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Friedrich W. Kantzenbach
Wüsst ich Dinge leicht wie Luft

Dieses Gedichtsbändchen ist liebevoll gestaltet und mit Fotos versehen. Es wendet sich an Leser, die bereit sind, aufmerksam hinzuhören und sich einzulassen auf die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Schicksal.

Der Mühlgrabenstollen bei Scharfenstein

Der Mühlgrabenstollen bei Scharfenstein

Johann August Ernst Köhler

Vom Fuße des Schlossberges Scharfenstein schiebt sich eine schmale, kaum zehn Meter hohe Felsenrippe weit in das Tal hinein. Dadurch wird die Zschopau genötigt, eine beinahe wieder zurücklaufende Krümmung zu machen und das Tal im weiten Bogen an seinen äußersten Rand zu umkreisen. Bereits im 16. Jahrhundert wurde ungefähr in der Mitte dieser Felsenbank ein dreißig Meter langer Stollen hindurchgebrochen, der später mehrfach erweitert wurde.

Die Sage erzählt über die Entstehung dieses Stollens folgendes:

Nach dem Dreißigjährigen Krieg trieben sich in den Wäldern Scharfensteins Räuber und Wildschützen umher, die sich meist aus den entlassenen Soldaten rekrutierten. Ein Herr von Einsiedel, dem Scharfenstein gehörte, beschloss, sein Gebiet mit aller Macht von diesem Gesindel zu säubern. Es gelang ihm auch endlich, von denen zwei gefangen zu nehmen. Damlas gab es noch eine furchtbare Strafe für die auf frischer Tat ertappten Wilddiebe. Das war das „Hirschreiten“.
Der Schlossherr zögerte nicht, diese Strafe auch über die beiden gefangenen Raubschützen verhängen zu lassen. Sie sollten auf einen starken lebenden Hirsch, den man zu diesem Zwecke eingefangen hatte, gebunden und dann ihrem weiteren Schicksal überlassen werden. Das war einem zehnfachen Tod gleichzusetzen, denn man kannte Beispiele, dass nach Tagen und Wochen die geängstigten Tiere ihre schreckliche Last, zerfleischt und doch noch lebend, mit sich herumschleppten.

Als den beiden Missetätern das Urteil verkündet worden war, erkannten sie sofort dessen furchtbare Bedeutung, und sie flehten um Gnade. Den älteren von beiden durchzuckte ein rettender Gedanke, und er sprach zum Schlossbesitzer: „Gnädiger Herr, wir sind unserem Berufe nach Bergleute und in diesem Fach gar wohl erfahren. Schon früher ist an uns der Wunsch herangetragen worden, wir sollten einen Stollen vom Wasserspiegel der Zschopau aus treiben, damit im Dorf eine Wassermühle angelegt werden könne, an der es jetzt so sehr fehlt. Erlasst uns nur die furchtbare Strafe des „Hirschreitens“, und zur Sühne unserer Taten erbieten wir uns, den besagten Stollen durch den hohen Felsen in der Zeit von drei Tagen und drei Nächten zu treiben, und zwar nur mit Schlägel und Eisen.“ Nach kurzer Überlegung ging der Schlossherr auf den Vorschlag ein, und die beiden Verurteilten begannen sofort ihre schwere Arbeit. Es wurden ihnen Leute gestellt, die die nötigen Handreichungen tun mussten. Genau nach Ablauf der ausbedungen Zeit war der Stollen fertig. Die Wildschützen freilich waren vor Erschöpfung dem Tode nahe. Halb entseelt lagen sie neben dem Stolleneingang. Sie erholten sich jedoch. Der Ritter vom Scharfenstein aber hielt sein Wort und schenkte ihnen die Freiheit und das Leben.

Erzählt wird, dass der Raubschütze Carl Stülpner – Ende des 18. Jahrhunderts – ein Nachkomme des einen der Begnadigten gewesen sein soll.

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