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Heft 2

B-Z! Das ist nett! (Teil 1)

In diesem Arbeitsheft werden alle Konsonanten eingeführt, die sich beim Sprechen gut dehnen lassen. Dazu kommen noch einige Vokale (Zwie- und Umlaute).

Wille zur Farbe –  Schmidt-Rottluffs Bilder in Chemnitz

Wille zur Farbe – Schmidt-Rottluffs Bilder in Chemnitz

Dr. Konrad Lindner

Ich bewunderte seinen Scharfsinn und sein Wissen und wußte nur wenig zu sagen, wenn von Nietzsche und Kant und Größen dieser Art gesprochen wurde.“ (Emil Nolde in seinen Lebenserinnerungen über den jungen Karl Schmidt-Rottluff.)

0. Aufgewachsen in einer Mühle

Chemnitzer Kunstsammlungen, König-Albert-Museum, Theaterplatz. (1)
Chemnitzer Kunstsammlungen, König-Albert-Museum, Theaterplatz. (1)

 

Chemnitz ist die Stadt, in der Karl Schmidt-Rottluff (1884 – 1976) am humanistischen Königlichen Gymnasium vor Ostern 1905 sein Abitur ablegte. Seine Schule trägt seit 2002 den Namen Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium. Heute hütet Chemnitz - die Stadt am Rand des Erzgebirges - einen einzigartigen Bilderschatz des expressionistischen Künstlers. Weil sie in seine kraftvollen Farbwelten eintauchen wollen, kommen gerade auch im Jahr der Kulturhauptstadt 2025 viele Gäste nach Chemnitz. In den Kunstsammlungen am Theaterplatz sind in einem einzigen Saal Werke aus sieben Jahrzehnten des Schaffens von Karl Schmidt-Rottluff versammelt. Beim Gang durch die Dauerausstellung ist zu lernen, dass bei Karl Friedrich Schmidt, wie der Sohn eines Mühlenwerksführers ursprünglich hieß, der Wille zur Farbe kein Strohfeuer, sondern eine Lebens-, Stil- und gar eine Jahrhundertentscheidung war.

2. Hinter die Gartenpforte geblickt

Karl Schmidt-Rottluff vor 1920 (2)
Karl Schmidt-Rottluff vor 1920 (2)

 

Den frühen Aufbruch in die Farbe begann der 21-jährige Schmidt-Rottluff mit Bildwerken wie Weisskohl (1906) und Holzstoss (1906) sowie mit dem Bild Der Holzschneider (1906), das mit erstaunlich exzessiven Pinselstrichen geschaffen worden ist. Sowohl Porträts als auch Landschaften entstanden aus der Hand des Künstlers mit einer ungewohnten Farbgewalt. Wie Schmidt-Rottluff die divergierenden Farbbestandteile segmentierte, die wir bei dem Blick in die Gesichter unserer Mitmenschen entdecken können, entwickelte er auch die Neugier für einen alltäglichen Gartenweg, der in der Sommerhitze aufleuchtet. Beim Gang durch die Chemnitzer Ausstellung konnte ich in der Beschreibung des Bildes Kleiner Garten (1906) über den Entstehungsort erfahren: „Der pastose Farbauftrag ist typisch für Schmidt-Rottluffs Gemälde, die 1906 während seines Sommeraufenthaltes bei dem von ihm bewunderten älteren Künstler Emil Nolde auf der Ostseeinsel Alsen entstanden. Der in diesem Gemälde von Schmidt-Rottluff entfachte 'Farbensturm' reagiert auf Emil Noldes Malerei, bleibt in der künstlerischen Umsetzung aber weitestgehend eigenständig.“ Der Hinweis auf die Partnerschaft von Nolde und Schmidt-Rottluff kann auch in den ausführlichen Bildkommentaren nachgelesen werden, die Beate Ritter für den Werkeband Karl Schmidt-Rottluff (2015) verfasst hat. In seinem Farbexperiment Kleiner Garten lässt der junge Künstler die unbestimmt bleibende grünende und blühende Vegetation des Gartens mit einem Sandweg farblich zusammenprallen. Der Weg leuchtet im Vordergrund in satten Goldtönen und geht dann aber weiter hinten in ein helleres Gelb über. Beate Ritter macht vor allem auch auf die Rolle der Unschärfe in dem frühen Gartenbild von Schmidt-Rottluff aufmerksam: „Die Vegetation ist nicht in einer erkennbaren Form dargestellt, sondern entsteht ausschließlich aus den sich miteinander verflechtenden farbigen Pinselstrichen.“ (S. 216.)

3. Mädchen mit Blume

 

Man wird es bei einem Porträt kaum glauben wollen, dass eine Nase in Dunkel- und Hellblau sowie eine Stirn in Dunkelblau und Grün gemalt werden kann, ohne dass in unserer Anschauung ein zerbeultes und verunfalltes Gesicht entsteht, sondern im Gegenteil ein anmutiges und personal völlig heiles Antlitz. Aber in dem Gemälde Mädchen mit der Blume (1924) ist Schmidt-Rottluff im Alter von 39 Jahren durch die ausdrucksstarken Augen und durch die schräge Kopfhaltung der Frau ein emotionales und berührendes Bildnis gelungen. Unterstrichen durch die Bluse in Gelb und Orange sowie durch die rote Lupine in der Hand steht die junge Frau für eine warme und herzliche sowie dem Künstler nahe und wichtige Persönlichkeit. Wie in der Bildbeschreibung berichtet wird, genoss Schmidt-Rottluff die gemeinsamen Sommeraufenthalte mit seiner Frau Emy an der Ostseeküste in Jershöft. Der Maler hatte an 21. März 1919 die gebürtige Chemnitzerin Emy Frisch geheiratet, die in Berlin ein Fotoatelier unterhielt. (S. 491.) In der Ausstellung las ich auch einen spannenden Hinweis auf die Arbeitsweise des Künstlers, der ebenfalls auf den ausführlicheren Kommentar zu dem Bildnis Mädchen mit Blume zurückgeht, der in dem Werkeband Karl-Schmidt-Rottluff vorliegt. (S. 257.) In der Bildbeschreibung heißt es zum Zusammenklang von Farben und Stimmungen: „Farbfläche stößt an Farbfläche. So sind die drei verwendeten Farben Grün und Rot und Blau Umrisslinie und Fläche zugleich. Hier geht es nicht um Darstellungstreue oder Porträtnähe, sondern um den Ausdruck schlichter Farb- und Lebensfreude.“ Es ist eindrucksvoll zu sehen, dass Schmidt-Rottluff die in den Schattenflächen versteckten Farben sicher zum Vorschein bringt. Ihm gelingt es, wenn man mit Heraklit und Heidegger zu reden versucht, durch Kunst das sich Verbergende hervorzuholen und zu entbergen.

4. Malven vor der Haustür

 

Seit Jahrhunderten bevölkern Stockrosen oder Malven die Bauerngehöfte. Aber auch in fürstlichen Kreisen wurden Malven verehrt. Goethe zog in seinem Garten an der Ilm Malven heran und ließ hier zur Sommerszeit Malvenfeste feiern. Den Farbenmenschen Goethe faszinierte, dass die Malven in der Skala der Blütenfarben fast den gesamten Farbkreis von Weiß und Gelb über Rot bis hinein in ein Schwarz-Violett durchlaufen. Ebenfalls in Jershöft widmete sich Schmidt-Rottluff im Sommer 1926 den Malven. Alltägliche und verbreitete Blüten in Rosa machte er zu den Heldinnen seines Bildes Malven am Haus. Bei der Bildbeschreibung in den Kunstsammlungen verharrte ich bei dem Satz, der das Malvenbild in die Entwicklung des Schaffens von Schmidt-Rottluff einordnet: „Seine Farben werden differenzierter, die Formen voluminöser und plastischer, von keiner Kontur beengt.“ Mir gefällt aber auch der sinnliche Satz in dem Werkeband: „Selten ist ein Sommertag so zu spüren wie in diesem Gemälde mit voll erblühten Malven – oder genauer: Stockrosen -, eine der typischen Pflanzen eines Bauerngartens.“ (S. 259.)

5. Sommerabend am See

Wohnhaus (1943–1946) von Karl Schmidt-Rottluff, Limbacher Str. 382, Chemnitz-Rottluff, heute Museum.(3)
Wohnhaus (1943–1946) von Karl Schmidt-Rottluff, Limbacher Str. 382, Chemnitz-Rottluff, heute Museum.(3)

 

Die abendliche Sonne nicht in Rot, sondern zweigeteilt in Orange und Grau sorgt für Grübeleien darüber, ob die Betrachter es nicht womöglich mit dem aufgehenden Mond zu tun haben. Die Stimmung des Bildes Sommerabend am See (1934) ist ruhig, getragen, feierlich. Das Seebild mit dem blauen Boot im Vordergrund ist ein Meisterwerk der gedämpften Farben. In Schmidt-Rottluffs Schaffen, so informiert Beate Ritter in ihrem Bildkommentar für den Werkeband, „ist wohl kein anderes Motiv so häufig vertreten wie das des hinter den Dünen der Ostsee liegenden Lebasees“. (S. 275.) Die Kunsthistorikerin fügt an, dass diese Komposition „eines der schönsten und wichtigsten Gemälde“ des nun fast 50-jährigen Künstlers aus den „für ihn schwierigen Jahren nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten“ war.

6. Gelber Weg bis hin zum Meer

 

Ein kleiner Gartenweg ist es nicht, sondern eine stattliche Allee. Im Vordergrund kommt sowohl von links als auch von rechts ein Weg in Knallgelb daher, der sich in eine Allee zwängt, deren vordere Bäume bis hoch zum Himmel ragen. Der gelbe Weg zwischen den Baumreihen führt bis runter zum Meer. Die Stämme der Alleebäume sind auf dem Bild Seehofallee (1956) lila gefärbt, während der Himmel hellgrün leuchtet. Das Motiv geht, wie Beate Ritter mitteilt, auf die Landschaft der holsteinischen Ostseeküste bei dem Ort Sierksdorf zurück. (S. 290.) Die Arbeit Seehofallee im stattlichen Format 88, 3 cm x 102, 3 cm ist von dem tüchtigen Chemnitzer Museum im Jahr 1975 von dem „inzwischen hochbetagten Künstler“ erworben worden.

7. Dünenlandschaft mit blauer Sonne

 

In Sierksdorf an der Lübecker Bucht fand Schmidt-Rottluff noch im Alter von fast 80 Jahren Motive, mit denen er wie Jahrzehnte zuvor am Lebasee den sommerlich heißen und gelb strahlenden Dünensand ins Bild setzen konnte. Die Dünenlandschaft (1963) zeigt im Vordergrund einen Findling umgeben von Pflanzengrün und dahinter lang ausgestreckte Dünen. Weil das helle Dünengelb im Zentrum des Bildes noch verstärkt wird, scheute sich der Maler nicht, der Sonne am Himmel ein blaues Farbkleid zu verpassen. Beate Ritter schreibt zur ungewöhnlichen Sonne über den Dünen: „Sie steht in einem intensiven Blau am Himmel und verleiht der Farbigkeit der dargestellten Landschaft etwas Unwirkliches.“ (S. 291.) Doch auch beim Sonnenblau gilt der Satz des jungen Schelling aus dem Jahr 1800 in Jena, dass „alle ästhetische Produktion von Freiheit ausgeht“. Wobei Nietzsche angeregt von Schelling und Schopenhauer aufzeigte, dass sich Freiheit in der Kunst nicht als Willkür vollzieht. Der Philosoph des Bestsellers Also sprach Zarathustra (1883 – 1885) arbeitete in dem Essay Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) heraus, dass sowohl in den Werken der Musik als auch in den Bildern der Malerei die Entfesselung oder das Rauschhafte (das Dionysische) und die Ordnung oder das Maßvolle (das Apollinische) zusammenwirken.

 

8. Kunststadt Chemnitz 2025

Das Schmidt-Rottluff-Gymnasium in der Hohen Straße 25, Chemnitz. (4)
Das Schmidt-Rottluff-Gymnasium in der Hohen Straße 25, Chemnitz. (4)

 

Ein Ausdruck für die Wertschätzung des Künstlers aus Chemnitz war, dass Karl Schmidt-Rottluff 1974 im Alter von fast 90 Jahren Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters in New York geworden ist. Erfreulich ist das anhaltende und sogar noch gewachsene Interesse an dem Werk des Künstlers. Besucherinnen und Besucher aus allen Teilen Deutschlands kommen gerade nach Chemnitz, um sich mit der Kulturhauptstadt 2025 vertraut zu machen. Zahlreiche Gäste begeben sich gezielt in die Kunstsammlungen am Theaterplatz mit den Bildern von Schmidt-Rottluff. Ich nahm am 16. Mai 2025 das Klassentreffen meiner Frau in Chemnitz zum Anlass, mir die großartigen Malven vor dem Haus anzuschauen. In diesem Bild erscheinen die Malven als hoch aufgerichtete Persönlichkeiten. Zu dem Blumenbild hat meine Frau eine längere Beziehung, die in ihre Abiturzeit zurückreicht. Als gebürtige Chemnitzerin besuchte sie von 1965 bis 1969 die Erweiterte Oberschule Friedrich Engels auf dem Kaßberg und damit das heutige Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium. Ihr Zeichenlehrer ging mit der Klasse mehrfach in die Kunstsammlungen, um die Werke des Expresssionisten Schmidt-Rottluff zu besichtigen. Ich denke, gerade Engels hätte das imponiert, zumal dieser Autor in London die Ästhetik Hegels sehr schätzte. Hegel feierte in seiner Philosophie der Kunst den Gedanken, dass Freiheit die höchste Bestimmung des Geistes sei. Der Künstler Karl Schmidt-Rottluff hat sich weder die Freiheit der Farben noch die des Geistes nehmen lassen, was ich beim Besuch der Kunstsammlungen im Mai 2025 auf dankbare Weise nachempfinden durfte.

9. Zu den Bildern

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Aber leider darf ich die Fotografien vom Rundgang durch den Raum mit den Bildern von Schmidt-Rottluff nicht veröffentlichen. Die Bildrechte erlauben es nicht. Umso mehr möchte ich den Besuch der Kunstsammlungen empfehlen. Vor Ort in Chemnitz am Theaterplatz können die beschriebenen Werke in der Dauerausstellung in Augenschein genommen werden. Sehr zu empfehlen ist ebenfalls der Bildband Karl-Schmidt-Rottluff (2015) mit den großformatigen Abbildungen angefangen von Kleiner Garten (S. 45.) über Mädchen mit der Blume (S. 141.) und Malven am Haus (S. 145.) sowie Sommerabend am See (S. 161.) bis hin zu Seehofallee (S. 183) und Dünenlandschaft (S. 185.).

 

 

09. Juli 2025

Literatur:

 

Zum Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium vgl. den Link:

https://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium

 

Karl Schmidt-Rottluff. Werke in den Kunstsammlungen Chemnitz. Herausgegeben von Ingrid Mössinger. Mit Beiträgen von Brigitta Milde, Olaf Peters, Christiane Remm, Anja Richter und Marian Stein-Steinfeld und Bildkommentaren von Kerstin Drechsel, Anette Kindler, Cornelius Krell, Katharina Metz und Beate Ritter. Kunstsammlungen Chemnitz 2015.

Bildnachweis

 

(1) Chemnitzer Kunstsammlungen, König-Albert-Museum, Theaterplatz aus Wikipedia, gemeinfrei.

 

(2) German Fauvist painter, Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) aus Wikipedia, gemeinfrei.

 

(3) Urheber: JensKunstfreund

Das Wohnhaus (1943-1946) von Karl Schmidt-Rottluff, Limbacher Str. 382, Chemnitz-Rottluff, heute Museum

 

(4) Urheber: (dwt).

Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium, Hohe Straße 25. Frisch Sanierter Schulkomplex. Stand: 2013

 

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