ruhig dahin floss. Nun begannen alle dieses scheinbar harmlose Spiel fortzusetzen. Bis - ja, bis Gerhard, einer der Siebenlehner Lausbuben, den Vorschlag machte, eine größere Schneekugel hinab zu werfen. Gesagt, getan, sie rollten eine riesige Kugel zusammen.
Man sollte vielleicht erwähnen, dass damals auf der Autobahn nur ganz geringer Verkehr herrschte, alle Viertelstunde ein Fahrzeug, das war schon viel, zumindest im Vergleich zu heute, wo nicht enden wollende Kolonnen von Autos die Brücke passieren.
So konnten wir auch völlig ungestört unsere Dummheiten fortsetzen. Mit vereinten Kräften wuchteten wir die schwere Kugel, die einen Durchmesser von mindestens einem Meter besaß, auf das breite Geländer und ließen sie genau über der Mulde hinabstürzen. Mit allergrößter Spannung verfolgten wir ihren Sturz in die Tiefe. Und dann geschah etwas Phantastisches: Die Kugel schlug in die Mulde wie eine Bombe ein. Sie durchdrang unbeschädigt die Wasseroberfläche, verdrängte durch ihre ungeheuere Wucht das Wasser in einem Umkreis von fünf oder zehn Metern und zerschellte dann mit einem Furcht erregenden Getöse am felsigen Grund, wo sie in tausend Stücke zerfetzt wurde und das Wasser in einer riesigen Fontäne trichterförmig nach oben steigen ließ. Wir staunten nicht schlecht, denn wir konnten jeden Stein am Grund der Mulde erkennen. So etwas hatte noch keiner von uns gesehen. Doch man hüte sich davor, so etwas nachzumachen, denn heute würden die Eltern der Kinder dafür schwer bestraft.
Doch nicht genug des Unfugs, nein, wir wollten nun eine solche Explosion auf der ebenfalls unter der Brücke verlaufenden, asphaltierten Straße herbeiführen. Mit kleineren Probekugeln machten wir die richtige Abwurfstelle auf dem Geländer aus. Und dann begann wieder das gleiche Zeremoniell. Die Kugel hievten wir auf das Geländer und stürzten sie anschließend hinab in die Tiefe. Was nun passierte, übertraf alles Bisherige bei weitem: Die Kugel schlug auf die schneebedeckte Straße, und diese wurde durch die dadurch erzeugte Explosion wie von Geisterhand auf viele Meter völlig frei gefegt. Das alles geschah in den ersten Augenblicken völlig lautlos, weil ja der Schall länger nach oben brauchte als das Licht, das das grandiose Bild von der Explosion nach oben schickte. Doch dann erfolgte ein Knall, als stürze der Kölner Dom auf einmal zusammen, als hätte man eine Granate aus einem Geschütz abgefeuert.
Der Knall wurde von den schneebedeckten Hängen des Muldentales und den gewaltigen Brückenpfeilern hin und her reflektiert. Es klang wie ein schweres Sommergewitter. Es klang schaurig schön.
Nun hätte es ja eigentlich genug sein können. Doch nein, die Dummheiten nahmen kein Ende. Auf der Straße, die soeben von der Schneekugelexplosion frei gefegt worden war, herrschte Gott sei Dank kein Verkehr. Doch dann sahen wir, wie sich von weitem ein Radfahrer mühsam über die verschneite Straße auf die Brücke zu bewegte. Und jetzt machte eines der Kinder einen bösen Vorschlag: „Wir bombardieren den mit einer Schneekugel!" - „Kommt gar nicht in Frage!", warf Rüdiger ein, der sich der Folgen klar war. Würde eine solch große Kugel den Radfahrer treffen, hätte es sicher seinen Tod bedeutet.
Doch ganz auf das fragwürdige Vergnügen wollten wir Bengel nun auch nicht verzichten. Also was taten wir? Zuerst einmal hielten wir Kriegsrat. Und während der Diskussion kam einer auf die Idee, die Zeit zu messen, die eine Kugel bis unten brauchte. Schließlich wollten wir den Radfahrer nicht treffen. Rüdiger und ich hatten die anderen überzeugt, dass so etwas unverantwortlich gewesen wäre. Also beschlossen wir, für den nächsten Radfahrer in einiger Entfernung eine Kugel vor seinem Rad explodieren zu lassen, um ihn zu erschrecken.
Es dauerte eine Weile, bis wir durch mehrmaliges Abwerfen kleinerer Kugeln die richtige Zeit herausgefunden hatte, damit etwa zehn Meter vor dem Radfahrer die Kugel zerplatzen würde.
Wieder warteten wir geduldig eine lange Zeit, bis sich endlich ein Radfahrer näherte. „Achtung! Los!" Die Kugel stürzte mit rasender Geschwindigkeit hinab. Und - Gott sei gedankt - viel schneller als die kleinen, die wir für das Finden der richtigen Zeit verwendet hatten. Denn - und das war nicht nur das Glück des Radfahrers, sondern auch unser Glück - die Kugel schlug in einer wesentlich größeren Entfernung vor dem Rad auf die Straße als geplant. Doch die Wucht war immer noch so groß, dass die Druckwelle den Radfahrer wie von einem Sturmwind getroffen schlagartig in den Straßengraben schleuderte. „Mein Gott, den hat's erwischt!", rief Hans und wollte sofort davonrennen. Doch diesmal war ich es, der lautstark warnte: "Das könnt ihr doch nicht machen, wenn ihm was passiert ist, müssen wir Hilfe holen!"
Also warteten wir gemeinsam, ob der Radfahrer von alleine wieder zu sich kam und aus eigener Kraft und unverletzt aus dem tiefen Schnee des Grabens herauskrabbeln würde. Nach einer geraumen Weile, nachdem er sich wohl von dem furchtbaren Schreck erholt hatte, begann er sich zu bewegen und auf die Straße zu kriechen, wo er sich aufrichtete und mit beiden Fäusten nach oben drohte. Er hatte nämlich die Übeltäter erspäht, aber zu unserem Glück nicht erkannt. Wieder nach einer Weile zog er sein Rad aus dem Schnee, richtete die verbogenen Räder, setzte sich darauf und radelte langsam davon. „Jetzt aber nichts wie weg!", befahl Rüdiger, der richtig vermutete, dass der Radfahrer zur nächsten Polizeidienststelle fuhr, um Meldung von dem ungeheueren Vorgang zu machen. So verdrückten wir uns alle, so schnell wir nur konnten, um erst einige Tage später wieder zusammenzukommen.
Das Ereignis hatte sich in Siebenlehn und Umgebung in Windeseile herumgesprochen. Alle vermuteten, wer die Übeltäter waren, aber beweisen konnte uns niemand etwas. Und erzählt hat es natürlich auch keiner den Siebenlehnern. Die Polizei stellte die Ermittlungen bald ein, da ja dem Radfahrer bis auf einen entsetzlichen Schreck nichts passiert war.