Der Autor
ist uns als dänischer Schriftsteller von Märchen bekannt, er
schrieb 168 Märchen, die Kinder auf der ganzen Welt lasen und lesen.
Die Werke sind in 80 Sprachen übersetzt worden. Sein Leben könnte
mit dem Satz beginnen: „Es war einmal...“, denn er selbst
bezeichnete sein Leben als ein Märchen. Er kam aus größter Armut
in der Kindheit zu großartigen Erfolgen als Schriftsteller, die mit
glanzvollen Ehrungen bedacht worden sind. Anfang der 1830er Jahre
unternahm er große Reisen, so auch nach Deutschland 1831. Sie führte
ihn nach Lübeck, Hamburg und auf den Spuren von Goethe und Heine in
den Harz, danach nach Leipzig und Dresden und in die Sächsische
Schweiz. Seine Eindrücke schilderte er in dem Reisetagebuch „Schattenbilder einer
Reise in den Harz, die Sächsische Schweiz etc. etc. im Sommer 1831“.
Ein Höhepunkt dieser Reise war ein Besuch der Stadt Dresden, deren
Sehenswürdigkeiten Anderson in vollen Zügen genoss.
Mit Dahl, dem dänischen Gesandten und den beiden Norwegern ging ich nun nach der Bildergalerie. In mehreren Sälen lagen die Bilder auf der Erde hingestreckt, aber in den meisten waren sie schon geordnet und aufgehängt. Welch eine Masse von Kunstwerken!
Was
soll ich zuerst erwähnen von
den großen Einzelheiten, die den
tiefsten
Eindruck auf mich machten? Doch kann
ich noch fragen?
Raffaels Madonna! Ich
durchflog die Säle, um dieses Bild zu
fin
den, und als ich vor demselben stand,da setzte es mich gar nicht
in Erstaunen. Es
kam mir wie ein gewöhnliches Frauengesicht vor,
aber nicht schöner, wie ich sie
oft gesehen. Ist dies das
weltberühmte
Bild? dachte ich, und wollte damit überrascht werden,
es zu sehen, aber es blieb
in meinen Augen doch dasselbe. Es kam
mir sogar vor,als ob mehrere Madonnenbilder, mehrere weibliche
Gesichter auf
dieser Galerie viel schöner seien; nun
ging ich zu
diesem zurück — aber da fiel
mir der Schleier von den Augen, die
sahen jetzt wie Menschengesichter aus,
denn ich hatte das Göttliche
selbst gesehen. Ich trat jetzt wieder vor sie hin, und nun
erst fühlte ich das unendlich Wahre
und Herrliche in diesem Bilde.
Es ist
nichts daran, was frappiert, nichts was
blendet, aber je
aufmerksamer man die
Mutter und das Christuskind betrachtet,
desto
göttlicher werden sie. Ein so überirdisches, kindliches Gesicht hat
kein
Weib, und doch ist es die reine Natur. Es
kam mir vor, als ob
jedes fromme, unschuldige Mädchengesicht etwas Ähnliches mit
diesem habe, dass dies aber das Ideal sei, nach dem die andern
strebten
. Nicht
Liebe, aber Anbetung rief dieser Blick hervor. Nun erst ward es mir
klar,
wie der vernünftige Katholik vor einem
Bilde knien kann. Es
sind nicht die Farben
auf der Leinwand, die er anbetet, es ist
der
Geist, der göttliche Geist, der sich
hier leibhaftig offenbart vor
dem leibhaftigen Auge, während die mächtigen Orgeltöne über
ihn hinbrausen und die Dissonanzen der Seele auflösen, so dass eine Harmonie
zwischen dem Irdischen und dem
Ewigen entsteht.
Die
Zeit hat die Farben auf dem Bilde
gebleicht, aber dennoch scheint
alles zu leben;
die große Glorie von Engelköpfen
entwickelt sich mehr und mehr,
und in dem
Blick des Christuskindes sammelt
sich der ganze, große Ausdruck;
einen solchen
Blick, ein so kluges Auge hat kein
Kind, und dennoch ist es das
natürlich kindliche,
was uns hier so tief ergreift.
Und nun die lieblichen Engelkinder
unten! Sie
stehen da wie ein hübsches Bild irdischer Unschuld; mit kindlicher
Ruhe sieht das
jüngere vor sich hin, während das ältere den Blick zu den
Himmlischen über sich erhebt.
Dieses eine Bild würde die Galerie
berühmt machen, so wie dieses
eine hinreicht,
seinen Meister unsterblich zu machen.
In demselben Saal hingen noch drei Meisterwerke; hier war Corregios Nacht, eine poetische Idee, herrlich aufgefasst und durchgeführt. Das Licht strömt von Jesus aus über alle die andern rings umher. Namentlich frappierte mich eine weibliche Figur, welche die Hand vor die Augen hält und sich von dem starken, blendenden Licht halb abwendet. Die Meister pflegen dieses Stück unter den Arbeiten dieses großen Meisters obenan zu stellen, aber ich ziehe doch den heiligen Sebastian vor, der ebenfalls seinen Platz in diesem Saal hatte.Welche herrliche Gruppen von Engeln! Sie schreiten auf den leichten Wolken herab um den frommen Märtyrer mit dem ruhigen,begeisterten Blick.Noch befand sich hier ein Stück, das ich das Vierte von diesen Gott beseelten Bildern nennen zu dürfen glaube: ein Christus von Carlo Dolci; Hoheit und Schmerz waren in diesem edlen‚ Gott ergebenen Gesicht miteinander verschmolzen.
Ich ging von Saal zu Saal und besah alle die großen Kunstschätze, aber stets musste ich wieder zu diesen vier Schätzen zurück, zu Raffaels Madonna und Corregios Engelgruppen. Doch bewahre ich aus meinem ersten Besuch auf der Galerie auch noch den Eindruck von andern vortrefflichen Bildern.
„Das Weltgericht“ von Rubens, auf dem er seine drei Frauen im Porträt angebracht hat; zwei werden von Engeln in den Himmel getragen, die dritte dagegen schleppt der Teufel in die Unterwelt hinab. Rubens selbst sitzt auf seinem Grabe. Niemand scheint ihn zu beachten‚er ist in tiefe Gedanken versunken; wahrscheinlich sinnt er darüber nach,wohin er kommen wird, und erwartet nun ruhig sein Schicksal.
Auf einem Bilde von Bassano, das die Arche Noah vorstellte, war es sehr komisch, dass das Schwein zuerst hinein getrieben ward und also den ersten Platz bekam.
Geistig ermüdet von dem Genuss aller dieser Herrlichkeit und körperlich matt von dem vielen Herumlaufen verließ ich die Galerie, um sie bald wieder zu besuchen.