Der sächsische Kurürst Johann Georg IV., verheiratet mit Eleonore Erdmuthe Luise von Brandenburg-Ansbach, plante Anfang l694 im geheimen seine Geliebte Magdalena Sibylla Grä?n zu Rochlitz von Kaiser Leopold I. nobilitieren, also in den Fürstenstand erheben zu lassen. Denn nur dadurch wäre sie, nach den für Landesfürsten geltenden Ehe-Standesregeln für Johann Georg eine halbwegs akzeptable Heiratspartnerin geworden. Grundvoraussetzung war natürlich zuvor die Trennung von seiner ihm verhassten Gemahlin. Zudem wollte er, dass allen seinen Nachkommen, also auch den weiblichen (sogar der schon unehelich geborenen Tochter!) die Sukzessionsrechte verliehen werden. Damit hätten diese, trotz des für die Fürsten des Reiches ansonsten verpflichtenden Agnatenprinzips, über die Thronfoigerechte verfügt. Der ungeliebte Bruder Herzog Friedrich August (später August der Starke genannt!) und dessen zukünftige Söhne wären dann von der Erbfolge ausgeschlossen gewesen.
Um die Nobilitierung Sibyllas sowie die Sukzessionsrechte so schnell als möglich zu erreichen, erhielt Hofrat Beichling den Auftrag nach Wien zu reisen und am dortigen Hof die notwendigen Verhandlungen zu führen. Die wahren Ziele dieser Reise wollte man natürlich vor den unmittelbar davon Betroffenen, also Eleonore Erdmuthe Luise sowie Friedrich August so lange als möglich verbergen. Darum erhielt der Hofrat zum Schein eine Instruktion zur Verhandlungsführung über die Freilassung des inhaftierten Generalfeldmarschalls Schöning. Zur weiteren Vertuschung wurde zudem in der Residenz das Gerücht in Umlauf gesetzt, dass Sibylla sich verehelichen wird. Auserwählt hatte man für dieses Spiel den Vertrauten Johann Georgs, Heinrich Friedrich Freiherr von Friesen.
Leopold I. reagierte ablehnend, als er erfuhr, dass die gerade zur Grä?n Rochlitz ernannte kurfürstliche Mätresse nun von ihm in den Fürstenstand erhoben werden soll. Verärgert äußerte er: „ Was Fürstin, was Fürstin! Kursachsachen hat Fürstin genug an seiner preiswürdigen Gemahlin." Um dennoch sein aufgegebenes Ziel zu erreichen arbeitete Beichling natürlich nicht nur mit rein diplomatischen Mitteln. Er war auch mit gewaltigen Geldmitteln ausgestattet, um die Berater des Kaisers mit ansehnlichen Geschenken für die Unterstützung der Ziele seines Herrn zu gewinnen. Daneben verfügte er allerdings angeblich noch über einen Haupttrumpf, den er vermutlich erst nach einiger Zeit ausspielte. Um insbesondere den fanatisch katholisch eingestellten Kaiser zu bewegen, doch noch seine Meinung zu ändern, erklärte Beichling angeblich in Wien letztlich, dass die Grä?n zum ersten Osterfeiertag 1694 öffentlich katholisch kommunizieren werde. Und wenn sie erst Fürstin wäre und mit Johann Georg verehelicht, dann würde sie ihn mit ihrem großen Einfluss bewegen ebenfalls zum Katholizismus zu konvertieren.
Dieses politisch brisante Angebot, von dessen Existent fest auszugehen ist, konnte Beichling nicht ohne Zustimmung seines Herrn abgegeben haben. Der Hintergrund von ihm dazu waren sicherlich gewisse Überlegungen zu der bald frei werdenden Königskrone von Polen. Die trug zwar noch der polnische Wahlkönig Johann Sobiesky, der allerdings alt und krank war, so dass jedermann mit seinem Ableben bald rechnete. Vermutlich spielte Johann Georg ziemlich ernsthaft mit dem Gedanken, sodann als Bewerber für dessen Krone aufzutreten. Und dafür musste er natürlich, um überhaupt eine Chance zu haben von den katholisch gläubigen polnischen Wahlmännern ihre Stimmen zu erhalten, ebenfalls ihrem Glauben angehören.
Damit hatte der Wiener Hof ein Lockangebot erhalten, vom dem Johann Georg und die Anhänger der Familie Neitschütz glaubten, dass der Kaiser ihm nicht widerstehen könnte. Man kann davon ausgehen, dass sich Kaiser Leopold diese Chance nicht entgehen lassen wollte. Als vorsichtiger Politiker hat er, bevor er die Grä?n zur Fürstin erhob und allen ihren Kindern die Sukzessionsrechte verlieh, lediglich die Ostertage 1694 abwarten wollen, um zu sehen, ob sie so wie versprochen dann wirklich ihren Glaubenswechsel öffentlich werden lässt.
Die Annahme ist absolut berechtigt, dass in Dresden andere Personen, von außerhalb des Neitschützzirkels, über die geheimen Verhandlungen in Wien sowie den entscheidenden Termin gut informiert waren. Und das lässt wiederum die Vermutung zu, dass sich diese Leute dadurch eventuell zu verhängnisvollen Handlungen gedrängt sahen, um die Umsetzung von Johann Georgs Plänen mit allen Mitteln zu verhindern.
Schon seit einiger Zeit kränkelnd, verschlechterte sich Mitte März 1694 der Gesundheitszustand von Sibylla immer mehr, so dass sie schließlich gegen Monatsende bettlägerig wurde. Die Hofärzte, die zu den Besten ihres Faches im Lande gehörten, versuchten ihr mit all ihrem Wissen zu helfen. Angeblich zeigte sie bald ein relativ klares Krankheitsbild, dass sofort mit einem Medikament, welches „Spanische Fliegen" enthielt, die Behandlung begonnen haben. Dabei handelt es sich um eine Käferart, die blasenziehendes Kantharidin enthalten. Dieses wurde verarbeitet in Pflaster, Salben und als Aphrodisiakum eingesetzt. Die Verwendung des Reizgiftes bewirkte, dass sich auf der Haut Blasen und Nekrosen bildeten; so wie es ähnlich auch das Krankheitsbild der Blattern zeigte. Bei oraler Einnahme und dabei einer Überdosis konnte das Zentralnervensystem angegriffen werden, was unter Umständen innerhalb von 12 Stunden zum Tod durch Lebervergiftung, Kreislaufkollaps und Nierenversagen führte. Aus dem Grund wurde das Medikament auch gelegentlich für Mordanschläge eingesetzt.
Zudem praktizierten die Ärzte eine Blätterkur unter großer Hitze. Damit wollte man den Austritt der Blattern zu verhindern versuchen, die auch tatsachlich bei Sibylla nicht zur Reife gelangten, sondern zurücktraten. Als Folge der Behandlung bedeckte sich ihr Körper mit einer Art schwarzem Schorf. Die angewandte Kur war eine Tortur, durch welche die Kranke zusätzlich immer mehr geschwächt wurde. Johann Georg wich die meiste Zeit nicht von ihrem Krankenbett. Er ?ößte ihr selbst die Arzneien ein und gab ihr Trost. Ihr nahernder Tod versetzte ihn in eine Art Betäubung, woraus er durch den bei ihr auftretenden Krämpfen erwachte. Diese hil?os verfolgen müssend, trieb ihn fast in den Wahnsinn. Schließlich ver?el sie, entsprechend der Beschreibung des Krankheitsverlaufes, in heftige Schüttelkrampfe und verlor ihre Besinnung. Der Tod trat bei Magdalena Sibylla Grä?n zu Rochlitz am Mittwoch, den 4. April 1694 ein‚ vier Tage vor Ostern -- wo sie geplant hatte, öffentlich ihren Glaubenswechsel bekannt werden zu lassen. Sie wurde nur wenige Wochen über l9 Jahre alt.
Über den Tod der Grä?n sich genau informieren lassend, schrieb Christiane Eberhardine, die Gemahlin von Friedrich August, am Freitag den 6. April an ihre Mutter in Bayreuth einen Brief mit bemerkenswerten Details: „ Vergangnen Mitwoch ist die Gräfin von Rochlifz, nachdem sie 9 tag an den platern granck gelechen, gantz unvermuht gestorben, denn sie gantz außer gefahr geweßen. Sie ist aber auf ein Mahl vernunft-, sprach- und hörlos geworden und so von 9 uhr des Morgens biß den antren Morgen nach 7 ist sie gelechen ohne einige bewechung, da sie den munt uf gethan und so verschiten."
Nach ihrem letzten ausgestoßenen Lebenshauch ?el Johann Georg wie ohne Sinnen über Sibyllas Leichnam und küsste ihren Mund voller lnbrunst. Die Anwesenden konnten ihn nur mit großer Mühe von ihr wegziehen. Der vom Tod ihrer Tochter gebeugten Mutter versicherte er seines fortdauernden Schutzes und den Angestellten seine Gnade. In dem bewegenden Moment brachte eine Kinderfrau die gerade 4-jährige Tochter Wilhelmina Maria Friederika in den Raum. Voller Zärtlichkeit nahm Johann Georg das Mädchen auf den Arm und vergoss viele Tränen über sie.
Als man Sibyllas Leiche vom Sterbebett hob, wurden an ihr grüne sowie gelbe Flecke sichtbar. Der anwesende Johann Georg sah das als Indiz einer Vergiftung seiner Geliebten an.
Auch die misstrauische Generalin von Neitschütz war auf Grund der Todesumstände ihrer Tochter fest dieser Ansicht. Um die Frage zu klären, ordnete Johann Georg eine Sezierung an.
Als dessen Ergebnis erklärten die Mediziner keine Anzeichen für einen äußerlich herbeigeführten Tod Sibyllas gefunden zu haben. Ihre Flecken betrachteten sie als Folge der heftigen Konvulsionen während der Krankheit und der verwendeten Medikamente. Die Ärzte blieben damit bei ihrer Blattern-Diagnose, entsprechend der sie schließlich die Behandlung ausgeführt hatten.
Nur wenige Tage nach der prunkvollen Beisetzung der Grä?n Rochlitz erkrankte auch Johann Georg IV., angeblich an den Blattern und verstarb kurz darauf. War bei beiden nun wirklich diese Krankheit die Ursache für ihr Ableben oder hatte man sie vergiftet? Dieser Frage, aber auch dem kurzen Leben dieses tragischen Liebespaares geht Hans-Joachim Böttcher in seiner Biogra?e „Johann Georg IV. von Sachsen & Magdalena Sybilla von Neitschütz - eine tödliche Liaison" umfassend nach. Im Herbst 2014 bringt der Dresdner Buchverlag dieses neueste Werk des Autors in den Handel.