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Florian Russi:

Alids Traum

12 Einhorngeschichten

Mit diesen Geschichten entführt Florian Russi in die Welt der Einhörner und der Götter, Menschen und Tiere, denen sie begegnen.

Auch als E-Book erhältlich 

Reise nach Dresden

Reise nach Dresden

Hans Christian Andersen

Der Autor ist uns als dänischer Schriftsteller von Märchen bekannt, er schrieb 168 Märchen, die Kinder auf der ganzen Welt lasen und lesen. Die Werke sind in 80 Sprachen übersetzt worden. Sein Leben könnte mit dem Satz beginnen: „Es war einmal...“, denn er selbst bezeichnete sein Leben als ein Märchen. Er kam aus größter Armut in der Kindheit zu großartigen Erfolgen als Schriftsteller, die mit glanzvollen Ehrungen bedacht worden sind. Anfang der 1830er Jahre unternahm er große Reisen, so auch nach Deutschland 1831. Sie führte ihn nach Lübeck, Hamburg und auf den Spuren von Goethe und Heine in den Harz, danach nach Leipzig und Dresden und in die Sächsische Schweiz. Seine Eindrücke schilderte er in dem Reisetagebuch „Schattenbilder einer Reise in den Harz, die Sächsische Schweiz etc. etc. im Sommer 1831“. Ein Höhepunkt dieser Reise war ein Besuch der Stadt Dresden, deren Sehenswürdigkeiten Anderson in vollen Zügen genoss.

Ursula Brekle
Wir veröffentlichen daraus Texte. Aus Meißen kommend schrieb er:

Je weiter man sich von hier entfernt, desto höher werden die Berge, und bald sieht man wie durch einen Schleier das deutsche Florenz, Dresden, mit seinen Türmen und Kuppeln vor sich liegen.

Blick auf die Augustusbrücke und die Altstadt Dresden (1)
Blick auf die Augustusbrücke und die Altstadt Dresden (1)


Als ich nach der Augustusbrücke kam, die ich schon so gut aus Kupferstichen und Gemälden kannte, kam es mir vor, als ob ich schon früher einmal im Traum hier gewesen wäre. Die Elbe wälzte ihre gelben Wellen unter den stolzen Bogen durch; auf dem Fluss war viel Leben und Treiben, aber weit mehr noch auf der Brücke; auf der Mitte jagten Wagen und Reiter, und auf beiden Seiten ging eine Masse Fußgänger im buntesten Wechsel; ungefähr mitten auf dem Fluss stand auf einem der Ausbaue,welche die einzelnen Pfeiler bilden, ein Kruzifix von Metall. —

Brühlsche Terrasse, links Hofkirche, rechts Semperoper (2)
Brühlsche Terrasse, links Hofkirche, rechts Semperoper (2)

Nun kamen wir nach der Altstadt, dem eigentlichen Dresden; die Brühlsche Terrasse mit ihrer breiten Treppe lag links, die katholische Kirche rechts und gerade vor uns das Tor, durch das wir in die eigentliche Stadt hineinfuhren.

Katholische Hofkirche und Residenzschloss (3)
Katholische Hofkirche und Residenzschloss (3)

Die Stadt hatte für mich etwas einladend Freundliches; ich fühlte mich darin gleich wie zu Hause. Mein erster Gang war zu unserem berühmten Landschaftsmaler Dahl ... so forderte Dahl mich auf, ihn zu begleiten, bat mich jedoch‚jetzt nicht die Zeit bei ihm zu verlieren, sondern in die katholische Kirche zu gehen. Es war gerade an diesem Tage das Fronleichnamsfest; die meisten Zeremonien würden jetzt wohl freilich schon vorbei sein, meinte er, ich würde aber doch die Kastraten singen hören.

Ich fand bald den Weg über die Brühlsche Terrasse, die von Spaziergängern wimmelte; da gab es so viel Hübsches zu sehen, die große Augustusbrücke mit ihrem Menschengewühl, die Elbe mit ihren Schiffen und die grünen Weinberge an ihren Ufern! Aber ich hatte keine Zeit, ich musste mich beeilen.

In der Katholischen Hofkirche (4)
In der Katholischen Hofkirche (4)


Jetzt stand ich in der katholischen Kirche.Wie groß und hell! Das Musikchor brauste über meinem Kopf; auf allen Altären brannten Lichter, und rund umher in den Seitenkapellen und in den großen Gängen lagen Menschen auf den Knien. Die königliche Familie war in der Kirche, ich sah den König sehr eifrig beten; drei Priester in Gewändern von Goldstoff standen am Altar, und viele kleine Knaben, in roten Kleidern mit einem kleinen weißen Überwurf, schwangen Rauchfässer. Die Kastraten sangen; das waren keine männlichen, aber auch keine weiblichen Stimmen; es waren die weichsten Molltöne. Es lag etwas so Tiefes‚ Wehmütiges in diesem Gesang, als wäre es des Herzens ganze Sehnsucht, die sich in Tönen aussprach; sie machten einen ganz wunderbaren Eindruck auf mich, aber ich fühlte mich gar nicht froh dabei.

Blick auf Kanzel und Orgel der Katholischen Hofkirche in Dresden (5)
Blick auf Kanzel und Orgel der Katholischen Hofkirche in Dresden (5)

Am Hochaltar war beständige Bewegung; die Chorknaben kamen und gingen mit großen Lichtern‚und die Priester verneigten sich jeden Augenblick und klingelten mit ihren silbernen Glocken. Schweizer in gelben Livreen, mit großen, silberbeschlagenen Stöcken in der Hand, gingen in den Gängen herum, um auf Ruhe und Ordnung zu sehen und Ach tung zu geben, dass die Böcke von den Schafen getrennt blieben. Menschen kamen und gingen, aber alles geschah sehr leise. Ich sah böhmische Frauen und Mädchen‚die wahrscheinlich mit ihren Waren zu Markt gewesen waren; sie kamen mit ihren Körben oder Bündeln auf dem Rücken in die Kirche herein, knieten in den Gängen, beteten ihren Rosenkranz und entfernten sich dann wieder in größter Eile. In den Kapellen knieten Männer und Frauen vor dem Bilde der Mutter Gottes, und in manchem Gesicht sah ich den Ausdruck wahrhafter Erhebung und Andacht.
Die Sonne schien durch die Fenster und vermischte sich wunderbar mit dem Schein der vielen Lichter und dem wohl duftenden Rauch; es lag wirklich etwas darin, was auf dem Tonmeer der Musik den Weg zum Herzen fand ...

Quelle:

Andersen, Hans Christian: Reise nach Dresden und in die Sächsische Schweiz. Dresden 1947

Bildnachweis:

Bild 2: Bundesarchiv, Bild 183-R0403-0011 / CC-BY-SA 3.0

Bilder 1, 3, 4, 5 und das Kopfbild sind Wikimedia Commons entnommen, sie sind gemeinfrei.

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