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Ulf Annel

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Der Erfurter Autor Ulf Annel spielt mit dem Sinn und Unsinn von Worbedeutungen. Ein Buch für die ganze Familie mit farbigen Illustrationen von Katrin Kadelke.

Das  Gelb des Löwenzahns –  Blumenfarbleuchten in der Malerei

Das Gelb des Löwenzahns – Blumenfarbleuchten in der Malerei

Dr. Konrad Lindner

Pflanzenfarben herstellen mit Heike Schüürmann. (1)
Pflanzenfarben herstellen mit Heike Schüürmann. (1)

Wir feiern heute im Botanischen Garten in Oberholz in einem Workshop mit der Biologin Heike Schüürmann das Gelb des Löwenzahns. Die erste leuchtende Löwenzahnblüte habe ich in diesem Jahr am 03. April 2023 gemalt. Inzwischen ist ab Mitte Mai das Blau der Kornblumen aufgetaucht. Vor allem aber das Rot des Mohns demonstriert gerade die Wucht des farblichen Aufleuchtens der Blumen an den Wegesrändern. Wenn ich trotz der Dominanz des Mohns Mitte Juni etwas zum Gelb des Löwenzahns sagen möchte, hat das mit der Geschichte der Malerei zu tun. Es zeigt sich, dass namhafte Künstlerinnen und Künstler sowohl dem Blattgrün der Pflanzen als auch dem Blau, Rot und auch Gelb ihrer Blüten große Aufmerksamkeit geschenkt haben. Drei Beispiele möchte ich heranziehen.

Feldblumenstrauß. Gemälde von Paula Modersohn-Becker(1906). (2)
Feldblumenstrauß. Gemälde von Paula Modersohn-Becker(1906). (2)

Eines der mir liebsten Originalgemälde in Mitteldeutschland ist der Feldblumenstrauß (1906) von Paula Modersohn-Becker (1876 - 1907). Die aus Dresden stammende Künstlerin lebte in Worpswede bei Bremen. In einer Phase der künstlerischen Neubesinnung hat die Malerin den Strauß mit Feld- oder Wiesenblumen aber nicht zu Hause gemalt, sondern in der Kunsthauptstadt Paris. Eine weiß gepunktete Vase ist zu sehen, in der Feldblumen mit gelben, weißen und rötlichen Blüten stehen, die von Schmetterlingen umschwirrt werden. Das Gemälde hängt in der Moritzburg in Halle an der Saale. Für Bewegung im Bild sorgen die weißen luftigen Schmetterlinge auf den Blüten. Beim Betrachten des Kunstwerkes denken wir meist nicht daran, dass es den Duft der Blüten, das Summen der Bienen und das Flattern der Schmetterlinge erst seit etwa 100 Millionen von Jahren auf unserem Heimatplaneten gibt.

Sonnenblumen. Gemälde von Vincent van Gogh. (3)
Sonnenblumen. Gemälde von Vincent van Gogh. (3)

Eine der in der Kunstgeschichte berühmtesten Feiern der Farbe Gelb setzte Vincent van Gogh (1853 – 1890) in Szene. Im August 1888 und im Januar 1889 schuf der Maler in Südfrankreich einer Bilderserie mit Sonnenblumen. Er versammelte die Blüten in einer Vase. Das erste der sieben Bilder zeigte drei Blüten. Dann steigerte Vincent die Anzahl auf fünf und zwölf und schließlich gar auf fünfzehn Blüten. Mit den ersten vier Sonnenblumenbildern empfing Vincent den Malerfreund Paul Gauguin. Die kreative wie schwierige Zusammenkunft endete jedoch mit dem psychischen Zusammenbruch Vincent's. Nach der Entlassung aus der Klinik malte er Anfang 1889 noch drei weitere Sonnenblumenbilder. In der Serie erprobte Vincent die Vielfalt der Gelbfarbtöne. Der Maler schätzte ein helles Gelb und dann wieder wählte er ein dunkles Gelb, aber auch ein kaltes Zitronengelb und ein warmes Turners Gelb. Bei einigen Bildern ließ er das Gelb der Blüten in ein Orange übergehen. Sonnenblumen erfreuen uns in der zweiten Hälfte des Blumenjahres. Bevor ich zum Gelb im Frühjahr komme, einige Worte zu den Farben im Raum, die ich am 30. Januar 2023 gemalt habe.

Pflanzenfarben in Schalen. (4)
Pflanzenfarben in Schalen. (4)

Beim Malen haben wir die Farben in Bechern oder auf einer Palette vor uns. Die wichtigsten Farben lassen sich in einem Oktaeder darstellen. Dieser Körper besteht aus zwei Pyramiden; die eine zeigt nach oben mit der Farbe Weiß an der Spitze. Die andere zeigt nach unten mit der Farbe Schwarz. Beide unbunte Farben erzeugen den größtmöglichen Hell-Dunkel-Kontrast. In der quadratischen Fläche in der Mitte des Oktaeders sind die bunten Farben Gelb, Rot, Blau und Grün angeordnet. Mit den sechs Farben in dem räumlichen Modell lässt sich das Aufblühen der Blumen im hiesigen Jahresrhythmus begleiten. Bei dem sechsteiligen Farbmodell fällt auf, dass vier Grundfarben aufgeführt werden. Das trägt unserer Lebenserfahrung Rechnung. Pflanzen bilden mit dem grünen Farbstoff in ihren Blättern unsere Lebensgrundlage. In ihren Blättern stellen die Pflanzen nicht nur Kohlenhydrate her, sondern auch den Sauerstoff unserer Atmosphäre. Ohne Trinken und Essen können wir noch einige Tage leben, aber ohne das Einatmen von Sauerstoff sterben wir nach wenigen Minuten. Nun möchte ich zu dem Beispiel aus der Geschichte der Kunst kommen, das zur "Sonnenblume" von Albrecht Dürer (1471 – 1528) hinführt und damit zurück in eine Zeit, in der Raffael (1483 – 1520) die Sixtinische Madonna (1512/13) und Correggio (1489 – 1534) Die heilige Nacht (1522 – 1530) gemalt hat.

Das große Rasenstück. Aquarell von Albrecht Dürer. (5)
Das große Rasenstück. Aquarell von Albrecht Dürer. (5)

Im Jahr 1503 gestaltete Dürer in seinem Atelier in Nürnberg ein Aquarell, in dem die Pflanzen der Wiesen gefeiert werden: Das grosse Rasenstück. In die Höhe ragendes Wiesengras wird geehrt wie das Jesuskind. Die Arbeit Dürer's wird in Wien aufbewahrt. Nicht nur Gräser und Wegerich sind in dem Rasenstück vereint, sondern auch der Löwenzahn. Mit einer faszinierenden Vielfalt ihrer skulpturalen Formen tritt eine dichte und vernetzte Pflanzengemeinschaft auf die große Bühne der bildenden Kunst. Dürer ließ die Pflanze mit den gezackten Blättern und den gelben Blüten, die sich bei der Samenbildung in Pusteblumen verwandeln, nicht aus seinem visuellen Theaterstück rausfallen. Im Gegenteil wies er ihr wie dem Wegerich eine Hauptrolle zu. Dabei ist von Bedeutung, dass der Löwenzahn zu Dürers Zeiten als die Symbolblume der Sonne galt. Die Samen der Sonnenblumen, die Vincent van Gogh 1888/89 malte, wurden erst 1522 von spanischen Seefahrern aus Amerika eingeführt. Bei der Anlage des Aquarells von Dürer gibt es eine Besonderheit. Er wollte kein Einzelporträt einer Blumenart malen. Wie Paula Modersohn-Becker bückte sich Dürer draußen an der Luft nach Feld- und Wiesenpflanzen, um sie mit ins Atelier zu nehmen. Er fertigte ein Aquarell an, bei dem er ein scheinbar unberührtes Stück Vegetation zeigen wollte. Ihm kam es darauf an, einen Wiesenausschnitt als kleine Welt zu unseren Füßen soweit zu vergrößern, dass sie in ihrer Vielfalt und Reichhaltigkeit sichtbar wird. Es sind vor allem die Gräser, die wir als Betrachtende bestaunen. Ihre schlanken Halme vereinen den Himmel mit der Erde. In sein Grosses Rasenstück nahm Dürer den Löwenzahn 1503 nicht mit großen gelben Blüten hinein. Ihn interessierte ein späteres Stadium. Dürer porträtierte die Butterblume oder Eierblume oder Kuhblume oder Pusteblume mit bereits verblühenden und geschlossenen Blüten. Zwei Blütenspitzen leuchten jedoch noch gelblich warm und eine hat bereits einen bräunlichen Farbton angenommen.

Sechs Farben im Raum. (6)
Sechs Farben im Raum. (6)

Bei meinen freien Variationen zu dem berühmten Werk von Dürer habe ich am 11. Juni 2023 ein Aquarell gemalt, bei dem einige Löwenzahnblätter mit dem Mond oder mit der Sonne zu sehen sind. Auch der Mond oder der Jupiter werden von der Sonne beleuchtet. Pflanzen erzeugen in ihren Blättern durch die Aufnahme des Lichtstroms der Sonne in der Photosynthese unsere Lebensluft. Bedenken wir, dass Löwenzahn und & Sonnenwesen sind, ist leicht zu erkennen, dass der Renaissancekünstler nicht zuletzt mit seinem Aquarell im Format von 40, 8 cm x 31, 5 cm in die Tiefe des Seienden schaute. Dürer war ein Zeitgenosse von Paracelsus (1493/94 – 1541), für den das Löwenzahngelb ein Jupitersymbol war, aber auch von Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543), der die Sonne als den massereichsten Körper des Planetensystems bestimmte. Der Astronom und Arzt Kopernikus fragte ebenfalls nach den Voraussetzungen des irdischen Lebens. In seinem Hauptwerk De revolutionibus (1543) würdigte er die Autoren, von denen die Sonne als "Lampe der Welt" benannt wurde und hob hervor, dass die Erde mit ihrer Vegetation "in jährlicher Geburt" durch die Sonne schwanger gehe.

Sonne, Licht und Löwenzahn. (7)
Sonne, Licht und Löwenzahn. (7)

In seinem Grossen Rasenstück vereinte Dürer den Blick hin zur Dunkelheit des Bodens als auch den Blick hoch zum hellen Himmel. Der 32-jährige Maler porträtierte – was dem Zeitgeist entsprach und doch einem Geniestreich gleichkommt - Gräser, Löwenzahn und Wegerich zu unseren Füßen als kosmisch verwurzelte Lebensformen. Der Meister in Nürnberg holte das Licht und den Himmel ins Aquarell rein. Betreffs der Sonnenbestimmtheit unserer Vegetation, die im Grossen Rasenstück aufscheint, möchte ich einen Satz aufgreifen, der dem jungen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) zugeschrieben wird. Das Gleichnis lautet: "... hätte die Pflanze Bewußtsein, so würde sie das Licht als ihren Gott verehren." Der junge Theologe und Philosoph von der Universität Tübingen hat sich von 1796 bis 1798 in Leipzig tüchtig mit der Chemie und der Botanik befasst. Der Satz Schellings erläutert meines Erachtens, dass in Dürers Aqarell der Blick zum Himmel keine Nebensache ist. Wie die Maria in dem Gemälde der Sixtinischen Madonna (1512/13) aufrecht steht und vom Licht des Himmels erfüllt ist, so stehen auch die Stiele der Löwenzahnblüten in dem Gemälde Das grosse Rasenstück (1503) (fast) aufrecht und zum Licht hin. Mit dem Aquarell Sonne, Licht und Löwenzahn vom 15. Juni 2023 gehe ich auf den in der Pflanzenzucht und Waldwirtschaft seit Jahrhunderten erprobten Gedanken zurück, dass sich Akazie und Apfelbaum, Buche und Bohne, aber auch Löwenzahn und Moos dem Licht zuwenden. In seinem Buch Von der Weltseele (1798) brachte Schelling diesen Gedanken während seiner Lehrjahre in Leipzig zur Sprache, indem er zutreffend äußerte, dass "der Pflanze unendliche Liebe zum Licht" eigen sei. Das Gebet der Pflanze ist ihr Wachstum. Das Blatt folgt der Eyer lini – der Ellipse – und die Pflanze reckt und streckt sich in der schnecken lini rhythmisch zum Licht, wie Dürer in seiner Geometrie die Spirale benennt.

Löwenzahn vom 03. April 2023. (8)
Löwenzahn vom 03. April 2023. (8)

 

Lange bevor im 20. Jahrhundert die verzwickte Molekülstruktur des hochkomplexen Farbstoffs Chlorophyll aufgeklärt wurde, feierte Dürer im Grossen Rasenstück das Blattgrün. Pflanzen sind aus der Sicht der menschlichen Praxis erstaunliche und kaum zu übertreffende chemische Werkstätten. Sie synthetisieren eine vielgestaltige Palette an Farbstoffen. Nicht nur der grüne Farbstoff wird von Pflanzen erzeugt, sondern sie stellen ebenfalls die Grundfarben Gelb, Rot und Blau sowie zahlreiche weitere Zwischentöne wie Zitronengelb, Orange, Violett und Dunkelrot her. Bei der Suche nach Farben erweisen sich sowohl die Blüten und Blätter als auch die Wurzeln der Pflanzen als reichhaltige Schatzkammern.

 

Das Gelb des Löwenzahns ist für mich – wie in dem ersten Aquarell vom 10. Juni 2023 - eines der vielen und berührenden Farberlebnisse im Verlauf des Blumenjahres. Die einfallsreiche Natur beginnt mit dem Weiß der Christrosen, gewinnt durch das Blau der Veilchen und schließlich mit dem Mohnrot im Frühjahr an Ausstrahlung, um im Sommer heftige Malvenkonzerte zu entfalten, worauf zum Herbst hin die Sonnenblumen ihr Gelb und Orange feierlich bis in die ersten Frosttage hinein aufscheinen lassen. Wer die Farben der Pflanzen aufs Papier bringt, stellt sich meines Erachtens dankbar handelnd in die Tradition sowohl von Paula Modersohn-Becker und Vincent van Gogh als auch von Albrecht Dürer.

Löwenzahn aufgeblüht. (9)
Löwenzahn aufgeblüht. (9)

Schließen möchte ich mit einer Kindheitserinnerung, bei der Löwenzahn eine Rolle spielt. Hatte man sich verliebt, war die Pusteblume mit ihrem Flugsamenball ein wichtiger Indikator: Ließen sich die kugelrund versammelten Fallschirme leicht wegblasen, sollte der Liebe Erfolg beschieden sein. Blieben aber viele Samen kleben und verweigerten den Flug, war die Verliebtheit ein Irrtum. Es ist dies ein Brauch, der durchaus Sinn stiftet, denn an den Fallschirmen hängen keine Pollen, sondern Samen. Aus einem Pollenkorn wächst gar nichts; aus einem Samen entsteht - wenn die Bedingungen günstig sind - eine ganze Pflanze.

 

Sie werden sich jetzt unter Anleitung von Heike Schüürmann hier im Botanischen Garten in Oberholz daran machen, die bunten Farben der Doppelpyramide herzustellen: Angefangen vom Löwenzahngelb über das Geranienrot und das Kornblumenblau bis hin zum Blattgrün werden zum Schluss viele Glasschüsselchen mit Farben vor Ihnen stehen. Dabei handelt es sich um Farbstoffe, die Sie alle selber aus Pflanzenbestandteilen - aus Früchten und Blüten sowie Wurzeln - gewinnen und erkochen. Aber das Gelb des Löwenzahns muss nicht aus dem Löwenzahn extrahiert werden. Die chemische Kreativität der Pflanzen ist erstaunlich. Das markante Gelb des Löwenzahns werden Sie zum Beispiel aus den Blütenblättern der Studentenblume (Tagetes) herstellen, die Flavonoide (Gelbfarbstoffe) enthalten. Kommt das Blattgrün des Spinats dazu, können Sie sogar wie einst Dürer nun selber im Aquarell eine Löwenzahnskizze sowie viele andere Motive aus eigener Hand ausprobieren.

 

17. Juni 2023

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