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Johannes E. R. Berthold
Die Bunte-Kinder

wahrhaftige Geschichten aus einer wundervolle Kindheit auf dem Land

Der kleinste Friedhof Europas

Der kleinste Friedhof Europas

Dipl.-Päd. Ursula Brekle

Mitten im Wald, mitten in einem herrlichen alten Baumbestand liegt dieser kleine Friedhof einsam in der Nähe der Winkelmühle, zwischen den Orten Wöllnau, Pressel und Wildenhain in der Dübener Heide. Er ist 260 Quadratmeter groß.
Der kleinste Friedhof im Wald
Der kleinste Friedhof im Wald
Die Gräber, die der Besucher findet, liegen auf dem kleinsten Friedhof Deutschlands, und so wird es erzählt, auf dem kleinsten Friedhof Europas. Geweiht wurde dieses Fleckchen Erde im Jahre 1892 vom Pfarrer des Ortes Wildenhain. Die Winkelmühle gehörte damals politisch zur Gemeinde Pressel, kirchlich aber zu Wildenhain. Die Lebensgeschichten der Verstorbenen gehören zur Geschichte der Winkelmühle.
Wie der Name sagt, gab es seit Jahrhunderten eine Mühle (die im Winkel lag) und später ein Gut, die zur Winkelmühle gehörten. Das älteste Häuschen ließ nach Unterlagen des Staatsarchivs Dresden August der Starke (1694-1733) bauen, damit der kursächsische Wildmeister mit seiner Hundemeute für die Jagd ein Unterkommen hatte. Das Häuschen wurde nach beiden Seiten zu Wohnzwecken ausgebaut. Heute ist es saniert, es liegt etwas versteckt gegenüber den alten großen Stallungen.
Blick auf die Winkelmühle (Teichblick). Gemälde von Volker Pohlenz. Bildmitte: Roeber-Villa, rechts: Mühlengebäude mit Schornstein.
Blick auf die Winkelmühle (Teichblick). Gemälde von Volker Pohlenz. Bildmitte: Roeber-Villa, rechts: Mühlengebäude mit Schornstein.
Im Jahre 1874 kaufte Adolf Theodor Roeber die Winkelmühle. Er war 1841 in Torgau in einer Kaufmannsfamilie geboren worden und heiratete 1872 Anna Luise Ilse, eine Pfarrerstochter und Nichte des Rittergutsbesitzers Ilse zu Mensdorf.
1880 trat sein Schwager Erich Ilse als Teilhaber des etablierten Sägewerkes ein, die Firma hieß nun „Roeber & Ilse". Für die Familien der Besitzer wurde ein großes Fachwerkhaus gebaut, die sogenannte „Villa". Bislang wohnten und lebten die Besitzer und Arbeiter der Winkelmühle nicht vor Ort, sondern in den umliegenden Dörfern, wo sie auf deren Friedhöfen ihre letzte Ruhe fanden.
Das Grab der Familie Roeber
Das Grab der Familie Roeber

1889 wird der Guts- und Mühlenbesitzer Theodor Roeber zum Amtsvorsteher des Amtsbezirkes Oberförsterei Falkenberg ernannt. Am 5. Februar 1892 traf ein Schicksalsschlag die Familie. Erich Ilse starb plötzlich infolge einer Lungenentzündung im Alter von 52 Jahre. Theodor Roeber sorgte in Personalunion als Amtsvorsteher und Standesbeamter gegen Widerstände dafür, dass Erich Ilse in der Nähe auf einem neu eingerichteten, geweihten Friedhof bestattet werden konnte.


Als Theodor Roeber und seine Anna Luise starben, wurden auch sie auf dem Friedhof beerdigt, ebenso wie ihre Nachkommen. Hegemeister und Förster, die die umliegenden Wälder und ihre Tiere schützten, hegten und nutzten, konnten ebenfalls auf dem Friedhof bestattet werden.


In späteren Jahren kam das Unternehmen der Roebers unter der Leitung von Walter Roeber in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Deshalb wurden Teile der „Villa" vermietet. So wohnte zum Beispiel der Hegemeister Koennecke nach seiner Pensionierung bis zu seinem Tod 1902 in der „Villa". Sein Grab gehört zu den ältesten auf dem Friedhof.

Im Frühjahr 1945 kamen dann Umsiedler (Vertriebene) aus Schlesien und aus den Sudeten, die in das Gutshaus Winkelmühle und in die ausgebauten Nebengebäude einquartiert worden sind. Jede Familie erhielt dann durch die Bodenreform, die die Sowjetische Militäradministration in der Sowjetischen Besatzungszone 1945 durchführen ließ, 10 Hektar Land aus dem Gutsbesitz, das sie bewirtschaften konnten. Die Nutztiere wurden ebenfalls aufgeteilt. Die Familienmitglieder waren fortan in der Landwirtschaft tätig. Dazu gehörten folgende Familien:
Die Band-Gräber
Die Band-Gräber

- Emma Band, die drei Kinder mitbrachte, mit dem 4. Kind war sie schwanger. Ihr Mann Ernst Band war vermisst und kehrte aus dem Krieg nicht zurück.

- Wilhelm Groß mit seinen Eltern und seiner Schwester. Er heiratete später Anna Exler.

- Karl Bredlow und seine Ehefrau

Diese Familien stammten aus Pakswalde, Kreis Rawicz, ehemals Schlesien. Auch in den umliegenden Dörfern gab es „Rawiczer", die alle zusammen hielten und sich regelmäßig trafen und heute noch treffen.  

Das Taiber-Grab
Das Taiber-Grab
- Das Ehepaar Robert und Marie Exler mit den Töchtern Anna und Berta. Später kam Gustav Taiber dazu, der Berta Exler heiratete. Diese Familie stammte aus Ladkow im Adlergebirge.
Das Grab des Ehepaares Dornieden
Das Grab des Ehepaares Dornieden
Heinrich Dornieden, der in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Sportlehrer in Wöllnau und Pressel arbeitete, konnte nur deshalb hier beigesetzt werden, weil seine Ehefrau eine geborene Könnecke war und aus einer alt eingesessenen Försterfamilie stammte. Sie starb am 14.08. 2002 einen Tag vor ihrem Ehemann.
Das Grab von Jan Potakowski
Das Grab von Jan Potakowski
Jan Potakowski lebte in der kleinen Ansiedlung Torfhaus, die einen Kilometer entfernt liegt und keinen eigenen Friedhof hat. Auch die „Torfhäuser" werden hier bestattet.
Das Grab des Kosi Kleber
Das Grab des Kosi Kleber

Eine besondere Geschichte ist zu dem Grab von Kosi Kleber zu erzählen, der im Alter vom 18 Jahren am 27.12.1946 unter tragischen Umständen zu Tode kam:
Nach Dr. Dr. Günther Gereke, der ehemalige Torgauer Landrat (von 1919 bis 1921), der Besitzer der Winkelmühle war(seit 1930), tauchten am 4. Mai 1945 die ersten russischen Offiziere und Soldaten in der Winkelmühle auf. Das beschreibt Gereke in seiner Autobiographie „Ich war königlich-preußischer Landrat" ausführlich. Gereke, der Mitwisser und Mitverschwörer im Widerstand vom 20. Juli 1944 gegen die Nationalsozialisten war, blieb zunächst von der sowjetischen Besatzungsmacht verschont. Die Furcht vor den Russen saß in der deutschen Bevölkerung tief durch die jahrelange Propaganda der Nationalsozialisten. Auch suchten die Russen nach Frauen, um sie zu vergewaltigen. In den letzten Kriegstagen waren zumeist ausgebombte Berliner Beamtenfrauen in der Roeberschen Villa untergebracht. Die Frauen flohen aus der Winkelmühle und versteckten sich in Wöllnau auf Heu- und Strohböden. Es kam zu wilden Plünderungen einzelner Soldaten bzw. Gruppen von Soldaten und zur Requisition von Vieh und Vorräten zur eigenen Versorgung der sowjetischen Armee, auch Pferde wurden requiriert zum Auffüllen der Reiterregimenter.
In dieser Zeit kam der Sohn von Kosmas Kleber*, dem Verwalter und späteren Besitzer der Mahl- und Schneidemühle, Kosi Kleber ums Leben. Er war zusammen mit dem Vater mit einer Zugmaschine unterwegs, beim Rangieren wurde er tödlich verletzt. (Eine ehemalige Bewohnerin im Gutshaus gibt an, Kosmas Kleber transportierte eine Holzfuhre, deren Holz er auf dem Schwarzmarkt verkaufen wollte.) Aus Angst vor polizeilichen Ermittlungen und einem eventuellen Prozess, streuten Kosmas Kleber und seine Frau Anni das Gerücht, die Russen hätten Kosi Kleber erschossen. Interessant ist aus heutiger Sicht, dass diese Version glaubhaft war, denn gegen einen Sowjetsoldaten traute sich kein deutscher Polizist zu ermitteln. Der tote Sohn konnte zügig unter die Erde gebracht werden.

* Kosmas Kleber kaufte ein zweites Sägewerk in Tanne im Harz, wo er sich häufig aufhielt. Im Jahre 1989 starb er dort unter mysteriösen Umständen. Das Sägewerk brannte ab und er kam in dem Feuer um.

Die Autorin dankt Herrn Volker Pohlenz für die mündlichen Auskünfte zum Friedhof, für die kritische Durchsicht des Artikels und für die Möglichkei, das Gemälde "Blick auf die Winkelmühle" im Artikel zu zeigen.

Die Autorin dankt Frau Ursula Drechsel für die Fotos vom Friedhof.

Quellen

Pohlenz, Volker: Geschichte(n) aus Wöllnau. Torgau 2014

Gereke, Günther: Ich war königlich-preußischer Landrat. Berlin 1969

Schmidt, Gisela: Umsiedler in der Winkelmühle. Handschriftliches Manuskript
                      Sammlung Texte "Die Winkelmühle" von Wilfried Oelschner

 

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